flying dolphins

 

Bernd-Uwe Krause / Erzählungen / Traumzeiten / Das blaue Feuer / Das Bärenlied / Wie ein letzter Tag / Aldasina / Der erste Strahl / Feuer des Lebens / Path of Dreaming / Walk in Beauty / Cladinia und Clawinia / Orte der Wandlung / See der Widerspiegelung / Der Gesang der Schwäne / Marilla / Bärenland / Danksagung

 

Traumzeiten

fantas
tische Reisen
in die Welt der alten Geschichten

...für Wanderer und Spaziergängerinnen,
Träumerinnen und Sucher,
Verzauberer und Entdeckerinnen,
Sängerinnen und Tänzer,
für Dich und vielleicht auch für Dich?!

 


 

Das blaue Feuer

Sie hatten den dichten Wald schon lange hinter sich gelassen. Der Wind fegte immer stärker über das weite Grasland und jagte Wolkenfetzen vor sich her. Bald würden sie die ersten Ausläufer des Gebirges erreicht haben. Nach und nach wurde der Weg steiniger, immer wieder mussten sie Felsbrocken ausweichen, die den Pfad versperrten.

Er beugte sich nach vorn und ließ die Zügel locker, der Hengst bewegte sich in gleichmäßigem Trab, spitzte die Ohren und antwortete mit einem leisen Schnauben auf sein Flüstern. Sie waren beide schon viele Wege gemeinsam geritten und wussten, dass es an solchen Tagen ratsam war, die Stille zu achten.

In diesem Augenblick bahnte sich fahles Mondlicht den Weg durch die Wolken, ließ bewegte Schatten hin und her tanzen. Aus der Tiefe des Himmels funkelten einzelne Sterne. Das Tier bewegte sich mit gleichmäßigem Schritt vorwärts. Mit sicherem Tritt fanden seine Hufe ihren Weg durch das Geröll.

Er zog den dicken warmen Umhang dichter zusammen, senkte den Kopf und lauschte dem gleichmäßigen Atem seines Pferdes, während sein Körper mit den Bewegungen des Tieres verschmolz. Für einen Augenblick war er versunken, in Bildern der Erinnerung, sein Aufbruch, das Rufen, die Ermunterung. All die Fragen und die Hoffnung, mit der er sich auf diese Reise begeben hatte, sie leiteten ihn auf diesem Weg. Unwillkürlich griff er nach dem Schwert an seiner Seite, sie hatten es ihm bei der Abreise übergeben. Er wusste, diese Waffe trug die geheimnisvolle Geschichte, sie war der Schlüssel und bewahrte ein Geheimnis.

Jetzt spürte er, wie sich der Schritt des Tieres verlangsamte und blickte auf. In der Ferne schoben sich die Wolken zusammen zu dunklen, drohenden Haufen, aufgetürmt wie ein mächtiges Gebirge erhoben sie sich am Horizont. Da zuckte ein Blitz, durchschnitt die Wolken und zeichnete scharfe Umrisse. Bald hüllte Regen sie ein, zunächst noch fein, ein sanfter Schleier, dann stärker, mit kräftiger werden Tropfen, der sich schließlich wie ein Vorhang über das Land legte.

Nach einiger Zeit hatten sie schließlich einen Taleinschnitt erreicht, an beiden Seiten von hohen Felsen eingerahmt. Sie setzten ihren Weg fort, entlang eines wild strudelnden Baches führte ein schmaler, immer weiter ansteigender Weg in die Berge hinein.

Ich brauche nur vom Norden zu kommen, dann ist er ganz schnell am Ende. Dann brauchen wir die Geschichte gar nicht weiter zu überlegen“
„Ich verstehe wirklich nicht, warum ich schon wieder etwas hergeben soll? Andauernd schaffen sie solche Situationen. Dann fühlt er sich verpflichtet einzugreifen und lässt wieder einen losziehen.“
„Diese Anweisungen von ihm sind ja meistens nicht so einfach nachvollziehbar.“
„Genau, vor allen Dingen, wenn es um sie geht.“
„Ich meine, schließlich habe ich ihnen erlaubt, sich mit mir das Leben einfacher zu machen.“
„Na gut, aber das war ja auch eine Anweisung von Ihm“
„Keine Anweisung. Es war ein Vorschlag, auf den ich eingegangen bin. Schließlich ging es ja dann auch eine ganze Zeit lang gut.“
„Könnt ihr endlich mal aufhören zu streiten. Wir müssen jetzt schließlich einen Plan fassen“
„Was heißt denn hier streiten? Das sind nun einmal unsere Unterschiede, die uns ausmachen. Und überhaupt, du immer mit deinen Plänen.“
„Meine Pläne sind es immerhin, die dir helfen einen Weg zu finden. Wo würdest du denn sonst immer überall hinlaufen.“
„Damit helfe ich dir jedenfalls auch, dass du beweglich bleibst. Immer nur Felsen wäre schließlich auch ein sehr eingeschränktes Gesicht von dir. Du weist doch, überall wo es grün ist, fließt etwas von mir.“
„Wobei ich natürlich die meiste Bewegung bringe.“
„Vorausgesetzt ich schaffe den Raum dafür“
„Wann soll es denn soweit sein?“
„Soviel ich weiß, ist er, wenn es es erkennt, nicht mehr so weit vom Ziel entfernt.“
„Wieder mit einem Pferd?“
„Natürlich!“
„Das arme Tier, das hat doch mit der ganzen Geschichte nun überhaupt nichts zu tun“
„Ja, aus deine
r Blickrichtung.“
„Wenn jemand dauernd auf dir herumtrampeln würde. Ich möchte mal sehen, was du dazu sagst.“
„Du brauchst ihnen ja nicht dauernd was in den Weg legen.“
„Ach, und du breitest dich dann wieder aus und sie müssen dann da durch, bei dieser Kälte.“
„Also bitte, Wärme – Kälte, wer will da schon entscheiden: wann geschieht was? Das ist doch alles nur eine Frage der Sichtweise“
„Ich finde ja, du hältst dich in letzter Zeit doch ziemlich zurück.“
„Nur damit du in Bewegung kommst? Ich bitte dich. Aber gut. Im Augenblick passt zu euch wirklich ein feiner schlanker Blitz. Der lockert doch alles ein wenig auf.“
„Bis runter? Etwa in einen Baum?“
„Nein! Jetzt nicht. Noch nicht!“
„Dann werde ich mal ein paar Wolken entleeren. Das gehört doch irgendwie auch dazu.“
„So, und ich darf dann wieder alles auffangen.“
„Aber das kann doch nicht alles sein. Was ist denn nun eigentlich mit unserem Auftrag?“

Er war die ganze Nacht weiter geritten und hatte schließlich eine weite, hügelige Hochebene erreicht, die von hohen Bergen umschlossen war. Schneebedeckte Felsgrate zeichneten eine scharfe Silhouette in den Nachthimmel. Der Sturm tobte noch immer und trieb die tief hängenden Wolken vor sich her. Hatte der Wind sie auseinander gerissen, so schien von Zeit zu Zeit ein fahles, flackerndes Mondlicht, das ihnen ihren Weg wies. Obwohl der Regen nachgelassen hatte, kamen sie nur mühsam voran. Irgendwann hatte er das Gefühl für die Zeit verloren. Wohin führt mich dieser Weg?, überlegte er. Woran erkenne ich, dass ich mein Ziel erreicht habe?

Ich sollte irgendwo rasten, dachte er, dabei richtete er sich in den Steigbügeln auf und blickte in die Runde. Da entdeckte er in einiger Entfernung einen steil aufragenden Hügel. Auf seiner Kuppe stand ein Baum, hoch, schlank gewachsen, seine Spitze stach in den Himmel. Schaf zeichneten sich seine Umrisse ab, vor der davon ziehenden Nacht. Dahinter, im Osten, begann sich langsam die Farbe des Himmels zu verändern, feines helles Grau stieg hinter den weißen Gipfeln auf.

Langsam näherte er sich dem Hügel und nach einiger Zeit hatten sie die Kuppe erreicht. In einiger Entfernung von dem Baum blieb das Pferd plötzlich stehen. Ein angstvolles Wiehern schallte durch die Morgendämmerung. Flüsternd versuchte er das Tier zu beruhigen. Doch dann spürte er auch diese Vibration. Langsam ließ er sich vom Rücken des Tieres herabgleiten. Der Sturm hatte an Stärke gewonnen, riss an seinem Mantel.

Nachdem er sich noch ein paar Schritte dem Baum genähert hatte, verstummte mit einem Mal ganz plötzlich das Tosen des Sturms. Hinter dem Baum, im Osten, wurde das Licht heller und begann sich als rötlicher Schleier über dem Himmel auszubreiten.

Er trat ein in eine geheimnisvolle Stille und fühlte sich in einem großen, weiten Raum. Obwohl alles ganz ruhig erschien, fühlte er das Pochen seines Herzschlags und während er seine Schulter an die Seite seines Tieres schob, spürte er, wie die Flanken des Hengstes zitterten.

In diesem Augenblick verstärkte die sich die Vibrationen, der Boden begann zu beben, ein Wasserfontäne schoss neben ganz in der Nähe des Baumes in die Höhe. Ein hoher, pfeifender Ton umkreiste sie, das Tier bäumte sich auf, nur mit Mühe konnte er die Zügel halten.
Im gleichen Augenblick ging ein Zittern durch Stamm und Äste des Baum. Ein blau leuchtende Flamme stieg aus dem Boden auf, umkreiste als eine Spirale den Stamm und stieg an ihm langsam empor. Dieser bewegte sich dabei sanft schaukelnd einige Male hin und her, schien sich dann um seine eigene Achse zu drehen und stürzte schließlich, der aufgehenden Sonne entgegen, zu Boden.

Er war in die Knie gegangen und hatte das Pferd mit sich hinunter auf den Boden gezogen. Jetzt blickte er über den Rücken des Tieres. Er schaute in das gewaltige Wurzelwerk des Baumes, wie in den aufgerissenen Rachen eines magischen Wesens. Er spürte wie er plötzlich ganz ruhig wurde. Irgendwo in der Tiefe der Dunkelheit der mächtigen Wurzeln erblickte er ein geheimnisvolles Leuchten. Das gleiche Blau, das sich gerade um den Stamm gelegt hatte, war jetzt zu einer sanft pulsierenden, faustgroßen Kugel zusammen gezogen und schwebte nun in der Dunkelheit im Schoß der Wurzeln. Sein pochendes Herz verband sich mit dem Rhythmus, in dem das blaue Licht tanzte. Für einen Augenblick wollte er die Augen schließen, doch dann besann er sich und bemühte sich, gleichmäßig weiter zu atmen.

Er fühlte an seiner linken Seite sein Schwert. Mit einer bedächtigen Bewegung zog er es aus der Scheide und näherte sich der vibrierenden Kugel. Sie dehnte sich leicht aus und zog sich wieder zusammen, ein atmendes Wesen voll geheimnisvoller Lebendigkeit. Nachdem er näher an die Wurzeln herangetreten war, bewegte die Kugel sich auf ihn zu. Einer stummen Botschaft folgend, nahm er das Schwert mit beiden Hände vor seine Brust, die rechte Hand hielt den Knauf, die linke die Klinge. Das pulsierende blaue Feuer bewegte sich zum Griff des Schwertes, drehte sich dort hinein und breitete sich dann mit , feinen Schwingungen über die gesamte Waffe aus.

Für einen Augenblick hielt er die blaue Energie in beiden Händen und begann dabei sich mit ihr zu verbinden. Er fühlte wie sich die Vibration in ihm ausdehnte. Die Form des Schwertes zwischen seinen Händen löste sich mehr und mehr auf. Langsam bewegte er die Handflächen aufeinander zu und vereinte dabei das blaue Feuer. Dann führte er es schließlich mit beiden Händen zu seinem Herzen. Während sich die Kugel dort auflöste, wurde sein Körper von einer tiefen, warmen Stille der Kraft durchströmt, während das blaue Feuer jede Zelle seine Körpers durchdrang.

Langsam hob er den Kopf. Er spürte neben sich den warmen Atem des Tieres. Beide schauten sich an. Dann standen sie schließlich dicht neben einander. Das Pferd schnaubte leise. Er hielt noch immer beide Hände vor der Brust, während er zu der gewaltigen Baumwurzel hinüber blickte. Das Bild des zerrissenen Erdreiches schmerzte in seinem Herzen.

In dem Augenblick, als er die Hände vor seiner Brust öffnete und damit begann die Arme auszubreiten, kam Bewegung in Baum. Ganz deutlich fühlte er, wie seine Hände mit ihm verbunden waren. Zwischen ihnen strömte die blaue Energie. Ohne Mühe bewegte er die Arme weiter auseinander und dieser Bewegung folgend richtete sich der Stamm auf, die Wurzeln verschwanden nach und nach im Erdreich und nach kurzer Zeit erhob sich der Baum in seiner ganzen majestätischen Größe vor der inzwischen aufgegangenen Morgensonne.

Er lauschte in die Stille des Morgens hinein und da vernahm er das leise Plätschern einer Quelle, die zwischen einigen Felsbrocken am Fuße des Baumes entsprang. Das frische Quellwasser bahnt sich seinen Weg durch das Gras. Er beugte sich nieder und erfrischte sich gemeinsam mit dem Hengst an dem kühlen Nass.

Dann schwang er sich auf sein Pferd, verbeugte sich dankend, wendete das Tier und ritt in einem gleichmäßigen Trab davon. Jetzt konnte er zurückkehren, er hatte den ersten Teil seiner Aufgabe erfüllt. Doch er wusste, das war jetzt der Anfang, was er mitbrachte würde für seinen Dienst in der Zukunft notwendig sein.

Als er sich später noch einmal umblickte, spürte er einen sanften Wind, die Äste das Baumes bewegte sich sanft schwingend und sandten ihm den Abschiedsgruß. Da wusste er, dass die Verbindung zu diesem Ort immer bestehen würde.
 

"Er hat es tatsächlich geschafft“.
"Wie er es zusammengefügt hat, wirklich beeindruckend.“
„Und sofort verstanden, wie er mich heilt.“
„Obwohl ich mich kaum bemerkbar gemacht habe, hat er er ganz deutlich reagiert.“
„Bedeutsam ist doch aber, dass er das Zusammenspiel vollzogen hat. Er trägt es in sich und wir wissen es doch, nur so kann er verbunden sein und es tragen, das Blaue Feuer."

 

 

 


 

 

Das Bärenlied

Der Winter war in diesem Jahr früh, mit großer Kraft gekommen. Weit vor der längsten Nacht war der Fluss zugefroren und die Bäume bogen sich unter der Schneelast.
Das Mädchen lauschte. Noch war es ganz still in dem langen Haus. Hier wohnten sie alle, unter einem Dach. Am Ende des Ganges die Tante und der Onkel, einen Raum teilte sie sich jetzt mit der Mutter, in einem Raum wohnte der Großvater.

Sie erinnerte sich. Es war im vergangenen Jahr. Die Schneeschmelze war schon weit fortgeschritten. In der Vollmondnacht hatte sie den Traum. Sie war den Fluss hinauf gewandert. Bis zur Quelle. Dort hatte sie die Gesänge gehört, die Flöten, die Rasseln und die Trommeln. Dann hatte sie mit dem Tanz begonnen, hatte sich von dem Rhythmus forttragen lassen, getanzt, getanzt, bis sie ohnmächtig zusammen gebrochen war. Danach kam große Stille. Bis schließlich um sie herum die Frühlingsblumen zu blühen begannen, während das frische Wasser der Quelle sie zu neuem Leben erweckte.

Nachdem sie dem Großvater am nächsten Morgen den Traum erzählt hatte, war er sehr nachdenklich geworden. Doch dann verkündete er: Das soll Dein Name sein: „Die an der Quelle tanzt – Quellentänzerin“. Sie war damals so glücklich gewesen.

Kurze Zeit später war der Vater in sein Kanu gestiegen, mit den Fellen der Winterjagd und hatte die Reise flussabwärts angetreten – und er war nie zurückgekehrt. Irgendjemand hatte nach einigen Wochen das Kanu gefunden und zurückgebracht, die Felle waren verschwunden. Doch viel schlimmer noch, der Vater.

Eine Woche lang, Tag und Nacht, hatte das große Feuer gebrannt. Zunächst waren alle da gewesen, aus den umliegenden Langhäusern flussauf, flussab. Es wurde getrommelt, die heiligen Gesänge ertönten, das Wehklagen der Frauen berührte noch jetzt das Herz des Mädchens. So haben sie alle ihren Schmerz miteinander geteilt. In der letzten Nacht saß dann nur noch der Großvater am Feuer. Sie hatte im Haus auf ihrer Matter gelegen und sich vom Klang seiner Trommel und seinem Gesang tragen lassen. Es war ein Auf und Ab, ein Rufen und Antworten.

Irgendwann war sie aufgestanden und zum Großvater hinausgegangen, an das Feuer. Es war fast herunter gebrannt. Die Glut knisterte leise und als der Großvater eine handvoll Kräuter hinein warf, spritzten die Funken wie kleine leuchtende Sterne empor und ein bitter – süßer Rauch hüllte den Platz ein. Während sie auf dem Boden hockte, beugte sich der Großvater in die Rauchwolke. Das tief dunkle Rot der letzten Glut zeichnete die Umrisse seines Gesichts. Der Schlag seiner Trommel wurde schneller und schneller. Schließlich stieß er einen hellen, durchdringenden Ruf aus, der weit über die Wipfel der Bäume hinaus in die Nacht hallte. Im gleichen Augenblick verstummte der Schlag der Trommel. Langsam sank der Großvater am Rande des Feuers zusammen. Für einen Augenblick schaute sie mit weit geöffneten Augen zu ihm hinüber, dann sprang sie auf, um ihn zu stützen. Sie hörte ihn murmeln, es waren Laute der alten Sprache, die sonst nur während der Heilzeremonien erklang.

Am nächsten Morgen verkündete der Großvater, dass der Bärengeist zu ihm gesprochen hat. Der Vater hatte seinen Platz am heiligen Ratsfeuer gefunden, berichtete er. Die Menschen dieser Welt konnten jetzt zu ihm sprechen, als einem Ahnen. Da waren alle froh, als sie diese Botschaft hörten. Die Ordnung war wieder hergestellt. Für das Mädchen und ihre Mutter war damit jedoch die Trauer noch lange nicht vorüber.

Während alle diese Bilder vor dem inneren Auge des Mädchens vorbei zogen, hatte die Mutter in der Mitte des Hauses aus der letzten Glut unter der Asche das Herdfeuer neu entfacht. Schnell lief Quellentänzerin noch einmal hinaus, um um den Holzvorrat im Haus zu ergänzen Später saßen sie beide um das Feuer und löffelten den Brei. Niemand sprach. Sie liebte diese Augenblicke der Stille, eine große Weite breitete sich dann aus, in die sie sich forttragen ließ.

Die Tante und der Onkel waren für einige Tage fortgegangen, nur der Großvater war noch im Haus. Schon seit einigen Tagen kam er selten ans Feuer, sie hörten ihn nur manchmal schwer atmen und seinen Husten, der die Stille im Haus unterbrach.

An diesem Morgen vernahm sie jedoch nach einiger Zeit seine schlurfenden Schritte, er kam zu ihnen in den großen Raum ans Feuer. Schweigend setzte er sich zu ihnen und die Mutter reichte ihm eine Schale mit Brei. Für einen Augenblick hielt er die Schale mit beiden Händen und murmelte ein Dankgebet. Dann nahm er den alten geschnitzten Holzlöffel und begann bedächtig mit langsamen Bewegungen den Brei zu löffeln. Niemand sprach ein Wort, nur das Feuer knisterte leise und verbreitete ein wohligen Wärme.

Nachdem der Großvater seine Schale geleert hatte begann er zu sprechen. Er wandte sich direkt an Quellentänzerin: „Als die Blätter sich rot gefärbt hatten, waren wir bei dem großen alten Baum, dort hinter den gespaltenen Steinen. Wir haben von ihm das Geschenk der Heilflechten entgegen genommen. Dieses Werk wurde nicht in vollendeter Schönheit getan“. Er hielt einen Augenblick inne. Sie schaute ihn aufmerksam an.

Dann fuhr er fort: „Die Flechten sind alle verdorben. Sie würden zu früh genommen, "noch ehe der Baum seine wahre Kraft an sie herschenken konnte. Ich war zu ungeduldig.“ Er senkte den Kopf. Quellentänzerin erschrak. Sie wusste was das bedeutet. Dieses Baumgeschenk war ein wichtiger Bestandteile der Heilmedizin des Großvaters. Nicht nur in diesem Haus war diese Medizin von großer Bedeutung.
Viele Menschen aus der Umgebung kamen zum Großvater, wenn eine Medizin benötigt wurde. „Was soll jetzt geschehen?“ fragte sie und konnte nur mühsam die Aufregung in ihrer Stimme unterdrücken.

„Ich bin zu schwach,“ er beugte sich zu ihr herüber, „du kennst den Weg. Wir brauchen die Flechten. Du wirst gehen.“ Er sprach leiser Stimme, vom Husten unterbrochen. Plötzlich wurde ihr klar, dass es zu aller erst einmal um das Leben von Großvater ging. „Ich werde gehen!“ sie blickte ihn an und wusste, sie würde nicht alleine sein.

Während der Nacht hatte die Mutter einen Tragekorb vorbereitet. Nachdem sie am Morgen ihren Brei gelöffelt hatte, nahm sie den Korb und den langen Stab, mit dem geschnitzten Kopf, der sie schon auf so mancher Wanderung begleitet hatte. Dann verabschiedete sie sich von der Mutter und dem Großvater.

Du läufst flussabwärts, bis zur Halbinsel und von dort gehst du in den Wald hinein, bis zu den gespaltenen Steinen,“ erinnerte er sie und beugte sich ihr entgegen. In seiner Hand hielt er jetzt ein schmales Lederband mit einem blauen Stein, der mit einem geheimnisvollen weißen Zeichen bemalt war. Er legte ihr das Band um den Hals und schaute sie noch einmal an. Dann drehte er sich um und ging ins Haus zurück.

Die ersten Strahlen der gerade erwachten Morgensonne färbten den Schnee zartrosa. Sie beobachtete die weißen Wolken ihres Atems, während sie mit gleichmäßigen, kräftigen Schritten durch den Schnee stapfte. Sie erinnerte sich an die Worte des Onkels: „Denk an den Reiher, gleichmäßig, Schritt für Schritt, so wirst du sicher voran kommen“. Im Herbst hatten sie die Weidenzweige geschnitten. Danach gemeinsam daraus die Schneeschuhe geflochten, die sie jetzt sicher durch den hohen Schnee trugen. Der Himmel leuchtete in tief dunklem Blau.

An einigen Stellen fanden Sonnenstrahlen einen Weg durch die Baumkronen, dort wo sie den Schnee berührten, glitzerten die Kristalle. Hin und wieder kreuzten die Fährten kleiner Tiere ihren Weg. Die Spuren verloren sich irgendwo zwischen den Stämmen der Bäume. Sie blickte hinüber zu dem breiten, weißen Band des zugefrorenen Flusses. Bei jedem Schritt knackte der Schnee leise unter ihren Füßen. Nach einiger Zeit erblickte sie in der Ferne die Halbinsel, die sich in einem sanften Bogen hinaus in den Fluss erstreckt. Nach dem nächsten Vollmond würde es wieder soweit sein. Dann versammelten sich auf der Halsinsel die Menschen aus den umliegenden Langhäusern. Ein provisorischer Lagerplatz wurde errichtet und ein Feuer entzündet. Anschließend zogen sie hinaus auf den Fluss. Löcher wurden in das Eis gehackt und das Eisangeln begann. Sie erinnerte sich, wie sie im vergangenen Jahr aufgeregt von einem Eisloch zu anderen gelaufen war und und geholfen hatte, die gefangenen Fische einzusammeln.

Schließlich erreichte sie die Halbinsel, dort änderte sie die Richtung und schritt in den Wald hinein. Hier stieg das Gelände an, überall ragten Felsen aus dem Schnee. Als sie auf einer kleinen Hügelkuppe stand, konnte sie in den Ferne schon den heiligen Ort erkennen. Es waren die gespaltenen Steine. Hinter ihnen verbarg sich der große alte Baum. Jetzt hattet sie ihr Ziel fast erreicht. Langsam stapfte sie weiter. Vor dem Felsdurchlass blieb sie stehen, um den Korb vom Rücken zu nehmen. Da hörte sie ein Geräusch. Sie hielt den Atem an. Jetzt war das Knurren ganz deutlich zu hören. Ein Berglöwe? Nein, das konnte nur ein Bär sein. Sie erinnerte sich an die Worte des Großvaters: „Dieses Land, dabei hatte er mit einer weit ausholenden Bewegung vom Flusstal hinauf in die Berge gezeigt, ist das Land der Bären. Wir sind ihre Gäste. Wir haben achtsam zu sein und darauf zu achten, dass wir ihren Weg nicht kreuzen“.

Quellentänzerin überlegte. Sollte sie sich zurückziehen. Doch dann hörte sie wieder dieses Brummen. Es klang so schmerzvoll und verzweifelt. Vorsichtig schob sie sich näher an den Felsdurchlass heran.

Dann sah sie ihn. Einen ausgewachsenen Schwarzbären. Ein Ast des großen alten Baumes war herunter gebrochen und hatte eine Tatze des Bären eingeklemmt. Die Schneedecke war aufgewühlt, sie bemerkte das Blut, dass den Boden an verschiedenen Stellen rot färbte. Der Bär hatte offenbar verzweifelt versucht frei zu kommen. Das Tier hatte sie jetzt bemerkt, hielt inne und schaute sie aufmerksam an. Noch ist es Zeit fort zu laufen, schoss es ihr durch den Kopf. Das klagende Brummen wurde leiser. Sie blieb stehen.

Dann hörte sie sich sprechen: „Großvater Bär, ich fühle mit dir die Schmerzen, was kann ich tun, um dir zu helfen?“ Dabei stützte sie sich auf den Stab und beugte sich zu dem Bären hinüber. Ihre Furcht hatte sie an die Erde abgegeben.

Das gewaltige Tier neigte den Kopf zur Seite, das Brummen klang jetzt ganz anders, es war ein leiser Ruf, den sie vernahm. Sie kletterte über die Felsen und näherte sich dem Tier, Schritt für Schritt. Als sie sich dem Stamm des heiligen Baumes näherte, erinnerte sie sich wieder daran, mit welchem Auftrag sie zu diesem Ort gekommen war.

„Ich bin gekommen, die Heilflechten zu empfangen“, sprach sie leise, „Doch zuerst will ich versuchen, dir zu helfen.“ Sie stand jetzt direkt neben dem Bären. Er atmete schwer und sie spürt seine Wärme. Als sie sich hinunter beugte, sah sie noch immer das Blut aus der gequetschten Tatze quellen. Vorsichtig nahm sie ihren Stock, dabei sprach sie: „Ich werde jetzt alles tun,um den Ast anzuheben. Du musst versuchen, dich dann zu befreien“.

Vorsichtig begann sie den Stab unter den Ast zu schieben. Gewiss, er war aus einem besonderen Holz geschnitten und der Großvater hatte den Segen der Waldgeister gerufen, als er ihn über dem heiligen Feuer gehärtet hatte. Doch würde er diese Belastung aushalten? Sie fand in dem felsigen Untergrund eine Kerbe. Hier konnte sie den Stab ansetzen. Mit einer vorsichtigen Bewegung schob sie ihn immer weiter unter den Ast. Dabei blickte sie den Bären an, der aufmerksam ihre Bemühungen verfolgte. „Jetzt“ , für einen ganz kurzen Augenblick bewegte sich der Ast. Der Bär reagierte sofort und zog die Tatze unter dem Ast hervor. Er war frei. Nachdem er sich einmal kurz aufgerichtet hatte, sank er mit einem klagenden Brummen zusammen.

„Du hast große Schmerzen“, sprach sie zu ihm und sie fühlte Tränen des Mitgefühls. „Ich werde Flechten für deine Wunde bereiten.“ Während sie gerade ihren Stab ausstrecken wollte, um die Flechten von der Rinde des heiligen Baumes zu ernten durchfuhr sie ein Schreck. Beinahe hätte sie vergessen, den Baum um seine Erlaubnis zu bitten.

Ruhig und konzentriert vollzog sie das Ritual. Während sie den Baum dreimal umkreiste und das Maismehl opferte beobachtete der Bär sie aufmerksam.

Danach hockte sie sich vor den Baum und wartete, bis sie schließlich die Erlaubnis erhielt. Sie breitete ein Tuch aus und begann behutsam die Flechten vom Stamm zu entfernen. Nach einiger Zeit, hielt sie inne und wandte sie sich wieder dem Bären zu. „Es tut mir leid, ich kann die nicht Medizin des Großvaters geben, doch ich will versuchen, deine Schmerzen zu lindern“. Sie nahm einige Stücken der Flechte von dem Tuch und aus dem Korb einen Streifen Bast. Damit trat sie zu dem Bären.


Es schien als würde dieser verstehen was sie vorhatte, denn er erhob sich ein wenig und streckte ihr die Tatze entgegen. Leise sprach sie ein Gebet und dann summte sie leise das Heilungslied, das sie so oft vom Großvater gehört hatte während sie vorsichtig die Flechten auf die Wunde legte und mit dem Bast umwickelte. Der Bär schaut sie noch einmal stumm an und dann sank er wieder in sich zusammen.

Nachdem sie die geernteten Flechten in das Tuch gewickelt und im Korb verstaut hatte bedankte sie sich noch einmal bei dem Baum, nahm den Stab und wandet sich wieder dem Bären zu. „Großvater Bär, ich muss zurück wandern. Im Haus werde ich erwartet“. Sie überlegte einen Augenblick und dachte an den Großvater. „Dort könntest du Hilfe bekommen, mit seiner Medizin.“ Für einen Augenblick hielt sie inne. Was würde geschehen, wenn sie in Begleitung eines Bären zurückkehren würde. Was würde aber geschehen, wenn der Bär hier zurückbleiben würde, mit dieser schweren Verletzung, so geschwächt.

Der Bär richtete sich auf und kam mit langsamen Schritten auf sie zu. Die Entscheidung war gefallen. Sie brachen gemeinsam auf. Nachdem sie das Hindernis an den gespaltenen Steinen glücklich überwunden hatten, machten sie sich auf den Weg hinunter zur Halbinsel. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Sonne sich schon weit dem Horizont genähert hatte. Sie schritt voran, bedacht darauf ihre Kräfte einzuteilen. Der Bär folgte ihr. Sie hörte, wie er schwer atmend hinter ihr durch den Schnee stapfte.

Die Dämmerung war schon weit fortgeschritten, als sie endlich in der Ferne die Rauchsäule des Herdfeuers über dem Langhaus erblickte. Sie hatte Sorge, dass Bewohner andere Häuser zu Besuch sein könnten. Sicher würden sie den Bären als große Gefahr sehen. Doch dann stand plötzlich der Großvater vor ihnen. Er schien in keiner Weise erstaunt zu sein, schaute sie kurz an, nickte mit dem Kopf und wandte sich dann sogleich dem Bären zu.

Was dann gesprochen wurde, waren Worte einer anderen Welt. In den letzten Stunden war sie dieser ganz nah gewesen. Es gab noch so viel, was sie noch vom Großvater lernen konnte.
Als die Mutter vor die Tür trat, sprach der alte Mann: „Wir sind gesegnet. Großvater Bär wird in der nächsten Zeit unser Gast sein. Wir wollen ihm ein Lager bereiten.“

Die Tage vergingen. Die Tante und der Onkel wurden informiert und blieben Gäste in einem anderen Haus. Der Großvater versorgte die Wunde des Bären. Manchmal sahen sie ihn wie einen Schatten, der das Haus verließ und irgendwann still zurückkehrte. Schließlich wurden die Tage länger und eines morgens war es geschehen.

Der Bär war verschwunden. Quellentänzerin hatte es zuerst bemerkt. Sie war zum Großvater gelaufen und gemeinsam hatten sie in die Kammer geschaut. Sie war leer. Doch dann machte sie in der Ecke, dort wo der Bär immer geschlafen hatte, eine Entdeckung. An diesem Platz lag: ein Bärenfell.

Der Großvater schaute sie an. „Es gehört dir“, sprach er und ein feines Lächeln zeichnete die Falten auf seinem Gesicht. „Für deinen Mut und dein Mitgefühl“. So möge nun dein Name sein:
„Quellentänzerin, die mit dem Bären tanzt“.
 

 

 

 


 

 

Wie ein letzter Tag

Immer wieder hatte er gezögert aufzubrechen und nun war er schon seit Tagen unterwegs. Die Nächte waren länger und länger geworden und die Tage zeigten sich nur noch in matter Dämmerung. Der eisige Wind peitschte über das flache Land. Er fühlte hinter sich den, der das Große Weiße, ohne Form, ohne Farbe, in dem Anfang und Ende miteinander verschmelzen konnten.

Dabei
spürte er den eisigen Atem, wie er näher kam, seine Boten ritten in den tanzenden Nebelfetzen, die plötzlich auftauchten und wieder verschwanden. Es hatte sich längst herumgesprochen, das etwas unterwegs war in diesen Tagen und dass die Kräfte einer geheimen Macht aufgebrochen waren. Noch kannte niemand die Pläne und Absichten, doch an den Ratsfeuern saßen die Alten und lasen die Deutungen und verglichen die Überlieferungen.
Weit nach vorn gebeugt stapfte er voran. Eingehüllt in seinen langen grauen Mantel, die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Einige Male hatte er ein ein Licht in der weiten Ebene gesehen, das eine oder andere kleine Gehöft, die Menschen hatten ihn freundlich empfangen, doch er musste weiter ziehen. Am Strom entlang, dem Meer entgegen.

Es blieb ihm jetzt nicht mehr viel Zeit, den richtigen Ort zu finden, wo er sich vorbereiten konnte. Nur noch dieser eine Tag, dann würde die die lange Nacht hereinbrechen, mit einer Dunkelheit, wie es sie seit vielen tausend Jahren nicht mehr gegeben hatte. Tief hinein in die dunkele Materie war die Spur gelegt. Viele Boten waren gekommen, hatten immer wieder daran erinnert, dass es in dieser Nacht mehr brauchen würde, als abzuwarten, bis sich der neue Tag zeigt.

Er blieb stehen und schaute sich um. Weit und breit nur das immer dunkler werdenden Grau. Er überlegte, in welche Richtung er jetzt weiter gehen sollte. Plötzlich entdeckte er ein flackerndes Licht. Wie eine Insel erhob sich ein Gehöft aus der flachen Ebene. Er konnte die Umrisse hoher Bäume erkennen, die von dem Sturm hin und her geschüttelt wurden. Er erkannte die Schatten wieder, erinnerte sich an den Rauch des Feuers. In dieser Nacht ein Feuer entzünden? Er spürte das fragende Lächeln auf seinem Gesicht. Wie sollte das gehen? Der Wind würde das Feuer zerfetzen. Man würde sehen. Auf jeden Fall hatte er den richtigen Ort erreicht.

Die meisten der anderen Reisenden waren schon angekommen, er hörte ihre Gesänge und Gebete. Bevor er sie begrüßen würde, wollte er sich den Platz anschauen, dort wo die Hütte stand, vor der das Feuer brennen sollte. Er wusste , dass von diesem Platz die Kraft dieser Nacht ausgehen musste.

Er trat ein in die Dunkelheit, ließ sich hinein sinken in das Geheimnis dieses Ortes. Ein dünner Schneefall hatte begonnen, das Weiß der Flocken zeichneten deutlich die Umrisse der Landschaft in der Dunkelheit der Nacht. Er schaute sich um, sah den kleinen Pavillon. Da entdeckte er im Unterholz zwei Kinder. Sie standen auf einer Holzplanke, der über einen schmalen Bach gelegte war.
„Vorsicht!“ rief er zu den Kindern hinüber. Die lachten ihm zu, sprangen leichtfüßig über den rutschigen Steg, hackten mit langen Holzstangen das Eis in dem schmalen Graben auf und schoben die milchig weißen Schollen ans Ufer. Das Wasser in dem Graben zog sich wie ein schwarzes Band durch das weiß verschneite Gehölz.

Da ertönte ein lauter Ruf, die Mutter rief die Kinder zurück ins Haus. Sie ließen die Stangen fallen und sprangen mit ein paar Sätzen die Böschung hinaus, riefen ihm noch einen Gruß zu und dann waren sie auch schon im Haus verschwunden.

Mit vorsichtigen Schritten tastete er sich hinunter zu dem Bach, trotz des starken Windes war die Wasseroberfläche spiegelglatt. Er trat auf den Steg, fühlte wie die Bohle sich unter seinem Gewicht bogen, ein- zweimal federte er leicht, beugte die Knie und ging schließlich in die Hocke. Die schwarze Oberfläche des Wassers war jetzt ganz nahe vor seinem Gesicht. Er beugte sich tiefer, jetzt konnte er in der Tiefe die schwach schemenhaften Umrisse einer Gestalt erkennen. Ein sehr altes Gesicht blickte ihn mit blitzenden Augen an, hatte beide Arme ausgebreitet und schien ihm zu winken. Langsam stieg er mit beide Beinen ins Wasser und ließ sich in die Tiefe gleiten.

Er trat in einen feuchten Gang, vor ihm stand der Alte, den grauen Filzhut tief ins Gesicht gezogen hielt er eine kleine Fackel in der Hand. Für einen Augenblick begegneten sich ihre Blicke, eine lange vergessene Erinnerung wurde in ihm wach. Als er den Alten fragen wollte, drehte sich dieser um und bedeutete ihm mit einer Geste, ihm zu folgen. Gebeugt bewegte er sich rasch vorwärts, immer tiefer in den Gang hinein. Die Luft hier unten war angenehm, klar und frisch und in seinem gleichmäßigen Atem spürte er seinen Herzschlag.

Nach einiger Zeit hörte er aus der Ferne einen leisen Gesang und den gleichmäßigen Schlag einer Trommel. Der Gang machte noch eine Windung, danach öffnete er sich und gab den Blick in eine einen weiten Raum frei. Ein feines blaues Licht erfüllte den Raum und die Decke wölbte sich wie eine Kuppel weit in die Höhe. Die Fackel seines Führers erlosch und er verschwand in einem der Gänge.Er trat einen Schritt näher, der Gesang wurde leiser, vor ihm erblickte er eine Gestalt, sie wandte ihm den Rücken zu, ein Umhang aus dunkelblauer schwerer Seide hüllte die Person ein. Das lange weiße Haar fiel in Wellen auf die Schultern.

"T
ritt näher“, hörte er die Stimme einer Frau, die zu ihm sprach, obwohl im Raum nur der Schlag der Trommel und der leise Gesang zu hören war. Jetzt stand er neben ihr, sein Blick folgte ihren ausgestreckten Händen, die in die Mitte des Raumes wiesen.
In dem weißblauen Licht des großen Raumes erblickte er eine Kugel, die sich langsam um die drehte, die Farbe und Struktur der Oberfläche wechselte ständig. Die Kugel schwebte in dem Raum, schien nicht aus fester Materie zu bestehen sondern war ein pulsierender Energieball.

Sie hatte die Arme ausgestreckt, ihre Hände zeigten auf die Kugel, jede Bewegung ihrer Fingerspitzen veränderte die Oberfläche. Es schien, als würde die Kugel von einem unsichtbaren Netz getragen, das von diesen Händen und anderen Kräften gehalten wurde.

"Das ist die Erde?!“ seine Stimme zeigte seine Überraschung.
"Sicher“ erwiderte sie, „wir sind doch nicht zum Vergnügen zusammen gekommen. Obwohl, eigentlich ist es doch ein Vergnügen, Dein Gesicht zu sehen,“ sie lachte und er spürte den feinen Spott in ihrer Stimme.
"Was siehst Du sonst noch?“ Er versuchte sich zu erinnern, woher er die Stimme kannte und die Trommel und den Gesang. Einen Augenblick versuchte er zu verstehen, was hier gerade geschah doch dann ließ es geschehen, was gerade da war.

"D
ie Erde, etwas versucht die Erde aus dem Gleichgewicht zu bringen und....“ er machte eine kurze Pause. „Ja!“ fiel sie ihm ins Wort „und ...? Was geschieht?“
"Sie wird gehalten“ "Schau genau hin“ ihre Stimme war jetzt streng und er spürte das Vibrieren, das in der Luft lag."Was wird gehalten?“
Plötzlich fühlte er, wie sich alles um ihn drehte. „Atme!“ ihre Stimme hatte ihn unmittelbar in seinem Zentrum erreicht, er spürte seinen Herzschlag und zwang sich, zu tiefen, ruhigen Atemzügen. Dann kamen die Bilder, die Kraft des eisigen Windes, die seine Schritte lenkte, der Schnee, der auf seinen Wangen taute und wieder zu Eis wurde, er fühlte, wie seine Füße immer schwerer wurden, spürte in sich den tiefen Wunsch sich auf die Erde zu legen und sich in den Traum tragen zu lassen, dann sah er plötzlich über sich die Wolkendecke aufreißen und die Strahlen der Sonne schenkten ihm die Wärme neuen Lebens. Mit jedem Atemzug wurde fühlte er wie die Kräfte der Elemente in eine Balance kamen und den Raume für seine Seele öffneten.

"H
alte die Balance“, ihre Stimme war fest und bestimmend, „spüre Dein Zentrum - und halte die Balance“ wiederholte sie, „und erinnere Dich!“
Er fühlte, wie sein Herzschlag sich
immer intensiver mit seinem Atem vereinte. Langsam öffnete er die Augen. Der im Raum schwebende Ball war jetzt deutlich als die Erde zu erkennen. Er konnte die Meere und Kontinente unterscheiden. Der Raum war von feinen silbernen Fäden durchzogen, die in einem endlosen Strom kamen und vergingen. Der Klang der Trommel war verstummt, nur ihr Gesang war noch ganz leise zu hören.

Plötzlich hörte er in der Weite des Raumes den hellen Schrei eines Vogels, der den Raum über der Erde in weitem Rund umkreiste. An den Spitzen seiner Flügel bildeten die silbernen Fäden winzige Wirbel, die seine dunkle Silhouette deutlich betonte. Seine Kreise wurden enger und enger, bis der Vogel im engem Spiralflug in die Erde eintauchte. Feine Wellen breiteten sich kreisförmig über die Oberfläche aus. Er spürte ein feines Vibrieren, anfangs auf seiner Haut, bis es schließlich seinen seinen ganzen Körper durchströmte.

In die Stille hinein sagte sie zu ihm:“ Nimm es mit, teile es, diese Nacht bedeutet ein Neuanfang. Doch das Alte darf nicht vergessen werden. Achtet den Vogel, er wird Euch immer wieder an diese Nacht erinnern. Er wird Euch helfen, mit den Elementen verbunden zu bleiben und die Balance zu halten. Geh jetzt. Die Anderen warten auf Dich“.

Eine Hand berührte seine Schulter. Der Alte stand hinter ihm und schob ihn langsam in den Gang, den Weg zurück.Als er bald darauf wieder auf dem schmalen Holzsteg stand, spürte er die Kälte nicht. Er hörte den Gesang der Anderen vom Feuer und ging langsam hinüber. Verborgen in dem Gesang hörte er den Ruf des Vogels.

 

 

 


 

 

Aldasina - und das kleine Volk

Weit fort von hier, in einem fernen Land hinter den sieben blauen Bergen, lebte am Rande eines großen Waldes das Mädchen Aldasina gemeinsam mit ihrer Großmutter in einer kleinen, Stroh bedeckten Kate. Jetzt, in der frühen Zeit des Jahres, blühten rund um das Haus schon leuchtend bunte Blumen und es duftete nach den ersten frischen Kräutern. Es würde nun nicht mehr viel Zeit vergehen, bis die Beete und Bäume wieder reiche Geschenke der Natur bereithalten würden. Etwas entfernt vom Haus, auf einem sanften Hügel, weideten die Ziegen. Jeden Morgen, wenn ihr Stall geöffnet wurde, fanden sie ihren Weg alleine hinauf zu ihren Futterplätzen. Doch am Abend lief Aldasina zu ihnen, rief jede bei ihrem Namen und brachte sie zurück in den sicheren Stall.

An diesem Morgen waren die Großmutter und das Mädchen schon vor dem Morgengrauen aufgestanden. Aldasina würde heute zum Markt hinunter ins Dorf gehen. Gestern hatten sie die bunten Frühlingslumen gesammelt und zu kleinen Sträußen gebunden, die sie heute auf dem Markt verkaufen würde. Nachdem sie alles in die große, aus Weiden geflochtene Kiepe gepackt hatte, sorgfältig darauf bedacht, dass die zarten Blüten keinen Schaden nehmen, gab ihr die Großmutter noch einen Krug mit Wasser und eine Scheibe Brot als Wegzehru
ng.

Bald hatten sie dann Abschied von einander genommen, der weiße Hund war noch ein Stück mit ihr gelaufen, dann aber auch wieder zur Großmutter zurückgekehrt. So war sie schließlich auf ihrem Weg hinunter ins Tal. Der dunkle Wald lag schon hinter ihr und sie wanderte einen Feldrain entlang, als sie plötzlich eine dicke schwarze Wolkenwand bemerkte, die schnell näher kam. Kurze Zeit später prasselte dichter Regen auf sie herab und ein Sturm fegte über das Land. Sie schaute sich nach Schutz um und entdeckte am Wegrand die alte, zerborstene Eiche. Einen Augenblick lang zögerte sie, doch dann blieb sie stehen.

Unzählige Male war sie an diesem Ort schon vorbei gekommen, wollte auch heute hier wieder Blumen nieder legen. Die Großmutter hatte ihr die Geschichte eines Tages erzählt. Von dem großen Unwetter, als der Blitz hier in den Baum einschlug, wie das Pferd durchgegangen war
. Späterhatte man den umgestürzten Wagen gefunden und ihre Mutter und ihren Vater, sie waren beide tot.

Sie trat an den Baum heran, legte die Blumen zwischen die Wurzel und berührte den Stamm und fühlte die raue Rinde. Plötzlich gab diese unter ihren Händen nach und vor ihr öffnete sich der Baum für sie. Sie wischte sich die Regentropfen vom Gesicht und dann schlüpfte sie durch diese Pforte hinein in den alten Baum. Vorsichtig tastete sie sich voran. Zuerst umgab sie tiefe Dunkelheit, doch dann breitete sich um sie herumein zart schimmerndes Licht aus. Sie blickte sich um und fand einen Raum der sich tief in die Erde hinein erstreckte. Zuerst hörte sie nur den fernen Regen, doch dann bemerkte sie plötzlich leise, traurige Töne, die den Raum ausfüllten und schließlich auch wispernde Stimmen, die langsam näher kamen.

Vorsichtig stellte sie den Korb auf den Boden und kniete nieder und blickte aufmerksam in die Runde. Um sie herum hatte sich eine Gruppe kleiner Gestalten versammelt, in graubraune Umhänge gehüllt. Jetzt konnte sie auch einzelne Gesichter unterscheiden, zerfurcht mit matten, traurigen Augen. Das kleine Volk! In den Geschichten, die die Großmutter manchmal erzählte, lebten sie schon lange vor den Menschen, aber auch noch immer mit ihnen. Manchmal trieben sie Späße mit der Menschenwelt, doch ganz oft waren sie hilfreiche Begleiter. „Sei dir einfach bewusst, dass es noch andere Wesen gibt, die du mit deinen Alltagssinnen nicht sogleich wahrnimmst“, hatte sie ihre Enkeltochter immer wieder erinnert.

Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe. Eine alte Frau trat hervor, die Kapuze ihres Umhangs hatte sie vom Kopf gestreift, das schneeweiße Haar fiel auf ihre Schulter. Sie trug ein breites, rotes Band um ihre Hüften. Sie blickte sie einen Augenblick lang an und dann sprach sie zu dem Mädchen: „Wir haben auf dich gewartet, Aldasina, Mädchen mit den Frühlingsblumen. Wir sind froh, dass du gekommen bist. Die Prophezeiung sagt, dass wir dich um Hilfe bitten.“

Aldasina erschrak und dabei schaute sie die alte Frau fragend an. „Ich? Was kann ich für Euch tun?“

Die Alte begann zu erzählen. Von der Heimat des kleinen Volkes. Den Verwüstungen.Von dem Zauberer. Wie er über das Land gegangen war, erst hatte er die Farben gestohlen. Dann die letzte Lebenskraft der Pflanzen, grau und staubig war das Land zurück geblieben. Keine Tiere gab es mehr. Schließlich war alles Wasser verschwunden und der große Baum in der Mitte des Landes hatte alle Blätter verloren, was zuvor noch nie vorgekommen war. Da musste das Land verlassen werden und es wurde nicht wieder gefunden
".
Bitte, mach dich auf die Suche, finde unser Land, dass uns zurück gegeben wird, was wir unsere Heimat nennen.“ Die alte Frau schaute sie noch einmal bitten an. Dann wandte sie sich wieder dem übrigen kleinen Volk zu. Alle begannen erneut das Klagelied zu summen und dann waren sie bald alle in der Dunkelheit der Höhle verschwunden. Aldasina fühlte wie ihr Herz klopfte. Sie wollte dem kleinen Volk helfen und überlegte nun, was jetzt zu tun war. Wie sollte sie den Weg zu dem verlorenen Land finden. Sie setzte sich auf den Boden und lehnte sich an gegen die Kiepe. Der zarte Duft der Blumen hüllte sie ein, während sie an ihre Großmutter dachte. Draußen prasselte weiter der Regen vom Himmel herab. Das Rauschen begleitete sie ins Traumland.

Sie lehnte an eine Felswand, neben sich ihr Weidenkorb. Dabei spürte sie die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. In ihrem Herzen fühlte sie die Bitte um Unterstürzung. Da hörte sie plötzlich in der Nähe sich ein Rascheln. Sie schaute sich um und blickte in den Eingang einer Höhle. Sie erschrak. Dort bewegte sich etwas. Ein Tier? Die Umrisse wurden deutlicher. Sie schaute in das Angesicht eines Bären. Ihre Blicke trafen sich. „Du hast nach mir gerufen“, sprach er, „auf welchen Weg willst du dich begeben?“

Da berichtete sie ihm von der Begegnung mit dem kleinen Volk und ihrer Aufgabe, der Suche nach ihrem Land.
Der Bär bewegte den Kopf hin und her und schaute sie nachdenklich an. „Wahrhaftig, eine große Aufgabe,“ sprach er. Um den Weg zu öffnen, müssen vier Fragen beantwortet werden. Bist du bereit?“
Sie nickte beklommen und so sprach der Bär zu ihr:

Wer bist Du?
„Ich bin Aldasina, Enkelin der Großmutter, meine Eltern schauen auf mich aus einer anderen Welt, denn sie sind schon gegangen.“ Sie fühlte, wie die Traurigkeit wieder in ihr aufstieg und war doch ohne Angst.

„Woher kommst Du?“:

„Aus dem Tal der sieben Birken, aus der strohgedeckten Kate mit dem Garten der Blumen und Kräuter, dem Hügel, auf dem die Ziegen weiden und dem großen dunklen Wald, der alles umgibt.“ Sie sah vor sich das Land und all das Leben, das dort mit ihr war.

„Wohin gehst Du?“

Sie zögerte. Eigentlich war sie ja auf dem Weg in das Dorf hinter dem Berg, um den Menschen die Blumen bringen. Doch gerade tat sich ein neuer Weg auf. So antwortete sie: „Zum Land des kleinen Volkes. Dorthin will ich gehen.“ Nach dem sie diese Worte gesprochen hatte, war sie selber überrascht, über den entschlossenen Klang ihrer Stimme.

„Was ist Dein Traum?“

Sie erschrak. „Mein Traum?“, fragte sie. Sie überlegte, blickte eine ganze Weile auf den Boden und schaute schließlich den Bären an. „Ich weiß es nicht,“ Ihr Flüstern war kaum zu verstehen.

„Ich sehe“, sprach der Bär, „was dein Herz bewegt. So soll die vierte Frage zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet werden. Komm!“ Er beugte sich zu ihr herab, sie nahm die Kiepe und fand ihren Platz auf seinem Rücken. Das Tier setzte sich in Bewegung, Zunächst mit langsamen, trottenden Schritten, dann schneller und immer schneller. Die Landschaft flog an ihr vorüber, bis die Bilder sich wie in einem reißenden Fluss auflösten.

Nachdem sie wieder zu sich gekommen war, blickte sie sich um. Sie war allein. Von dem Bär keine Spur. Sie schaute in eine öde, graue Landschaft. Soweit das Auge reichte, trockener Sand, dazwischen einige Felsen, weit in der Ferne konnte sie das kahle Gerippe eines einst stolzen Baumes erkennen.

Sie war angekommen, im Land des kleinen Volks. Sie musste nicht lange überlegen, wusste schnell was zu tun war. Neben ihr stand der große Weidenkorb, noch immer gefüllt mit den Blumen und dem Krug mit Wasser. Sie schöpfte ein handvoll von dem kostbaren Nass aus dem Krug und ließ sie auf die Erde tropfen. Das Wasser breitete sich aus, zunächst in einzelnen Furchen, dann immer weiter, ganze Flächen. Dabei veränderte sich der Boden. Das stumpfe Grau des trockenen Sandes verwandelte sich nach und nach in eine schwarze, feucht schimmernde Ackerkrume. Sie schritt über das Land, kniete hier und dort nieder, grub mit beiden Händen in dem Boden, so dass er nach und nach wieder fruchtbar wurde. Von Zeit zu Zeit nahm sie aus dem Korb ein Paar Blumen und pflanzte sie bald hier bald dort über das Land verteilt. Dies alles geschah nach einem Plan der in ihrem Herzen wuchs während sie mit dem Land verbunden war.

So kam es, dass bei den Blumen bald Grasinseln entstanden und in dem frischem Grün Kräuter empor sprossen. An der einen oder anderen Stelle streckte sie sich auf dem Boden aus, fühlte in die Erde hinein und wo es ihr nötig erschien, ließ sie Wasser aus dem Krug fließen. Als sie einmal mit Freude eine gelbe Blüte anschaute, bemerkte sie sie überrascht, wie diese sich mit einem Mal bewegte und als ein wunderschöner Schmetterling davon flatterte. Bald konnte sie auch weiße, blaue und rot-braune Schmetterlinge entdecken, die sanft schaukelnd von Blüte zu Blüte wanderten.

Plötzlich erblickte sie auch grün-blau schillernde Libellen, für einen Augenblick über einer Blüte verharrend, um dann pfeilschnell davon zu eilen. Es dauerte gar nicht lange bis ein tiefes Summen ihre Aufmerksamkeit erregte und wie gleich darauf ein dicke Hummel in einem Blütenkelch verschwand. Überall schließlich auch emsige Bienen, die von Blüte zu Blüte eilten und mit Nektar und Blütenstaub bald reichlich beladen waren. Zwischen den Halmen und Blättern waren kleine Kriecher und Krabbler emsig unterwegs, das ganze Land vibrierte und atmete.

Schließlich schaute sie hinüber zu dem großen alten Baum mit seiner weit ausgebreitete Krone voller Lebensenergie. Sie richtete sich auf und machte sich auf den Weg zu ihm. Dort kauerte sie sich nieder und legte ihre Wange gegen den Stamm, hörte sein Herz schlagen. Sie spürte, wie der Baum sie willkommen hieß, fühlte sich verbunden von den Wurzeln ganz tief in der Erde bis zu den Zweigen, die ganz hoch hinauf in den Himmel ragten.

Sie war erfüllt von all diesen Eindrücken, die sie so sehr bewegten und ihr so viel Glück schenkten. Da vernahm sie plötzlich aus der Ferne Töne, sie schwebten herbei, zunächst leise, dann mit immer mehr Kraft, vereinten sich zu einer eindringlichen Melodie, getragen von unzähligen Stimmen, voller Freude und Jubel. Und dann waren sie auch schon da, die Frauen, Männer und Kindes des kleinen Volkes, tanzten einen bunten Reigen durch die neu erwachte Welt ihres Landes, voller Lachen und ausgelassener Fröhlichkeit hatten sie das Mädchen umringt. Viele von ihnen hatte als Geschenk des Dankes. wunderschöne Blumen und andere Pflanzen mitgebracht, wie das Mädchen sie nie zuvor gesehen hatte. Dann trat die alte Frau mit der leuchtend roten Schärpe aus dem Kreis hervor und dankte ihr für die großartigen, wunderbaren Gaben, mit denen sie das Land in Schönheit wieder hergestellt hatte. Das Lied der Freude, das das kleine Volk schließlich für sie sang, begleitete sie in ihren Traum.

Hinter sich hörte sie plötzlich ein Geräusch. Schritte näherten sich, kraftvoll, langsam und gleichmäßig und dann dazwischen, Sprünge, aufgeregt, spielerisch, hin und her, mal abwartend, dann vorwärts stolpernd. Der Bär, dachte sie, doch da war eine Veränderung zu ihrer ersten Begegnung, etwas Neues. Dann stand der Bär vor ihr, doch tatsächlich war es ja eine Bärin, denn neben ihr lief ein Junges, schaute sie kurz neugierig an und machte denn einen übermütigen Sprung zur Seite.

„Ich sehe“, sprach die Bärin, „du bist bereit, zurück zu kehren“. Das Mädchen nickte. „Dann hast du wohl die Antwort auf die vierte Frage gefunden?“

„Ich weiß nicht,“ sie lächelte unsicher, „es ist so viel geschehen".

So begann sie zu erzählen: Von dem kargen, verdorrten Land, dem Beginn, den ersten Wassertropfen aus dem Krug, wie der Boden, um den sie sich kümmerte, sich veränderte, schwer, dunkel und fruchtbar wurde, von den Blumen aus der Kiepe, die sie gepflanzt hatte, den ersten Inseln der Schönheit, leuchtend bunt, dann das sprießende Grün, die Gerüche und noch mehr Farben, wie immer mehr Leben zurück kehrte, Schmetterlinge und Libellen, Hummeln und Bienen und die all die Kriecher und Krabbler. Und schließlich, das des kleinen Volkes. Während sie erzählte tanzte ihr Herz voller Freude, ihre Wangen glühten und ihre Augen strahlten.

„Du bist den Weg der Schönheit gegangen, Aldasina,“ so sprach die Bärin zu ihr. „Du hast den Traum deines Lebens gefunden. Aldasina, die die Schönheit in ihrem Herzen trägt und in die Welt bringt.“
 Die vierte Frage ist beantwortet. Das Bärenkind kam zu ihr hingelaufen, stellte sich auf die Hinterbeine, legte seine Tatzen auf ihre Knie und schaute sie an. Für einen Augenblick war es ganz still.

„Danke!“ sprach Aldasina, lächelte dem Bärenkind und seiner Mutter zu und verbeugte sich. „Danke!“

„Komm,“ sprach darauf hin die Bärin zu ihr, „die Zeit der Rückkehr und des Neubeginns ist angebrochen.“

Da nahm sie ihre Kiepe auf die Schulter. Schnell fand sie wieder ihren Platz auf dem Rücken der Bärin. Das Bärenkind war schon losgestürmt. Die Mutter folgte in ruhigem Trab. Kurze Zeit darauf war das Mädchen wieder in ihrem Traum versunken.

Als sie erwachte, fand sie sich am Fuße der zerborstenen Eiche. Neben sich die Kiepe mit den Geschenken des kleinen Volks. Als sie an dem Stamm emporblickte, entdeckte sie einen neu gewachsenen einzelnen kräftigen Zweig mit leuchtend grünen Blättern. Sie lachte
. Das muss ich der Großmutter erzählen, dachte sie und machte sich geschwind auf den Weg nach Hause.

 

 

 


 

 

Der erste Strahl

Er lauschte hinaus in die Dunkelheit. Zwischen den Wurzelenden des umgestürzten Baumes hindurch konnte er einzelne Sterne am Nachthimmel erkennen. Hin und wieder hörte er ein leises Rascheln, wenn der Wind die Äste bewegte und Schnee herabrieselte. Er wartete darauf, dass der Mond sich endlich in seiner vollen Größe zeigt. Dann könnte er sich wieder auf den Weg machen. Er war froh darüber, dass er diese Erdhöhle im Schutz der Baumwurzel gefunden hatte, gestern, als er so erschöpft war, dass er seinen Weg nicht weiter fortsetzen konnte.

Er erinnerte sich daran, wie sie ihn in das Zelt gerufen hatten. Sie saßen im Kreis um das Feuer und schauten ihn ernst an. Nie zuvor hatte er so vor dem Kreis der Ältesten gestanden. Schließlich begann die Großmutter zu sprechen. Er kannte den Inhalt ihrer Botschaft. Alle Mitglieder des Stammes wussten Bescheid. Es war die Zeit der langen Dunkelheit, der Kälte, des Mangels, des Wartens. Aber auch die Zeit der Träume, der Zuversicht, der Hoffnung, des Vertrauens. Vertrauen darin, dass die heiligen Kräfte und die Verbündeten des Stammes ihre Gebete erhört hatten, den Klang ihrer Trommeln und den heiligen Gesang.

Dann hatten sie ihm den gesegneten Kristall übergeben. Das Zeichen der Verbundenheit mit dem All-Einen. Seit die Ahnen in dieses Land gekommen waren, war dieser Kristall im Besitz des Stammes. Die Geschichten erzählen, dass sie über das Meer gekommen waren, damals in der Vorzeit der nie erzählten Geschichten. Nachdem sie damals den Strand betreten hatten, war dieses Geschenk der Großmutter zu ihnen gekommen. Es trug das heilige Licht des Lebens.

Jedes Jahr, zum Ende der dunklen Zeit, wählten die Ältesten des Stammes einen der jungen Männer aus. Seine Aufgabe war es, zurück zu kehren an den Strand, an dem die Geschichte des Stammes begonnen hatte. Den Ort zu finden, an dem, nach den Tagen der langen Dunkelheit, Großvater Sonne zurückkehren würde. Ihn dann zu bitten, sich mit der Großmutter zu vereinen und sich mit ihrem Geschenk zu vermählen. Dann würde die Kraft dieser Vereinigung allen Kindern, Frauen und Männern die Pforte in das neue Licht der kommenden Zeit öffnen. So war es geschehen, solange die Geschichten der Vergangenheit an den Feuern erzählt wurde und so sollte es sein, für die Generationen, die kommen würden.

Vorsichtig drehte er sich auf die Seite. In dem Beutel, den er trug, fühlte er die Umrisse des Kristalls, in einem dicken Ledertuch sicher verpackt. Plötzlich durchzuckte ihn ein wildes Verlangen. Seine Hände tasteten nach der Schnur mit der der Beutel verschlossen war. Mit wenigen Handgriffen hatte er den Beutel geöffnet und die schützende Hülle um den heiligen Stein entfernt. Er hob ihn empor, sein Herz klopfte wild.

Ich bin der Hüter des Kristalls, rief eine Stimme in seinem Inneren, wild und zügellos. Sie werden mich bewundern, wenn ich zurück komme. Er sah sich den Pfad entlang schreiten, die Kinder hatten ihn längst entdeckt und liefen laut rufend vor ihm her. Alle würden dann dort sein, nicht nur der Kreis der Alten, nein auch seine Freunde. Bewundernd würden sie ihm zuwinken. Und auch die jungen Frauen würden dabei sein, sicher auch sie. Er sah ihr Gesicht vor sich. Das stille Lächeln, das er so sehr liebte. Dann würde auch bald der Augenblick kommen, dass er sie fragen würde. So oft hatte er schon davon geträumt. Nach seiner Rückkehr von dieser Reise, würde sie seinen Antrag gewiss nicht ablehnen. Er fühlte unbändigen Stolz, voller Begeisterung reckte er beide Hände, in denen er den Kristall hielt noch einmal empor.

Da geschah es. Es schien, als würde der Kristall aus seinen Händen springen. Er konnte ihn nicht mehr halten, seine Spitze schlug eine blutende Scharte auf sein Gesicht und polterte dann auf einen Fels. Ein furchtbarer Schreck durchzuckte ihn. Was habe ich getan? Er tastete nach dem Kristall, hob ihn empor, hielt ihn in das Licht des soeben aufgegangenen Mondes und spürte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen.

Nach dem Aufschlag auf den Felsen durchzog ein feiner Riss den Kristall. Er spürte, wie ihm das Blut über die Wange lief. Der Schmerz der tiefen Scham, die sich in seinem Herzen ausbreitete, was tausend mal stärker als die Wunde auf seinem Gesicht. Der Kristall hatte ihn gezeichnet. Ich bin in meiner Selbstwichtigkeit ertrunken, hörte sich sagen. Was kann ich jetzt noch tun?

Er kniete nieder, presste die Stirn auf den Boden und bat um Verzeihung. Dann kauerte er sich wie ein Embryo zusammen und versank in der Stille.

Plötzlich hörte er die Stimme der Großmutter: „Setze Deinen Weg fort. Deine Aufgabe ist noch nicht beendet.!“

Mit zitternden Knien richtete er sich schließlich auf und verließ die schützende Höhle. Er fühlte, wie unsicher seine Schritte waren. Vorsichtig tastete er sich in dem Dämmerlicht voran. Nachdem er seinen Weg einige Zeit fortgesetzt hatte, blieb er stehen. Er wusste, dass es die Orientierung verloren hatte. Hilflos blickte er sich um. Wohin sollte er seinen Weg fortsetzen? Welcher Pfad würde ihn an sein Ziel führen? Er spürte, wie sein Herz das Blut durch seinen Körper pumpte, es pochte in seinen Schläfen, wie der Ruf der Trommel. Hier, alleine in der Einsamkeit, wen sollte er hier rufen, um Hilfe bitten?

Sein Blick fiel auf einen mächtigen, alten Baum. Eine Eiche, den Stamm war runzelig, wie das Gesicht der Großmutter. Er trat einen Schritt näher, „Noch näher!“ hörte er eine Stimme sagen. Er breitete die Arme aus, umarmte der Stamm und legte seine Stirn vorsichtig auf die Rinde. Seine Augen waren voller Tränen, sie strömten über sein Gesicht. Sein Körper bäumte sich auf, der Stamm gab ihm Halt. Er hätte nicht sagen können, wie lange es dauerte, bis er den Schmerz entlassen hatte. Doch irgendwann war es ganz still.

„Bist Du bereit?“ Für einen Augenblick zuckte er zusammen. Doch dann schaute er sich suchend um. Nicht weit entfernt, aus dem Unterholz heraus, schaute ihn ein Luchs an. Das Tier hatte zu ihm gesprochen, er hatte die Botschaft vernommen.
„Ja!“ antwortete er, „ich bin bereit!“ „Dann folge mir!“ Der Luchs sprang mit einem Satz aus dem Busch heraus auf den Weg und lief los. Zuerst hatte er Mühe dem Tier zu folgen, doch dann fühlte er Kräfte in sich, die er nie zuvor gespürt hatte. Das Tier führte ihn, er war nicht mehr alleine. Inzwischen zeigte sich der Vollmond und öffnete ihnen den Weg. Nachdem sie ein schmales Tal durchquert hatten, sah er in der Ferne das Meer. Er fühlte eine große Weite in seiner Brust.
Plötzlich blieb der Luchs stehen, drehte sich zu ihm um und schaute ihn an. „Du hast Dein Ziel noch nicht erreicht“, sprach er „doch Du hast Deinen Weg gefunden. Lass dich von deiner Aufgabe leiten!“ Dann war das Tier plötzlich verschwunden. Er blickte sich suchend um, doch er konnte nicht einmal eine Fährte im Schnee entdecken. Da verbeugte er sich und sprach in Dankbarkeit das Gebet der Ahnen.

Anschließend setzte er seinen Weg mit gleichmäßigen, weit ausholenden Schritten fort. Er fühlte den Kristall und wusste, was immer jetzt noch geschehen würde, ihm blieb keine Wahl, er musste sich dem stellen, was nun folgen würde. Nachdem er den schmalen Küstenwald durchquert hatte blieb er stehen. Der Mond war gegangen, ein trübes Grau hatte sich breit gemacht. Die Dämmerung kündete sich an.
Vor ihm breitete sich in beide Richtungen ein steiniger Strand aus. Kleine Wellen rollten die Kiesel hin und her. Sie tönten ein leises Musikstück. Sonst war es ganz still. An manchen Stellen lagen noch Bruchstücke der Eisschollen. Einigen Mulden waren mit Schneeresten gefüllt. Dann hatte er die schmale Landzunge entdeckt. Dort, an ihrem Ende, vom Meer umgeben, dort würde er den heiligen Ort finden. Er spürte große Erleichterung, war glücklich, dass er dem Ziel seiner Reise nun so nahe war.Vorsichtig setzte er seinen Weg fort, zur Spitze der Landzunge. Die rollenden Steine unter seinen Füßen ließen ihn immer wieder straucheln. Dann blieb er für einen Augenblick stehen, schloss die Augen richtet,e seinen Blick nach innen und ging schließlich vorsichtig weiter.Schließlich stand er am äußeren Rand der Landzunge, seine Augen wanderten suchend über den Boden. Dann endlich, halb verborgen unter Geröll und einem Büschel Algen, entdeckte er die Umrisse des heiligen Steines.

Er kniete nieder und wischte so lange, bis die Oberfläche feucht glänzend und glatt vor ihm lag. In den Geschichte wurde gesagt, dass dieser Stein die Brücke in die ferne Vergangenheit ist. Deutlich konnte er die fünf Ecken des Steines unterscheiden, wie die Stirnseite eines Hauses, der Dachfirst wies hinaus auf das Meer. Von dort würde die Botschaft kommen, die ersten neuen Strahlen von Großvater Sonne um die neue Verbindung zu Großmutter Erde herzustellen.

Erst jetzt bemerkte er, wie sich der Himmel verändert hatte. Ein feines, durchscheinendes grünes Licht breitete sich aus. Wie wehende Tücher legten sich einzelne Schichten übereinander, verschmolzen miteinander, die Farbe wurde intensiver und verblasste wieder. Mal schoben sich die Bänder hinüber zum Horizont, später bewegten sie sich über ihn hinweg in das Innere des Landes. Ihm schien, als würde ein sehr feines Knistern die Luft erfüllen.
Er hockte sich vor die Steinplatte und begann vorsichtig damit den Kristalls aus dem Ledertuch auszuwickeln, um ihn an seinen Platz zu stellen. Vorsichtig schob er ihn hin und her, um die richtige Position zu finden. Dabei blickte er immer wieder hinaus zu Horizont, dorthin wo jetzt bald die Strahlen von Großvater Sonne sich für wenige Augenblicke zeigen würden.

Dabei bemerkte er, wie sein Blick immer wieder den wehenden grünen Schleiern folgte und seine Aufmerksamkeit gefangen nahm. Dieser Tanz des Lichts verbarg ein Geheimnis. Die weisen Alten des Stammes hatten viel darüber gerätselt. Von einer geheimnisvollen Macht war die Rede, ehrfurchtsvoll wurde geflüstert, wenn der grüne Schleiertanz den Himmel bedeckt. Woher kam diese Kraft, was löste sie aus, welche Botschaft war darin verborgen?
Er hob den Kristall mit beiden Händen in die Höhe, sein Blick fiel noch einmal auf den feinen Riss, dann berührte er ihn mit seiner Stirn und setzte ihn vorsichtig auf die Steinplatte. Er konnte sich nur noch dem hingeben, was jetzt geschehen würde. Für einige Zeit hielt er seinen Kopf gesenkt, dann erhob er sein Gesicht und blickte in den Tanz der grünen Schleier.
In diesem Augenblick verbanden sich die Fasern zu einer gewaltigen Spirale. Diese drehte sich um sich selber, schneller, immer schneller und senkte sich dabei hinab auf die die Halbinsel. Das gewaltige grüne Licht schoss auf ihn zu, er hielt den Kristall noch immer mit beiden Händen fest, als die grüne Kraft ihn erreichte. Der Kristall wurde in seinen Händen hin und her geschüttelt, das Licht hüllte ihn ein, er musste die Augen schließen und dann schien es ihm, als würde er seinen Körper verlassen.

Er konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie viel Zeit vergangen war, bis er seine Augen wieder öffnen konnte. Das grüne Licht war verschwunden. Er hielt den Kristall noch immer in beiden Händen, sein Blick fiel auf die Spitze, sie leuchtete in makelloser Klarheit. Er fühlte, wie sein Atem wieder frei war, eine gewaltige Last war von ihm gewichen. Während er sich umschaute bemerkte er, wie sich das Licht am Horizont veränderte. Das fahle Grau wurde heller und heller.
Dann geschah es. Zunächst schien es nur ein feiner mattgelber Punkte zu sein, dieser wuchs jedoch mit jedem Atemzug den er machte. Der erste Strahl der Sonne wanderte über das Wasser und breitete sich im Raum aus. Jetzt hatte er den Kristall erreicht, erfüllte ihn mit strahlender klarer Reinheit, dem Licht des neuen Lebens.

Sein Herz jubelte vor Freude, tiefe Dankbarkeit erfüllte ihn, während er die Strahlen auf seinem Gesicht spürte. Es dauerte nicht lange, dann war das Licht wieder fort und die Dämmerung kehrte zurück.

Doch jetzt spürte er Zuversicht und neuen Mut, während er den Kristall in dem Ledertuch einhüllte und sicher in seinem Beutel verstaute. Danach bedeckte er den fünfzackigen Stein mit einer dünnen Sandschicht und sprach ein Dankgebet. Dann macht er sich auf den Weg, zurück zu seinen Leuten. Er würde aufrecht vor den Kreis der Ältesten treten, seine Aufgabe hatte er erfüllt.

 

 

 


 

 

Das Feuer des Lebens

Die Sonne war inzwischen unter gegangen. Zwischen den kahlen Ästen der Bäume begannen die ersten Sterne zu blinken. Er spürte, wie die Kälte der Nacht langsam durch seinen Umhang kroch. Nur mit Mühe konnte er den steinigen Pfad erkennen, der sich hinab ins Tal schlängelte. Bald würde der Mond aufgehen, dann musste er den See erreicht haben. Noch wusste er nicht, wie er den Ort erkennen würde. Irgendwo an diesem kleinen See, versteckt in den Klüften des Küstengebirges, war der Platz verborgen, an dem er die beiden Steine finden sollte. Steine mit der Kraft, das neue Feuer des Lebens zu entfachen.

Seine Gedanken wanderten zurück zum Strand. Dort, nicht weit von ihrem Dorf entfernt, war die große Pyramide aufgeschichtet. Den ganzen Winter über hatten sie das kostbare Holz gesammelt. Das ganze Dorf, auch die Kinder waren daran beteiligt. Beinahe jeden Tag waren einige unterwegs, um das Holz, das das Meer gebracht hatte, einzusammeln. Jedes mal musste neu entschieden werden, welches Holz zum Bau der Pyramide und welches Holz für die Herdfeuer dienen sollte. Die Ältesten, die den Pyramidenbau überwachten, achteten sorgfältig darauf, dass das Holz nicht einfach aufeinander geworfen wurde, sondern den strengen Feuerregeln folgend geschichtet wurde.

Dann war auch schon die Zeit gekommen, nach der langen Periode der Dunkelheit, die Zeit der „Tag und Nacht Gleiche“. Die Zeit der Balance von Hell und Dunkel. Der Augenblick des Abschieds und des Neuanfangs. Das leuchtende Feuer der Pyramide würde dann das Zeichen setzen.

Vor einiger Zeit fiel dann die Entscheidung, dass er der Steinsucher sein würde. Eine der jungen Frauen war dazu auserwählt, die Feuerschale zu fertigen, in der die erste Flamme erwachen würde. Noch kannte er sie nicht. Am Morgen der Zeremonie würde er ihr das erste Mal begegnen.

Er wusste, dass er noch heute Nacht die Steine finden musste, um bis morgen wieder am Strand zu sein. Denn dann war der Zeitpunkt gekommen, die Pyramide zu entzünden.Vorsichtig tastete er sich weiter. Nachdem er einen kleinen Hügel überwunden hatte, blickte er hinab in einen runden Talkessel. Dort unten lag der See. Das Mondlicht funkelte auf der dunklen Wasseroberfläche, schaute ihn an, wie ein wie ein geheimnisvolles, schwarzes Auge. Schritt für Schritt begann er mit dem Abstieg, bis er plötzlich stehen blieb. Deutlich konnte er erkennen, dass schwarzer, mooriger Boden den See umgab. Wo sollte er da mit seiner Suche nach de beiden Steinen beginnen? Ratlos begann er suchend hin und her zu gehen.
Da tauchte aus der Dunkelheit der Waldes nicht weit von ihm ein Schatten auf. Der mächtige Körper eines Wildschweins bewegte sich auf den See zu. Er hielt den Atem an. Weiß leuchteten die kräftigen Hauer des Tieres in der Dunkelheit. Es begann mit seiner Schnauze den Schlamm zu durchpflügen. Immer wieder hielt es inne, hob schmatzend seinen Kopf und schaute in die Runde. Es musste ihn längst entdeckt haben. Er blieb still stehen und beugte sich den Kräften, denen er nicht gewachsen war. Plötzlich zuckte er zusammen. Sein Blick schaute jetzt wie gebannt hinüber zu dem Eber.

Gerade hatte es mit seiner Schnauze wieder eine Furche durch den Schlamm gezogen, doch was war das? Zwei faustgroße Steine lagen dicht nebeneinander auf dem schwarzen Moorboden, das Mondlicht legte einen hellen Schein über die feucht glänzende Oberfläche. Im gleichen Augenblick, als er die beiden Steine entdeckt hatte, beendete das Tier seine Futtersuche. Ein tiefes Grunzen ertönte und dabei schaute es zu ihm herüber und blickte ihn aufmerksam an. All seine Angst hatte sich aufgelöst. Er fühlte die starke Verbindung mit dem Tier und wie ihn eine tiefe Dankbarkeit durchströmte.

Der Eber senkte seinen Kopf, kam auf ihn zu, trottete an ihm vorbei und verschwand hinter ihm im Wald. Einen Augenblick lanf zögerte er noch, doch dann ging er hinüber zu den beiden Steinen. Er verbeugte sich vor ihnen und bat um die Erlaubnis, sie mit zu nehmen. Der Ruf eines Nachtvogels gab ihm das Zeichen. Nachdem er beide aufgehoben hatte, bemerkte er dass sie unterschiedlich geformt waren. Während der eine rund wie ein Apfel war, hatte der andere die Form einer Birne. Sofort wurde ihm deutlich, wie sie sich in der Zeremonie ergänzen würden. Er wickelte beide in ein Ledertuch, verstaute sie in seinem Beutel, bedankte sich und machte sich schließlich auf den Heimweg.

Der Mond bereitete ihm einen sicheren Pfad und so erreichte er schließlich das Dorf, noch ehe der Morgen graute. Im Dorf begegneten ihm überall Menschen, auch sie hatten während dieser Nacht nicht geschlafen. Doch niemand sprach, niemand begrüßte ihn, jeder blieb in seiner eigenen Stille. Als er das Versammlungshaus erreicht hatte, standen dort schon die Ältesten bereit, die ihn erwarteten hatten. Er verbeugte sich, nahm die Steine aus dem Beutel in beide Hände. Begleitet von leisem trommeln, das ihn im Geist schon auf seiner Reise begleitet hatte, bewegten sie sich hinunter zum Strand.

Immer mehr Menschen schlossen sich ihnen an, bis der ganze Stamm versammelt war. Kurz bevor
sie die große Pyramide erreicht hatten, bemerkte er neben sich eine Gestalt. Sie trug einen dunkelblauen Mantel und hielt die heilige Schale in beiden Händen.
Er schaute aus den Augenwinkeln zu ihr herüber, doch sie hatte die Kapuze ihres Umhangs tief in ihr Gesicht gezogen. Schweigend gingen sie nebeneinander her, vereint im gleichmäßigen Rhythmus ihrer Schritte. Er konzentrierte sich wieder auf die beiden Steine in seinen Händen. Der runde befand sich in seiner linken, mit der anderen würde er den ersten Schlag ausführen. Kraftvoll genug, damit der Funke entsteht, doch gleichzeitig so achtsam, dass die Steine durch den Schlag nicht beschädigt werden.

Jetzt hatten sie die Pyramide erreicht. Der Klang der Trommeln war stärker geworden. Die Ältesten und der Rest des Stammes bildeten einen Halbkreis.Er setzte seinen Weg fort, ging links an der Pyramide vorbei hinunter zum Strand. Ihm folgten drei junge Männer, die Fackelläufer. Auf der anderen Seite ging sie mit der Schale, gefolgt von drei jungen Frauen, die ebenfalls das Holz mit entzünden würden, um dann das Feuer weiter zu tragen. Kurze Zeit später trafen sie sich auf der anderen Seite der Pyramide wieder. Am Horizont hinter ihnen war ein erster schmaler Lichtschein zu erkennen. Beide gingen aufeinander zu und stellten sich mit dem Rücken zum Meer.

Sie hielt ihm die mit alten Mustern verzierte Schale entgegen. Auf dem Boden der Schale konnte er den fein gesponnenen Zunder erkennen, der dem Funken zum Leben verhelfen würde. Da begegneten sich zum ersten mal ihre Blicke. Sie ließen ihre Augen sprechen. Beiden war bewusst, dies war nicht ihr Augenblick. Sie würden sich wieder finden.
Sie senkten gemeinsam die Augen. Er spürte seinen Herzschlag, atmete tief ein.

Dann
hielt er beide Hände über die Schale und ließ die Steine aufeinander schlagen. Ein Funke lösten sich, dann noch einer, sie verbanden sich mit dem Zunder und bildete eine erste, zarte Glut. Er spürte ihren Atem, wie sie vorsichtig die winzige Flamme unterstützte. Da nahm er die fein geschnittenen Späne und legte sie als neue Nahrung in die Flammen. Gleich darauf brannte ein hell loderndes Feuer in der Schale. Beide nahmen ihre Fackeln und entzündeten sie in der Schale und setzten damit gemeinsam die Pyramide in Brand. Dann drehten sie sich zusammen um und schauten auf das Meer hinaus, in die ersten hellen Strahlen am Horizont. Licht und Dunkelheit waren in Balance.

Jetzt kamen die Feuerläuferinnen und Feuerläufer, entzündeten ebenfalls ihre Fackeln, um damit in den übrigen Himmelsrichtungen das heilige Feuer zu entzünden. Die Trommeln wurden nun lauter und lauter und das Feuerlied tönte weit auf das Meer hinaus. Die Feuerläuferinnen und Feuerläufer liefen hinüber zu den Wartenden und brachten ihnen ebenfalls das neue Licht. Jede Familie hatte eine Fackel mitgebracht, mit der die Flamme in das Haus, an den eigenen Herd gebracht wurde.Draußen am Horizont war inzwischen die Sonne aufgegangen und das Licht breitete sich aus über dem Meer. Dort traf es auf den hellen Schein der Feuerpyramide als Zeichen: ein neues Gleichgewicht war in die Welt gebracht.Und dann geschah es.

In dem goldene Licht über dem Wasser erblickten sie plötzlich die mächtige Fluke eines Wals. Wie ein Zeichen streckte sie sich ihnen entgegen, für alle deutlich sichtbar, gab sie die Botschaft, ehe sich wieder unter der Wasseroberfläche verschwand. Einige Male noch wiederholte sich dieses Schauspiel.

„Sie sind da! Sie sind da!“ tönte es jubelnd von überall. Die Wale würden auch im kommenden Jahr bei ihnen sein, ihnen zeigen, wenn die Fischschwärme auftauchen und die Nahrung mit ihnen teilen. Wie gebannt schaute er hinaus auf das Meer, voller Gewissheit und Zuversicht für das Jahr das vor ihnen lag. Er fühlte sich eingebunden in das große Mysterium, tiefe Dankbarkeit erfüllte ihn.

Dann fühlte er wieder die beiden Steine, die er noch immer in der Hand hielt. Es war an der Zeit sie zurück zu geben. Er schaute zur Seite. Sie hielt ihm die Schale entgegen. Das Feuer darin war ausgebrannt. Vorsichtig legte er beide Steine hinein. Langsam schritten sie in das Wasser hinein, tiefer und tiefer. Oben die Hitze des Feuers unten die Kälte des Meeres. Beide verbeugten sich zum Horizont, dann sprachen sie gemeinsam das Dankgebet. Sie übergaben die Schale mit den beiden Steinen dem Meer, Wind und Strömung haben sie davon getragen.
 

 

 

 


 

 

The Path of Dreaming (Buffalo Rolling Thunder)

The sign

Once upon the time, there was a little boy, who was living with his parents, his brothers and sisters and the rest of his tribe in a small camp, somewhere in the middle of endless prairie in a country, we call in our days the United States of America.
The place was situated in a wide valley next to a busy floating river. Far in the distance, the huge rocks of the Holy Mountains grew up and every evening, when the sun finished her daily walk along the sky with all sorts of red colors, the boy got an idea, why this mountains were called, the Red Mountains.

In these days, the little boy had no proper name yet. He grew up, and as all the other boys in village, uncle "Crow - Wing" showed to him, outside the circle of the wigwams, how to use the bow and the arrow, how to make fire and to read all the trails of the animals who were living around. And of course, on sunny days, the boy went with his friends down to the river for swimming and fishing. In the evening, he often was siting by the fire, and in the darkness he was listening to the stories, his grandfather "Eagle White Cloud" was telling.
In this tribe, grandfather "Eagle White Cloud" was a very respected person. He knew all about the sacred herbs and flowers, that could help people in case of injury, sickness or fever. By reading the drift of the clouds he could tell about the weather and he knew all about the holy ceremonies that are necessary to get in contact with all sacred ones of the different worlds.
People came to him, to tell him about their dreams and to ask him for advice.

"Your dreams", the grandfather once said to the boy, "they can tell you all about the invisible paths all beings are walking on. Your dreams will show you the ways through all the different worlds, the worlds where everything came from and where everything is going to. They are a real present to all the people and it is good to know your dreams and to honor them.
The boy of course had dreamed very often yet. For each dream he remembered, he had found words, for telling the grandfather. Then, the old man was sitting there, listening to the words of his grandson. Seeing his closed eyes, one could think he was sleeping, but from time to time by nodding his head with grumbling noise he was showing, that he attended the telling of the boy quite mindful. Some times ago he had told to him: "Soon there will be given a sign to you, because you have reached the point and now it is the right time to go out into the world, to find your dream, the dream of your life".

The Great Dream, the boy knew what that meant. This dream was something special, different to all the other dreams he dreamt before. It was more, than getting in touch with pictures during the night, which on could remember in the dawn of the next morning.
To dream the Great Dream, that meant to leave the village, to go out into the wilderness, to find his way, up to the loneliness of the mountains, so far away. Walking the holy path, as his grandfa­ther did, his father, all his uncles and all the other man, as long as the memories of history of the tribe reached back into the past.
Out in the solitude, there he would start to sing the chants and dance the dances in pure beauty and holiness, as grandfather had told him.
He would go on and on with dancing, until in the middle of the beat of the invisible drum the Katchina of his dreams would appear and speak to him.
Nobody could predict, what finally would happen, every dancer kept this secret by himself, the whole life long.
Once he had found the way to his Sacred Dream, he would be allowed to leave the Holy Mountains. After all, the little boy would remain up there, and a young worrier would return into the village, carrying his own name know.

One morning, the boy was waking up, stretching himself, like a young tree whose branches are reaching out for the sun. It was the same like every morning, he found it so hard to leave the warm and cozy hole which he built during the night under his warm blanket. In front of the wigwam he heard the soft singing of his mother. His brothers and sisters were still sleeping. He looked into the face of his younger brother, which was half covered by the brown blanket made smooth and cozy fur. In the middle of the wigwam, the mother had already set alight a small fire, the white smoke found his way up to the opening in the top of the tent. As he got up, the smoke prickled in his nose, so he had to sneeze. When he gathered the branches yesterday, he obviously got some, which were not completely dry. In this way it was all right, that his father wasn’t around, probably he would have wrinkled his forehead in a rather reproaching way.

But the father, accompanied by some other warriors of the tribe, was out in the prairie during the night. They were following the buffaloes, one of the man had discovered in grassy plains next to the mountains.
If the men would succeed to shoot one ore two of these mighty animals, there would be enough to eat for the next time, the pans on the fires would be filled up very well. The other meat the women surely would dry to store it for the scanty time during the winter.

During the last time, the kindly smile on his mother’s face was disappeared. The first storm of the autumn was blowing already over the plains and before the first snow was fallen, there should by a good supply of food for the long journey to the winter - camp.
The boy just was putting on his shirt when he stopped amazingly. On his leggings he discovered a brown feather, he realized the pattern, it was the feather of an owl. How it could happen that this feather came into the tent? Who put it at this place? He was scared for a moment, then he finished clothing, took the feather and ran to his grandfather’s tent.

 

Grandfather

Reaching the place rather excited, he was just starting to shout for the grandfather, when he hold back himself, remembering that it was necessary to meet the grandfather in a respectful way. So he beat carefully against the fur that closed the entrance of the tent calling his grandfather with a gentile voice. But there was no reply out of the tent and the boy felt himself rather confused. The feather of an owl, that must be an important sign of course.
Now he needed grandfather’s advice, where was grandfather, where he had gone? The boy went up and down restlessly.

The heat of the young warrior is burning, full of impatience“, he heard telling the voice of his uncle „Hawk Fast Flight“, „grandfather went down to the river before sunrise. You will have to tame the fire in your heard, being patient and waiting for his return“.
The uncle was right, grandfather was ridden down to the river to dance the ceremony of sunrise, nobody was allowed to disturb him. If the hunters out in the prairie would be successful it was depending on, if the old man would be able, to connect in this holy ceremony the energies of Mother Earth with those of Grandfather Sun.
So he squatted down in front of the tent, waiting for grandfather. He wasn’t sure, if he fell asleep once again, but when he realized the voice of the old man, he felt himself wide-awake. Jumping up he was facing the respectful appearance him. His long white hair was falling down to his shoulders framing his serious but still friendly looking face.
Before the boy could even say one word the old man spoke to him: „The Great Holy Spirit has rewarded the patience of my little brother. As I can see, you are prepared for to walk the Sacred Path of Your Dreams.


He took the feather of the owl, which the boy handed over to him.
When the sun is touching the top of the mountains this evening, the moon will have reached his full dimension“, he said. Then the ceremony of cleaning will start and therefor there will be prepared a sweat lodge for you. In the shine of the full-moon there will be the farewell to the time of your childhood. At the next morning, when the day is dawning, the new way of yourself will start.
Grandfather looked at him seriously, but for one moment there was an encouraging twinkle in his eyes.
The boy gave thanks to the old man and went over to the tent to prepare himself for the ceremony. He tried to hid his excitement and when he met his little sister he tried to show a face quite stately, pretending he didn’t realize her.

 

Sacred Dance

Before the sun came up next morning, the boy already had crossed the river and was walking towards the mountains. Even he didn’t sleep at all during that night he felt himself strong and powerful. The grass was still covered with wet dew and while he was breathing in the clear and fresh air of this morning, he concentrated his attention to everything that happened around him. The rustling of the small animals, which were running away, when they realized him, the stately movement of the eagle’s flight, so far away in the blue of the sky and of course he noticed tracks of the buffaloes, crossing his path.
But finally the mountain range in front of him more and more caught his eyes. The mountains where lightened by light shining different shades of red colors of the rising sun. While the sun came up, going upwards higher and higher, he felt the warm rays on his back. And while she went up more and more, the colors of the rocks changed from the light red of the early morning to quite different shades of orange in the later morning. Finally there were to be seen all kinds of different yellow when the sun reached her highest point at noon.

The heat of the burning sun made his walking more and more difficult. So he looked out for a shady place. But there was no tree and no bush and not even a rock that could spend to him some shade. He realized his dry throat, but he knew it was not yet the time to drink. He was not sure if he would find any water up there in the mountains.
Feeling so exhausted now he stood still for a moment and looked around when he discovered a cactus not far away. He felt very glad about that, because he was told by his father about the special kind of leaves of this plant. Even they were looking so dry and prickly there was a well tasting juice inside the leaves which could satisfy his thirst. He was glad to remember his father’s advice, and while he was pulling the knife out of his belt he started to ran over to the plant.
But suddenly he stopped like he was totally paralyzed, he was so frightened that it seemed his hard stood still.
Just in front of him he heard the imminently noise of a rattle snake. He stopped breathing, knowing if he would make one wrong movement, he would be lost. The bite of this snake would bring him his death. He felt the vibration of his tautly muscles, so he forced himself to calm down.
Feeling his knife in his right hand, he started breathing again, very slowly, without any movement. He looked at the animal, he was talking to her in his mind, apologizing. He concentrated his look on a place underneath of her head. And then, everything happened very quickly, like a brightening flash the shining metal whistled through the air. While he jumped backwards the body of the snake was shaking a few times, fell down at the place where he stood just a few seconds ago. He looked down to his feet at the dead animal’s back and the pattern on the skin reminded him of the carvings on his grandfather’s sacred pipe.
Like waking up from a dream, he suddenly realized the very painful thirst. He cut some of the leaves from the cactus hastily and started to suck the sour juice out of them.
Finally he went on, the path went upwards and became more and more stony. He heard himself gasping for breath and it seemed that the wind, storming through the ravines was answering him.
He hardly realized, that the sun went down already and an innumerable amount of stars were sparkling at the black firmament. He was on his way the whole day now, felt so tired and the great wish, just laying down and falling asleep. But in the same time he was sure, that he hadn’t reached yet the final goal of his journey.

Suddenly the landscape changed. He had left the mountains behind him and had reached a wide grassy plain. The wind was blowing could at night and he was shivering, he felt pulsating his blood in his veins in a wild rhythm. After had gone his further for a while, he arrived at a small dale and in the middle of this place there was standing a very old tree. It looked like that he was waving with his branches. Then the boy knew, that he had found the sacred place, he was looking for.

He was so exhausted now, that he would prefer to lay down under the tree to fall asleep. But his actual task was still waiting for him and there wasn’t the time yet to rest.
So he started collecting about twenty stones and put them in a circle attentively to form the sacred medicine wheel. Finally he stood in the middle of the circle, he felt himself safe and secure and all his tiredness had gone now.


First he started to move very slowly, while he was going on, his movements became more and more attentive, until he was finally dancing the sacred dance, his grandfather had told him. He hadn’t to think neither for the movements nor for the word of the holy chanting. He wasn’t singing and dancing like doing a task, but the song and the dance, that was himself, being in contact with all the energy, which was surrounding him.

 

The Vision

All of a sudden far from the distance he heard his grandfathers voice, the hoarse singing, accompanied by the mystery beat of the drum. So the boy continued to dance, until he was covered by the light of the white disc of the moon and it seemed that the silver rays would carry him away.
He continued dancing for a long time, when he heard quite unexpectedly the sound of flowing water and he found himself standing in the middle of a small river. At first he was rather surprised and when he looked around, he was frightened.
Just beside him he recognized the silhouette of somebody standing in the shadow of the darkness and in the bitch-black night there was a mysterious brilliance, sending a message he was not really understanding yet.

But then, he got an idea, „the katchina of the dreams“, he said to himself.
Yes, I am one of the katchinas of your dreams
Look“, the katchina said and pointed to the floating water down to his feet,
This is the river of your life“ pointing in one direction he said, „that’s where you came from“.
The boy turned his head and in the distance he realized another katchina.
He is guarding the drams of your past“, the katchina in front of him said.
And there the river of your life is floating,“ he told him , pointing in the other direction, „there you see the katchina waiting who is watching over the dreams of your future". And after a little pause he continued: When ever you call for us in your dreams, we will be with you, ready for accompanying you".

There was a gentile sound and the picture of the katchina faded like a cloud in a
windy
summer morning.
For a moment, there was a complete silence, and feeling himself surrounded by the deep black of a total darkness he was connected with the whole universe.
Far from the distance there appeared a sound, at the first very smooth and gentile, then it grew up, became louder and rhythmic and soon it sounded like the powerful beat of innumerable huge drums. The sound became louder and louder, the ground was shaking and it seemed that there was a rolling thunder in the air. The air was trembling, making the boy frightened.
The buffalo“, Like a flash of inspiration came the thought into his mind. He knew quite well, that there wasn’t any chance to stop the buffalo’s wild run.
Not so far in the distance he saw already the first animals galloping towards him. He could already recognize their powerful bodies, their lowered heads with the long bent horns. It was such an exiting picture, the boy couldn’t move at all and he was starring at the animals completely paralyzed.
And then he realized just in the middle of the dust cloud the silhouette of a white buffalo. This animal ran much faster than the others and was galloping just towards him.
At the first moment he was totally scared, but then he remembered the word the katchina had told him, and with a loud shout he cried for help.

Like stopped by an invisible hand the powerful animal come to a standstill just in front of the boy. They looked into each other eyes, the boy stretched out his left hand and touched the forehead of the white buffalo, very calm and without any fear. At the same moment a great power was floating through his whole body and when he looked around all the wild buffalo where grazing around him quite peacefully.
Buffalo Rolling Thunder“, said an invisible Voice, „your name is Buffalo Rolling Thunder.“
Subsequently he cried out a tremendous shout and on the back of the buffalo the massage was carried into the whole land.
And all over the country it was known, his name is: „Buffalo Rolling Thunder“

 

 

 


 

 

Walk in Beauty

Once upon a time, when dreams brought wishes and wishes brought dreams, there was a land behind those three old mountains, they called the Great Sleeper Dreamer. At this time, the land was ruled by a really wise and equitable King, so people lived in prosperity and contentment.But then it happened, that the king became sick and when he was going to cross over, he called his counsellor. And he spoke to him: „Go and tell my people, that when I have gone, they should vote from all the nobles of this country, a new king“. But, what nobody knew, this counsellor was a magician, connected with black magic only. So after the king had died, he took over the power by himself and started to rule the country and nobody could resist.

At the beginning, people were mourning about the death of their king, but for the time being, life went on as usual and nobody found out what really had happened. But later, gradually people realized, how things were changing. It first started, that it seemed the weather became more and more cloudy, there was a pale light during the whole day and the only sign from the sun was from time to time a dull glow. You only could guess, that somewhere far in the distance, there might be still existing Grandfather, sending his rays.And more and more the big grey spread all over the country and at the same time, step by step all colours withdraw. People realized, that something was changing, so some of them went to the castle to talk to the new king.

But it happened, that their relatives were waiting for them day after day, however they never returned. Since these days a e people. At the same time the castle on the mountain was more and more covered in darkness and on day, a metal shining figure appeared on top of the mountain, calling out:

"
A new time has come, it’s me, Magiconera, I’m going to rule this land, under my conditions, as you have realized, hopefully!"

Since this had happened, the people where trapped, surrounded by hopelessness fading from Grey to Black, day after day without any beauty of colours at all.

First people were complaining secretly, but they were frightened, because the power of the magician could be felt everywhere. Finally they gave up and lost all their hope as they got used to this life without colours.
Only some of the Elders kept the memories, preserved in old chants and tales. So the time went on - until one day, a little girl, her name was SheeShining came running to her grandmother:
“Grandmother, grandmother!” she shouted, “something strange has happened!" The grandmother, who was really one of the wise Elders, looked up from stiring in a steaming kettle. With a gentile smile she looked to her granddaughter, asking her: “Oh, so excited? What is it? Come and tell me.”
The girl came closer, whispering: “I saw one of these flying Beings, you once called “bird” in one of these ancient tales which are not allowed to be told, and...and...” she was stammering, “it has, it is, there is. I mean, its so beautiful, so full of light. I never have seen before a beauty like this. I don’t know how to describe…..?”

Her eyes wide open she looked into the face of her Grandmother, who was opening her arms.
“I suppose” for a moment she paused and then she continued, “it was the Silver Bird you discovered, the sign, times are ready for changing. So it is told, in the old prophecies,” she whispered and embraced her granddaughter.
"What does that mean?” the girl asked and then, the Grandmother told her. “It is said, that a young girl, who is in the beginning of her first moon cycle, is the chosen one to find the way into the age of colours. And it is you, who is that girl!”
The granddaughter stopped breathing, she was so frightened: “Me? But the magician, how can I …?”
The old woman interrupted her her: “Don’t be afraid, you are not alone. There is more power in the world, you even can imagine. But yes, it’s true, a great task is waiting for you. But it’s also true, that they are ready to be with you“.

Immediately SheeShining remembered the times when she was sitting around the fire next to her Grandmother and the other Elder, listening to the sacred tales and chants and so she asked:
“Are you talking about the Ancient Ones, from this times before time?”
The Grandmother agreed and finally the other Elder were called and they sat in council and decisions were made.

A couple of day´s later, SheeShining and the Grandmother were on their way. And the Silver Bird was with them all the time. After a couple of day’s journey, while the Grandmother had given all the advices that were necessary, they reached a wide valley. Here they followed a small creek down the valley. The glen became more and more narrow, while the mountains grew up higher and higher. Just in front of them there was all the time the Silver Bird to guide them.

Finally they had to continue their way through a very narrow canyon, where they had to climb over all kind of boulders, so that the path hardly was to discover. “We have done it right away” the grandmother encouraged SheeShining, who seemed to be rather exhausted. But then it happened, that a huge rock blocked their way.
“What now, what can we do?” the young girls asked her Grandma with a lot of despair in her voice. “Don’t worry”, she answered, “that’s fine, we have reached our destination. Look, there is the Silver Bird.”

Now the girl also discovered the Bird, who was flying up and down to form a fine silver pattern, that pointed to the bottom of the rock, we the entrance of a cage could be seen.

"
Now you have to go your own way. You are prepared and they are waiting for you” she told her granddaughter, “I’ll stay here until you return back, but look, the Silver Bird will be with you, showing to you the way, so you will find ....”
“The ShiningOnes” the girls completed. And at the same moment it seemed that a circle had been closed. So they embraced each other and then the girl stepped down into the darkness.

Carefully groping she walked ahead, right down into the unknown, just lead by the gift of confidence and trust she received from her Grandmother. And the Silver Bird was with her, never sending light, but always being the sign to guide her. And after a while there were pictures coming up, and she saw the group of people on their way to the magician. She saw very clearly, there were her parents among the group and at this moment she felt such a deep mourning inside her heart but also wonderful consolation she had received from her Grandma.
At the same time she knew, that she was on the way to fulfil the dream of her soul as well as she was serving her people. So she moved foreword beyond time and space, but finally the movement of the bird changed, flying wide circles and spirals and then, a few moments later SheeShining stopped and looked around:

And there she catched sight of a cave which walls seemed to move all the time. A very fine blue light was going up and down and at the same time, circled along the ceiling and at the bottom. While she was hesitating to step ahead, there was was a call, that reached her, in her heart and in her soul.

“SheeShining”, the voice called her name now and at this moment the young woman discovered, that in the middle of cave the blue light formed the silhouette of a person and from one moment to the other she found herself seen by this Lady. Never before she had met a person, with such an aura, such grace and dignity.

“I’m here, to welcome you! The path you are walking, is a path of heart and beauty. But now you tell me by yourself, what are you seeking for, what is your desire?“
"Please help us!” She was nearly crying and her first words were stumbling, but finally she could tell, all the things that happened in the kingdom and about this mourning and grief in the hearts of the people. The Lady, in her tall and slim shape, raised her arms as she was blessing SheeShining.

"
Dont’t be afraid”, she said to the young woman, with a smile on her face, “come closer.”
SheeShining stepped forward and just at this moment the Lady descended her arms and at the same time she held a sparkling crystal in her hands. She offered it to the young woman saying: “This is Silebering, a great gift from the Grandmother, inside is gathered everything, what is missed in your world. So you may go now and give it birth.”
"But the magician?”, asked SheeShining again, as she did to her grandmother, “how can I resist his power and magic?”
"
Keep your heard open minded!” the Lady cheered her up, “Remain in your trust and confidence, you’ll be guided."

Finally she handed over to her the crystal and a moment later, she changed her silhouette while she was disappearing.While the flickering blue light was fading more and more, SheeShining after all reached the exit of the cage. There her grandma was waiting for her. She handed over to her an embroidered pouch and told her to put in the crystal, she was still holding in her hands.

“It ist Silebering, so your task is obvious”, the Grandmother looked at her with an encouraging smile. The young woman was nodding her head. Finally they rushed home. The circle of the Elder were expecting them. And after one night of counselling, the decision was made. She got all the advices and information she needed and in the early morning of spring equinox she was on her way, up to the castle.
Years later, when people tried to remember this so very special day, nobody could remember that Sheeshining was seen by anybody. But they say, that at this day there was a strange noise in the air, that nobody could explain.

When she reached the walls of the castle, there was a foul smell in the air and finally she found herself in the shadows of the huge building. She walked along the wall, until she reached the gate. At the same moment, accompanied by awful thunder and lightening, a black shadow appeared in front of Sheeshining, shouting:

“How can you dare, to get so close to this place? Don’t you know; I could shatter you immediately! Or should I better bewitch you, so you could spend the rest of your days as an ugly creature in the mud!”

And his laughing was really frightening. For a very short moment SheeShining was shocked and she could feel her heart beating so heavily. But then she remembered, what she had taken with her and with a clear and powerful voice, full of confidence, she spoke:

“This time without colour and beauty, now has come to an end. In the name of the people of the land, I claim back, what you have taken from us!”
Once again, there was this horrible laughter followed by a horrifying cry:"You, you …!!!! You crazy little something” the magician was so full of rage, that he was hardly able to breathe.

But feeling the power inside herself, he couldn’t frighten her any more. She took the crystal in booth hands, stretching out the top towards his third eye.

“Oh no!” this time the shock in voice of the magician echoed all over the land, “no, that’s not possible, where did you get….? Oh no it’s - Silebering!”

At this moment, Sheeshining new, that the fight was over. Indeed, the glossy black of Magiconera was fading out, changed to a dull and dirty grey and the huge figure of the magician started to shrink, more and more. After a while only a small bunch of ash was left and the wind came and blow it away.

First the castle, bit by bit got back the fine shining colour of marble and then like the awakening new life, over the plains and the hills the light and the beauty of the colours came back to the land – and at the same time back into the hearts of the people.

SheeShiny returned to her Grandmother where the council was waiting to make decisions for a new and better land, guided by love and beauty and remembering the gifts of the ancestors. At the end they went across the land in all four direction bringing the blessings of the Ancient Ones, to the land and to the people.

Years later, sometimes people asked each other, what happened to SheeShining. Some said, perhaps she took over the power, or did she live just an ordinary life? Others were guessing she went back, into the cage. But on the other hand, there were a lot of people who were totally convinced, they had seen her, may be – yesterday.
 

 

 

 


 

 

Cladinia und Clawinia und der Larimant

Die Zwillinge

In einer Zeit vor dieser Zeit, als Wünsche noch Träume und Träume noch Wünsche brachten, regierten in einem Land hinter den sieben weißen Bergen ein König und eine Königin. Das Königspaar hatte zwei Töchter, die hießen Cladinia und Clawinia.
Cladinia und Clawinia waren Zwillinge und niemand konnte sie unterscheiden, außer ihre Mama: Die wusste nämlich, wenn Cladinia lachte, zog sie ihre linke Augenbrauen hoch und wenn Clawinia lachte war es, na jetzt habt ihr es schon erraten, war es die rechte. Doch es gab noch etwas zwischen den beiden Schwestern, ein großes Geheimnis, das nur sie kannte.

Cladinia und ihre Schwester schlenderten oft durch den Garten, dabei summte sie manchmal vor sich hin, schaute zu der einen oder zu der anderen Pflanze und blieb dann plötzlich stehen. Dann geschah es immer wieder mal, dass sie sich über eine bestimmte Pflanze beugte und
es schien dann beinahe so, als würde sie der Pflanze lauschen oder mit ihr sprechen. Manchmal sagte sie dann zu ihrer Schwester, ich glaube diese Blume ist durstig. Dann eilte Clawinia mit einer Gießkanne voll Wasser herbei und gab der Blume zu trinken.
Einmal gingen sie über eine kahle Sandfläche. Clawinia griff in ihre Tasche und fühlte zwischen ihren Fingern die Samen von Blumen. Sie zeigte die Samen ihrer Schwester und fragte: „Wo sollen sie wachsen?“ Da kniete Cladinia nieder, strich mit ihren Händen vorsichtig über den Sand und dann sagte sie: „Hier! Die Erde wünscht sich, dass an dieser Stelle Blumen blühen.“ So war es für Clawinia leicht den Platz zu finden, an dem sie die Samen der Erde zurück schenken konnte, so dass die Blumen dort ihre Blütenpracht entfalten konnten. Für die beiden Schwestern war es wie ein gemeinsamer Tanz, wenn sie auf diese Weise miteinander den Tag verbrachten.
Sie wuchsen heran und alle Untertanen des Reiches mochten die beiden gut leiden, denn sie hatten ein großes Herz und schufen wunderbare Dinge, zu ihrer eigenen Freude und zur Freude anderer.

Der Garten, rings um das Schloss, war wunderschön, mit seinem weiß leuchtenden Springbrunnen, den weitläufig angelegten Wegen und bunten Blumenbeeten und auch dem glitzernden Teich, in dem weiße und rote Seerosen leuchteten. Hier lud ein Pavillon zum verweilen ein und dort standen an eine Hecke geschmiegt, Bänke mit kleinen Tischen. Dahinter erstreckte sich eine weitläufige Parklandschaft, abwechselnd dicht bewachsen mit hohen Bäumen und
weitläufigen, bunten Wiesen. Die beiden Schwestern waren inzwischen alt genug, dass sie alle diese Orte alleine erkunden konnten. So nutzten sie jede freie Zeit, dort hinaus zu gehen und fanden jeden Tag neue Plätze, an denen es etwas zu entdecken und zu bestaunen gab.

Eines Tages saßen beide am Rand einer Wiese, beobachteten die Schmetterlinge und Käfer, als Cladinia plötzlich inne hielt, ihre Schwester anschaute und flüsterte: „Pst, hörst Du das?“ Clawinia schüttelte den Kopf. „Da, dort drüben, der Busch, es kommt von dort.“ Obwohl Clawinia noch nichts wahrgenommen hatte, folgte sie ihrer Schwester hinüber zu dem Busch. Es war klar, dort geschah gerade etwas, das nur Cladinia wahrnehmen konnte . Die beiden knieten vor dem Strauch nieder und Cladinia deutete hinein in das Grün der Blätter. Vorsichtig bog Cclawinia die Zweige zur Seite und dann konnten sie beide die Bienenkönigin sehen. Deutlich war zu erkennen, ein Flügel war verletzt.

Cladinia schloss die Augen und bewegte gleichzeitig die Lippen. Nach einer Weile sagte sie zu ihrer Schwester: „Du kannst sie zu dir die nehmen. Sie braucht unsere Hilfe“.
Einige Tage später konnten sie die gesunde Bienenkönigin wieder zu der großen alten Eiche zurück zu ihrem Volk bringen. Auf diese Weise waren die beiden Schwestern eng mit der Natur und all ihren Geschöpfen verbunden.

 

Der geheimnisvolle See

In der Weite der Parks und Gärten rund um das Schloss gab es auch Plätze zu denen selten einmal ein Mensch kam. So lagen sie in Stille und sich selbst überlassen und Pflanzen und Tiere konnten sich ihre eigenen Wege suchen. Eines Tages, an einem strahlenden Sommermorgen, waren die beiden Schwestern wieder einmal unterwegs, wanderten auf ihren Erkundungen weiter und weiter. Die Parklandschaft blieb immer mehr zurück, bis sie sich schließlich in einem dichten, mit hohen alten Bäumen bewachsenen Wald wieder fanden. Es war still, nur wenige Sonnenstrahlen fanden noch ihren Weg durch die mächtigen Kronen.
Irgendwann blieben sie stehen, schauten sich immer wieder um und dann fragte Clawinia: „Dieser Ort ist so anders? Hier sind wir noch nie gewesen.“ „Du hast recht“, erwiderte ihre Schwester, „da, schau, dort zwischen den Sträuchern, siehst du das Wasser, wie es glitzert, vielleicht ist es ein See?“

Neugierig gingen sie auf einem kaum sichtbaren Wildwechsel weiter, traten durch ein Gebüsch hinaus auf eine schmale Halbinsel, so dass sie schließlich, auf einen von Erlen und knorrigen Weiden eingerahmten Waldsee schauten. Über der Wasseroberfläche bewegte sich ein feiner weißer Nebel, kein Laut war zu hören, nicht ein einziger Ruf eines Vogels. Die Sonne hatte ihr Strahlen verloren, die Farben ihr Leuchten.

„Es ist hier so still. Was ist das hier für ein Ort ?“ Clawinia schaute ihre Schwester fragend an. „Psst! Da ist etwas im Wasser. Ich kann es nicht genau erkennen.“
„Ich kann nichts sehen!“ erwiderte ihre Schwester ungeduldig.
„Unter der Oberfläche ist etwas verborgen. Es tanzt auf und nieder, bewegt das Wasser und wird von ihm bewegt.“
„Bestimmt Fische“. Clawinia schien erleichtert, „aber lass uns lieber gehen“, bat sie und es lag noch immer ein angstvoller Klang in ihrer Stimme.
„Nein, das sind keine Fische, so etwas habe ich noch nie gesehen. Sieh doch! Das Leuchten in der Dunkelheit. Dort!“ Sie zeigte auf die Wasseroberfläche. „Es ist so….! Ich weiß nicht….!“ Jetzt zitterte ihre Stimme und sie wollte gerade rufen „Komm, lass uns gehen!“ Doch da war es schon zu spät.

Denn in diesem Augenblick begann es unter der Wasseroberfläche heftig zu brodeln, Blasen stiegen auf, ein stechender Geruch breitete sich über dem ganzen See aus. Dann erhob sich langsam eine unförmige, grün – grau Gestalt aus dem Wasser, lange Algen verdeckten Teiles des Gesichts, doch der Mund mit den wulstigen Lippen und die stechenden Augen waren deutlich zu erkennen. Eine Hand zeigte mit auf Cladinia, mit langen spitz gebogenen Fingernägeln.

„Die Böse Norre!“ flüsterte Cladinia. Sofort hatte sie sich daran erinnert, wie sie einmal zufällig ein Gespräch von zwei alten Mägden mit angehört hatte.
Es ging damals um heilsame Kräuter, eien seltenen Zaubertarnk und die unheimliche Gestalt einer Nymphe, die irgenwo verborgen in einem Teich leben sollte.
Zu deutlich waren die Bilder
, die die beiden Alten beschrieben hatten, in ihrem Gedächtnis geblieben. „Die Böse Norre!“ wiederholte sie noch einmal. Ja, es gab keinen Zweifel. Sie war es, die alte Teichnymphe, um die sich so viele geheimnisvolle Mythen rankten.
„Wie kannst du es wagen?“ ihre schauerliche Stimme hallte dumpf über den See, so dass die beiden Schwestern zusammen zuckten. „Noch keinem Sterblichen war es je gestattet mir ins Angesicht zu schauen, ohne meine Erlaubnis. Hat man dir das nicht gesagt? So musst du nun die Folgen tragen, so will es das Gesetz!“

Dabei erhob sie sich noch weiter aus dem See, streckte blitzschnell beide Arm aus und berührte dabei Cladinias Kopf. Das Mädchen schrie auf, versuchte noch den Kopf zur Seite zu beugen, doch da war es schon geschehen.

Gerade konnte sie noch rufen: „Der Larimant, such den Larimant!“ Dann bäumte sie sich einige Mal auf und sank ganz langsam in sich zusammen, die Haut wurde faltig und braun, noch ein paar Zuckungen, dann hatte die „Böse Norre“ sie in eine Kröte verwandelt.
Die Stimme der Alten klang schmerzhaft in Clawinias Ohren. Was war geschehen? Sie hatte den Mund zu einem stummen Schrei weit aufgerissen, während sie zuschauen musste, wie die Teichnymphe die Kröte packte und mit ihr in der Tiefe des Sees verschwand.

 

Der Larimant

„Cladinia!“ schrie sie nun voller Verzweiflung, fiel auf die Knie und beugte sich so weit sie konnte auf das Wasser hinaus. „Cladinia!“ doch ihr ohnmächtiger Ruf verhallte über dem See. Ihre Schwester bleib verschwunden. Irgendwann war sie danach aufgesprungen und in panischer Angst davon gerannt. Sie war gelaufen und gelaufen, ohne auf ihren Weg zu achten.
Später war sie in einem Birkenhain zusammengebrochen und in ihren Tränen versunken. Sie konnte sich nicht erinnern, wie lange sie dort im Gras gelegen hatte, als schließlich eine Stimme sie weckte.

„Clawinia, du bist voller Trauer, wo ist deine Schwester? Was ist geschehen?“ Sie blickte auf, zuerst noch erschrocken, doch dann glitt ein Lächeln der Freude und Erleichterung über ihr Gesicht. Eine silberne Libelle, die sie schon so oft beobachtet hatten und gut kannten, schwebte über ihr und blickte sie voller Mitgefühl an.

Da begann sie zu erzählen, immer wieder wurden ihre Worte von einem tiefen, verzweifelten Schluchzen unterbrochen.
„Welches waren die letzten Worte deiner Schwester?“ fragte die Libelle nachdenklich, nachdem das Mädchen die Geschichte zu Ende erzählt hatte. „Was hat sie dir zugerufen?“ Clawinia überlegte noch einmal kurz und dann antwortete sie:“Larimant, ja so hat sie es gesagt. Larimant! Was ist das?“

Die Libelle bewegte sich schaukelnd in der Luft hin und her. Sie überlegte noch eine Weile und dann begann sie zu erklären. „Lariamant, ja der Larimant, er ist sehr geheimnisvoll und kann große Macht ausüben. Das ist gewiss. Doch er ist aus Sternenstaub gemacht. Nur mit ihm und den Strahlen des Vollmonds kannst du der Norre begegnen, etwas ausrichten und deine Schwester erlösen.“ Das Mädchen versuchte zu verstehen.

„Wo finde ich den Larimant?“ fragte sie. „Du kannst ihn nicht fertig finden. Zuerst benötigst du Sternenstaub. Damit musst du dann die Nebelschleier über dem Endlosen Fluss durchqueren und den Feuerdrachen finden. Nur er kann aus dem Sternenstaub einen Larimant erschaffen.“
„Bitte Libelle, sage mir, wie kann ich Sternenstaub finden?“
„Er findet sich überall auf den Blüten der Frühlingsblumen, bis zum ersten großen Gewitter, dann wird er fort gewaschen. Bienen können ihn sehen und auch sammeln. Du musst zur Bienenkönigin gehen und sie um Hilfe bitten.

Da bedankte sich Clawinia bei der silbernen Libelle und machte sich auf den Weg zur Bienenkönigin.

Als sie die Bienenkönigin endlich erreichte, hatte diese Clawinia schon erwartet. „Ich habe die schreckliche Nachricht schon erhalten,“ begann die Bienenkönigin. „Wir wünschen uns alle, dass deine Schwester aus dem Bann der Norre befreit wird. Doch es ist eine große Aufgabe, die vor dir liegt. Willst du dich dieser Aufgabe stellen?“

„Ja“, zuerst war es noch ein Flüstern, mit dem Clawinia antwortete, doch dann sprach sie mit fester Stimme: „Ich werde alles tun, was hilft meine Schwester zu retten.“ Die Bienenkönigin summte zustimmend. „Ich war mir sicher, dass du dich auf den weiteren Weg machen würdest. Schon habe ich das Volk ausgesandt, sie werden Sternenstaub sammeln und zu diesem Ort bringen. Leg deine Schürze hier an den Baum, darin wird der Sternenstaub gut aufgehoben sein. Bis das Volk zurückgekehrt ist, ruhe dich hier bei uns aus. Du wirst noch viel Kraft benötigen.“


Kurze Zeit später war Clawinia ins Traumland gereist. Sie ging über ein weites Feld. Obwohl keine Sonne schien, leuchtete ein helles durchsichtiges, blaues Licht. Ein sanfter Wind bewegte die Luft. Während sie langsam weiter wanderte, schaute hinaus zum unendlichen Horizont.
Da hörte sie plötzlich hinter sich ein Geräusch. Ein Schatten hüllte sie ein, als würden sich zwei weite Flügel um ihre Schultern legen. Zuerst hörte sie einen leisen Gesang, dann sprach ein Stimme zu ihr: „Clawinia, erschrick nicht! Ich bringe dir eine Botschaft.“
 
Sie vernahm deutlich ihren Herzschlag und doch bliebe ihr Atem gleichmäßig und sie spürte Vertrauen und Zuversicht.

„Nimm den Sternenstaub der Bienen und wandere der aufgehenden Sonne entgegen. Du wirst ein Wasser erreichen, dass sie den Endlosen Fluss nennen. Auf der anderen Seite liegt das Drachenland. Dort wird er sein, der Feuer – Drache. Nur er kann dir helfen, aus dem Sternenstaub den Lariamant zu erschaffen. Doch du kannst den Fluss nicht überqueren. Die Nebelwand in seiner Mitte ist die Grenze, die du nicht alleine überschreiten kannst. Doch an seinem Ufer werde ich auf dich warten. Dann wird deine Reise weiter gehen“

„Aber wer bist du, wie kann ich dich erkennen?“ „Sei unbesorgt“, fuhr die Stimme fort. Der Schatten wurde größer und eine samtene, warme Dunkelheit hüllte sie schließlich vollkommen ein.

Als sie erwachte, an den Stamm der alten Eiche gelehnt, fand sie neben sich ihre Schürze. Darauf der Sternenstaub, er verströmte ein silbern blaues, geheimnisvoll schimmerndes Licht.

„Nun kannst du deine Reise fortsetzen,“ sprach die Bienenkönigin zu ihr. Ein Stück des Weges wirst du von uns noch Begleitung haben, doch dann werden andere Kräfte dich leiten."
Clawina schnürte ihr Bündel, bedankte sich bei den Bienen und ihrer Königin und machte sich auf den Weg, der aufgehenden Sonne entgegen.

Bis sie dann schließlich das Ufer des Endlosen Flusses erreicht hatte. Zuerst schaute sie hinaus in das gleichmäßig vorbei strömende Wasser, ließ dann ihren Blick weiter wandern, bis sie weit in der Ferne am Horizont die graue Nebelwand erkannte, die Grenze zum Drachenland. Die große Stille, die sich in dieser Weite ausbreitete, erschreckte sie. Sie fühlte sich so klein. Für einen Augenblick spürte sie eine Mutlosigkeit in sich aufsteigen. Doch dann besann sie sich an die Hilfe und Unterstützung, die sie auf ihrem Weg schon erhalten hatte. Dabei stieg aus dem vorbeiziehenden Fluss langsam das Bild ihrer Schwester auf. Sie hatte die Arme ausgebreitet, ihr weißes Kleid leuchtete über dem Wasser. Langsam kam sie näher. Clawinia wollte sie rufen. Da änderte sich das Bild nach und nach. Aus dem strahlenden Weiß des Kleides wuchs der Umriss eines Schwanes.

Erschrocken riss sie ihre Hand empor und presste sie gegen die Lippen. Der Schwan hatte da auch schon das Ufer erreicht und kam auf sie zu. Jetzt erinnerte sie sich an das Bild der schützenden Flügel aus ihrem Traum und ihr Herz war voller Freude. Sie streckte dem Schwan beide Hände entgegen. „Du hast mich erwartet und jetzt erkannt,“ sprach er zu ihr. „Komm, folge mir, ich werde dich hinüber bringen. Wir wissen nicht, ob der Feuer – Drache vorbereitet ist, wie er dich empfangen wird. Doch dein Anliegen wird es dir leicht machen, ihm zu begegnen. Bist du bereit?“ „Ja!“ sie bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Komm, nimm das Bündel, halte dich gut fest, die Schleier der Wolkenwand sind zuweilen nicht berechenbar.“

Kurz darauf fand Clawinia auf den Rücken des Schwans und wurde davon getragen. Die Zeit nahm sie mit sich fort bis sie die sich plötzlich in einem kaum durchsichtigen, sich hin und her bewegenden Schleier wieder fand. Der Schwan war verschwunden. Angestrengt blickte sie in das matte Grau und tastet sich voran. Dabei hielt sie das Bündel mit dem Sternenstaub fest an sich gepresst. Wohin sollte sie ihre Schritte jetzt lenken? Sie versuchte sich zu erinnern, welche Worte der Schwan zu ihr gesprochen hatte. „Feuer – Drache“, hörte sie sich flüstern, „Feuer – Drache, bitte komm, hilf mir!“

Noch eine ganze Zeit war sie weiter gegangen, hatte sich immer wieder in alle Richtungen umgeschaut, als sie bemerkte, wie die Schleier sich langsam veränderten, sie wurden durchsichtiger und bewegten sich kaum noch. Plötzlich begann in der Ferne ein gelbes und rotes Leuchten empor zu steigen, wie eine langsam erwachende Sonne. Dieses Licht bewegte sich immer schneller auf sie zu, hüllte sie ein, für einen Augenblick und nahm dann die Gestalt des Feuer – Drache an. Der Drache blickte sie an, seine goldenen Augen funkelten.

Während er sein mächtiges Haupt langsam hin und her bewegte sprach er zu ihr: „Habt ihr in eurer Menschenwelt denn noch immer nicht gelernt mit der Anderswelt zusammen zu leben? Muss es denn immer wieder diese Ereignisse geben?“
Clawinia schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen erschrocken an. „Wir wollten doch nicht...wir wussten doch nicht...es geschah doch alles so…….!“

„Ich habe schon verstanden,“ unterbrach sie der Feuer – Drache, „deiner Schwester und dir kann man ja eigentlich wirklich keinen so richtigen Vorwurf machen. Eure Verbindung, nun, die ist ja schon eine besondere, schon sehr viel anders, als bei den meisten dieser Menschenwesen.“

Bedächtig wiegte er dabei sein mächtiges Haupt wieder hin und her und dann fuhr er fort: „Es wird sich zeigen, wer euch weiter dabei helfen kann zu erkennen, was ihr eigentlich schon wisst und in euch tragt und wie ihr es mit den Welten vermählen könnt, absichtsvoll und aufmerksam. Doch jetzt wollen wir uns auf den Weg machen. Wir müssen hinauf, auf die Spitze des Drachenberges.“

Damit lud er Clawinia ein auf seinen Rücken zu klettern und dann erhob er sich mit mächtigen Flügelschlägen und es dauerte noch eine Zeit, bis sie den den Ort erreicht hatten, an dem das heilige Drachenfeuer von Anbeginn brannte. Hier nahm der Feuer – Drache den Sternenstaub aus der Schürze des Mädchens und verschwand damit in der Tiefe seiner Höhle.

Als Clawinia sich ihre Schürze wieder umbinden wollte bemerkte sie, dass sie ein Vielzahl von Blumensamen in den Taschen trug. Ich will sie dem Feuer – Drachen als Zeichen meiner Dankbarkeit hier lassen, dachte sie und pflanzte die Samen rund um die Höhle in den Boden. Dann setzte sie sich an den Eingang der Höhle und während sie dort wartete war sie nach kurzer Zeit eingeschlafen. Es war das gelb – rote Licht, das langsam wieder in ihr Bewusstsein trat und sie erwachen ließ. Neben ihr lag der Drache und schaute sie an. „Du hast wunderbare Schönheit geschaffen“, sprach er und dabei blickte er um sich und ließ seine Freude erkennen über alle die bunten Blumen, die jetzt hier auf dem Drachenberg gewachsen waren.

Als das Mädchen in das Angesicht des Drachen blickte
,
war sie überrascht. Sein Gesicht hatte sich verändert. Auf seiner Stirn, zwischen den Augen, leuchtete mit hellem Blau ein geheimnisvoller Edelstein, in dessen Mitte eine strahlend gelbe Sonne pulsierte, der Lariamnt. Noch ehe sie etwas sagen konnte schaute er sie an und sprach zu ihr: „In seiner Gegenwart darf es nicht sein, dass Menschenworte erklingen. Doch nimm ihn in deine Hüterschaft und vollende damit deine Aufgabe. Ich werde dich jetzt zurück zu den Schleiern bringen.“

Sie nickte, da senkte er sein Haupt, sie hielt ihm ihre geöffneten Hände entgegen, und nahm darin den Lariamnt in Empfang. Während sie den Stein in ihren Händen spürte, begann ihr ganzer Körper zu vibrieren. Sie kletterte auf den Rücken des Feuer – Drachen und dabei durchströmte sie tiefes Vertrauen und sie konnte wieder gleichmäßig atmen, während sich der Drachen in die Lüfte erhob und es dauerte nicht lange, dann waren sie wieder in die Schleier eingetaucht. Sie konzentrierte sie ganz auf die Bilder, die der Larimant in ihr wachsen ließ. Eine große Weite lag vor ihr, in der sie gemeinsam mit ihrer Schwester unterwegs war, in einer Zeit die kommen würde, bald. Am Rand ihres Weges standen unzählige Menschen, kleine und große, die sie voller Freude begrüßten. Und das Land öffnete sich für sie, voller Erwartung.

Während diese Bilder sie erfüllten hörte sie plötzlich die Stimme des Schwans: „Du bist zurück gekehrt, Clawinia, nun ist es an der Zeit, deine Aufgabe zu beenden. Ich bringe dich jetzt in den Wald, wo du den See finden wirst, um ihr zu begegnen, die sie so einfältig die „Bösen Norre“ nennen. Wir werden zur rechten Zeit dort sein, denn der Vollmond wird in dieser Nacht leuchten und dir helfen dein Werk zu vollenden. So achte nun gut auf den Lariamt, er ist der Schlüssel“. Ohne eine Antwort abzuwarten erhob sich der Schwan mit Clawinia auf dem Rücken und machte sich in die hereinbrechende Dunkelheit hinein auf den Weg.

 

Neubeginn

Bald darauf fand sich Clawinia wieder in der Tiefe des Waldes. Der Vollmond öffnete ihr den Weg und so dauerte es nicht lange, da sah sie in der Ferne das dunkle Wasser des Sees im Mondschein glitzern. Vorsichtig näherte sie sich der Spitze der Halbinsel, bis sie schließlich am Uferrand stand. Sie fühlte den Larimant in ihrer rechten Hand, es war ein leises Pochen, das sich in ihrem Körper fortsetzte.
Während das Bild ihrer Schwester vor ihrem inneren Auge aufstieg, kniete sie nieder und streckte, dicht über der Wasseroberfläche, die geöffnete Hand mit dem Stein hinaus auf den See.

Da begann das Wasser im See aus einem hellen gelben Kern heraus zu leuchten. Aus der Dunkelheit der Tiefe stiegen zartgrüne und blaue Schleier empor, die sich miteinander verwebten. Auf der Wasseroberfläche tanzten Nebelschwaden in allen Regenbogenfarben. Clawinia schaute voller Staunen auf dieses bunte Schauspiel, das sich hier in dieser Vollmondnacht ereignete. Sie spürte die Nähe ihrer Schwester.

„Cladinia, Cladinia, wo bist du?“ hörte sie sich leise rufen. Da begann sich über dem Wasser ein Wirbel zu bilden, stärker, immer stärker tanzten die Farben umeinander. Aus der Tiefe des Sees stieg empor, in diesen Strudel hinein, die Norre. Doch das Alte begann zu verschwinden. Es waren zuerst die grünen und blauen Schleier die um sie herum wehten, sie einhüllten und in ständigen Bewegung wurde dieser Tanz wilder und wilder. Die Strahlen des Vollmonds brachen sich in den Schleiern. Leuchtende Kaskaden stiegen auf, Fontänen sprühten kraftvoll funkelnde Lichtblitz in die Weite über dem See, bis an die Uferflächen. Da gab es nichts mehr von dem Bild der Norre, das noch in Clawinias Erinnerung war. Die alten Muster begannen zu zerfließen. Mit der Kraft des Larimants und den Strahlen des Vollmondes löste sich das Alte auf. Etwas Neues war dabei zu entstehen, rund um den See und darüber hinaus, eine wunderbare Schöpfung, so voller Schönheit und pulsierendem Leben.

Während Clawinia noch voller Staunen auf dieses Schauspiel blickte bemerkte sie, dass der Lariamant aus ihrer Hand verschwunden war. Im gleichen Augenblick sah sie ihre Schwester, wie sie durch das flache Uferwasser auf sie zu schritt. Sie sprang auf, lief ihr entgegen und beide fielen sich in die Arme.

Sie fanden am Ufer einen schmalen Sandstreifen. Dort ließen sie sich nieder, spürten gemeinsam die alte Vertrautheit und Nähe zueinander und die tiefe Dankbarkeit, die sie miteinander verband. Dankbarkeit zu all den Wesen, die diesen Augenblick möglich gemacht hatten. Während die Wirbel auf dem Wasser langsam zur Ruhe kamen, begann der Morgen zu dämmern. Die beiden Schwestern hatten noch immer kein Wort gesprochen, da streckte Clawinia plötzlich beide Arme aus und rief: „Cladinia, schau doch!“

Überall am Ufer des Sees leuchteten im ersten Morgenlicht die strahlend gelben Blüten unzähliger Wasserlilien. Ihre Schwester lachte. „Ja, es ist so wunderbar, alles ist ganz neu, ganz anders, sieh diese Schönheit!“

Nach einem Augenblick der Stille fuhr Cladinia fort: „Die Norre?! Wer wusste schon wirklich etwas von ihr? Ich meine, wer kannte tatsächlich ihre Geschichte? Unsere Begegnung mit ihr hat etwas Neues auf den Weg gebracht. Diese gelben Blumen zeugen davon. Doch davon will ich dir später mehr erzählen“.
 

 

 

 


 

 

Orte der Wandlung

Die Prophezeiung

Sein Gefühl für die Kälte der Einöde um ihn herum war längst erloschen, er hatte seinen Weg fortgesetzt, die Zeit war an ihm vorbei gegangen in der ewigen Eintönigkeit dieser Dämmerung, die ihn nun schon so lange umgab.
Er erinnerte sich an die Nacht am Strand. Seinen Weg hatte er verloren, in der Dunkelheit, schließlich in einer Höhle der Steilküste Zuflucht gefunden. Damals, dann im Traum, kam der Wal zu ihm, hatte ihn gerufen, unübersehbar war sein hell leuchtende Zeichen, die hohe Gischt, eine sprühende Säule. Er hatte ihm den Weg gezeigt zu dem Baum, der nach langer Reise über das Meer hier am Strand seine letzte Ruhe gefunden hatte und der in seinen Wurzeln diesen geheimnisvollen Stein verbarg, einen Kristall. Wer hatte ihn so ungewöhnlich gleichmäßig geformt? Mit einer Hand konnte er ihn umfassen. Hatte damals zum ersten mal diese Kraft gespürt.
Dann hatte der Wal zu ihm gesprochen:
„Die Feuer sind erloschen. Es warten zwei Aufgaben auf dich. Finde die Orte. Hüte den Kristall. Er wird dich leiten. Danach musst du dich entscheiden. Das ist deine dritte Aufgabe. Und höre genau zu, höre meinen Gesang!“
Hinab tauchend in die Tiefe, hatte ihn der Wal zurückgelassen. Nur der Gesang war geblieben, mit unterschiedlicher Intensität, doch immer vernehmbar. Und so hatte seine Reise begonnen.

 

Träger alter Zeichen

Während er jetzt weiter voran schritt, spürte er, wie der Boden unter seien Füßen steiniger wurde. Der Weg führte ihn hinab in eine Senke. Auf beiden Seiten erhoben sich felsige, steil ansteigende Hügel. Nur das Geräusch seiner Schritte war zu hören. Er bemühte sich, den Walgesang wieder deutlicher zu hören, während seine Hand an dem umgehängten Beutel entlang strich und dabei die Umrisse des Kristalls fühlte. Plötzlich drang ein stechender Geruch in seine Nase. Gestorbener Rauch, kaltes, längst erloschenes Feuer führte ihn zum Eingang einer Höhle.

Die Stimme des Wals war jetzt ganz deutlich zu vernehmen. Die Steine am Eingang waren an manchen Stellen rund geschliffen und mit geheimnisvollen Zeichen versehen. Er versuchte in dem Dämmerlicht Einzelheiten zu entziffern, vorsichtig strich er mit den Fingerkuppen über die Einkerbungen, doch die Botschaften blieben ihm jetzt noch fremd. Schritt für Schritt drang er tiefer in die Höhle ein. Obwohl er nirgendwo eine Fackel oder ein Feuer entdecken konnte, wurde der Raum nach und nach von einem zitternden Licht erfüllt, das mehr und mehr eine zartblaue Farbe annahm. Während er sich umschaute, entdeckte er, wie sich in einer Felsspalte etwas bewegte. Regungslos blieb er stehen.

Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten und trat auf ihn zu. Der braune Umhang schleifte über den Boden, die Kapuze fiel nach hinten, während das Gesicht zu ihm aufblickte. Ein uraltes, zerfurchtes Gesicht, doch die Augen blitzten ihn an, voller Energie und Lebenskraft. Der Mann war klein, reichte ihm gerade bis zum Gürtel. Auf dem silbernen Medaillon, das der Alte auf der Brust trug erkannte er eines der Zeichen, das er an der Pforte ertastet hatte. Tief in seinem Inneren spürte er wie es zu ihm sprach, hörte seine Antwort und nahm es in sich auf.

„Ich höre den Gesang“, sprach er zu ihm, „wie es möglich ist, dass du mich gefunden hast, weiß ich nicht. Doch du musst es es sein.“ Er machte ein Pause und dann wiederholte er: “Ich höre den Gesang. Hast Du ihn mitgebracht?“
Er zögerte, griff nach dem Beutel, fühlte den Kristall. Dabei schaute er sich um, irgendwo hatte es hier einmal ein Feuer gegeben. Was wusste der Alte? Was war sein Anliegen? Was sollte hier seine Aufgabe sein? Fragend schaute er ihn an.
„Hast du es denn noch nicht begriffen?“ seine Stimme klang ungeduldig. „Was glaubt ihr Menschen, über die Abläufe, die Veränderungen?. Und Du, jetzt? Was spürst du denn gerade, jetzt, hier?“
„Hier gab es einmal ein Feuer,“ platzte es aus ihm heraus. „Es, es kann noch gar nicht so lange her sein.“
„Das kannst du also wahrnehmen?“ der Alte kam noch näher und er blickte ihn überrascht an. Seine Stimme klang noch etwas ungläubig. Es schien, als versuchte er etwas in seinem Gesicht zu entziffern. Und dann, nach einer Pause fuhr er fort: „Ich glaube ich kann es sehen, du bist tatsächlich auf dem richtigen Weg“. Jetzt lag eine freudige Überraschung in seiner Stimme. „Dies ist der Ort der Wandlung oder ich sollte sagen, an dem die Wandlung beginnt.“

Er drehte sich um und wies mit beiden Armen in die Tiefe der Höhle. „Folge mir!“ forderte der Zwerg ihn auf und ging mit schnellen Schritten voran. Sie waren eine Weile gegangen und kamen dann schließlich zu einem nahezu runden Raum. Auch dieser schien zunächst erfüllt von dem grauen Dämmerlicht. Doch aus den Wänden leuchteten, zuerst zaghaft, dann immer stärker, in unregelmäßigen Abständen verschieden farbige Lichter auf. Sie traten in wechselnden Mustern aus den Felsen heraus, zeigten sich für einige Augenblicke, veränderten dabei ihre Helligkeit und verschwanden dann wieder im Stein. In der Mitte des Raumes befand sich ein weiter Kreis aus unterschiedlich großen Feldsteinen. In der Mitte der Feuerstelle lagen aufgeschichtete Holzscheite. Alles schien vorbereite, um ein Feuer zu entfachen. Doch dann, als er genauer hinschaute, entdeckte er überall in der Feuerstelle Gegenstände. Einen Stuhl mit drei Beinen, eine Truhe, in der beschriebene, teilweise zerrissene Papierseiten lagen, eine verwelkte, geknickte Rose, ein zerfetzter Schuh, ein Rad mit geknickten Speichen, ein zerbeulter Topf, ein Glas mit Wasser und noch viele verschiedene andere Gegenstände.

„Hier wird alles gesammelt“, sprach der Alte aus dem kleinen Volk, „von jedem, der etwas bringen möchte, Nacht für Nacht“. Er schaute ihn prüfend an. „Du musst selber darüber entscheiden, ihr nennt es: träumen. Es liegt in deiner Macht, was mit deinen Träumen geschieht. Wenn du dein Erleben des Tages hierher schickst, dann geschieht es, es wird hier gesammelt, etwas geht hinüber, die Vorbereitung, dass es zu neuem Leben erweckt werden kann, neu, anders, verändert“. Er machte eine Pause, schaute ihn durchdringend an und setzte dann seine Erklärung fort. „Zeichen mit neuer Bedeutung. Bilder hinter den Bildern. Geschichten hinter den Geschichten. Fragen, die zu Antworten werden. Die Muster entstehen neu, aus den alten. Hier, in diesem Feuer, das Ende für einen neuen Beginn. Viele Menschen warten darauf, darum bist du hier. Wir müssen das Feuer neu entfachen. Komm!“

Er winkte ihm zu und hockte sich an dem Steinkreis nieder. „Nimm den Kristall“, forderte er ihn auf. Eine steile Falte stand zwischen seinen buschigen Augenbrauen, während er sich konzentriert umschaute und dabei die aufflackernden Lichter musterte.
Der Kristall in seinen beiden Handflächen schien sich auszubreiten, begegnete dabei dem leisen Gesang des Wales, der in gleichmäßigen Wellen immer wieder ertönte. Er kniete ebenfalls am Rande des Steinkreises nieder. Plötzlich schwebte der Alte über der Feuerstelle, streckte ihm die geöffneten Handflächen entgegen. Seine Hände mit dem Kristall folgten der Aufforderung und dann spürte er, wie er plötzlich eingebunden war in ein größeres Sein. Sein ganzer Körper vibrierte und dabei fühlte er, wie sich aus den Wänden der Höhle um ihn herum die Lichtstrahlen auf den Kristall zu bewegten. Zunächst war er erschrocken, doch die Anwesenheit des weisen Alten gab ihm Sicherheit.

Der Kristall in seinen Händen begann zu glühen, gleich darauf sprühten Funken aus der Spitze. Was ist das für ein Feuer, schoss es ihm durch den Kopf. Es ist nicht heiß und doch, so viel Energie. In diesem Augenblick züngelten die ersten silbernen Flammen in der Feuerstelle empor. Er schaute gebannt in diese Flammen, die er so noch nie gesehen hatte. Die Gegenstände, die in der Feuerstelle lagen, veränderten sich auf eigentümlich Weise. In hellen Schleiern stiegen Bilder empor, Pflanzen wurden erkennbar, ein Meeresstrand in wellenförmiger Bewegung, es erschien plötzlich ein schmaler Weg, der durch einen dichten Laubwald führte, das Glas aus dem Fenster in einem hohen Turm fiel auseinander und ließ ein leeres, dunkles Auge zurück, dann lief ein Kind vorbei, mit einem Ball und viele andere Bilder, die sich ineinander verwebten und zur Höhlendecke aufstiegen.
Gleich darauf stand der Alte wieder neben ihm, hatte sich dem Feuer zugewandt, beide Arme ausgebreitet. Eine Melodie stieg auf aus dem Feuers, ein Lied ertönte, Worte die er nicht verstand, doch in der Melodie fand er Töne aus dem Gesang des Wales.

Dabei hörte er plötzlich auch seine eigene Stimme. Er war eingebunden, ließ sich tragen. Den Kristall hielt er an sein Herz gepresst. Das Feuer vor ihnen war in einer ständigen Bewegung, neue Gegenstände tauchten in den Flammen auf und unter seinen Blicken fand ein Prozess der fortlaufenden Veränderung statt. Er spürte, wie er Teil dieses Prozesses war, er hatte ihn mit ausgelöst und wurde jetzt mit getragen. Er sah sich in seinen Bildern in den Flammen und konnte gleichzeitig wahrnehmen, wie sich diese veränderten und dabei etwas Neues entstand. Während in diesen Tanz der Veränderung eingebunden war, hörte er plötzlich die Stimme des Alten. „Du hast dich gefunden. Es ist an der Zeit, dass du deinen Weg fortsetzt. Noch ist es nicht abgeschlossen, was dich erwartet. Doch es ist alles vorbereitet, du kannst dich deiner nächsten Aufgabe stellen“.
Es schien ihm, als würde er aus einem Traum erwachen.

Der Mann aus dem kleinen Volk stand wieder neben ihm, gab ihm noch einige Hinweise, worauf er auf seinem weiteren Weg achten sollte. Dann griff er in eine Tasche seines Umhangs und hielt gleich darauf ein fein gewebtes, silbern glänzendes Tuch in der Hand. Er trat einen Schritt näher, dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und legte das Tuch behutsam über den Kristall. Dabei schaute er ihn aufmerksam an. War da jetzt ein Lächeln in seinen Augen?
Nachdem er den Kristall sorgfältig in das Tuch eingewickelt und in seinem Beutel verstaut hatte bedankte er sich dem Alten. „Nimm alles,“ sagte dieser zu ihm „für dich und sie, die anderen. Und jetzt komm!“ Er begleitete ihn zum Ausgang der Höhle, für einen Augenblick war er selbst von dem Dämmerlicht, das draußen noch immer herrschte beinahe geblendet. Als er sich um schaute, um sich vo dem Mann aus dem kleinen Volk verabschieden, war dieser verschwunden.
Da wusste er, dass er seinen Weg weiter gehen musste, doch er ging mit der Gewissheit, er war nicht allein. Der Gesang des Wals war bei ihm. Und so konnte er seine Reise fortsetzen.

 

Feuer - Vogel

Der Weg führte ihn irgendwann hinauf in die Berge. Zunächst durch weite, blühende Wiesen. Später wurde der Weg steiler. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um Atem zu schöpfen, hörte sein Herz schlagen. Nachdem er den Hochwald durchquert hatte, erreichte er schließlich ein weite, karge Hochebene. Mit leisem Singen strich der Wind durch das spärlich gewachsene Gras, er schaute sich immer wieder um, doch wohin er auch blickte, sein Blick verl or sich in der Leere. Eine graue Weite umgab ihn. Alles schien miteinander verschmolzen. Er suchte nach einem Zeichen, an dem er sich orientieren konnte. Wohin sollte er seine Schritte wenden? Unsicher tastend setzte er seinen Weg fort. Da stieg sie in ihm auf, wieder die Melodie des Wals, verhalten, doch es war seine Botschaft. Achtsam, Schritt für Schritt bewegte er sich langsam vorwärts. Plötzlich blieb er überrascht stehen. Etwas hatte ihn angehalten.

Er stand direkt am Rande eines weiten Kraters, der sich vor ihm auftat. Die glatten braungrauen Felswände bildeten einen beinahe runden Kessel. Auf seinem Grund erblickte er ein eiförmiges Gebilde, das sich mit seiner hell wie Marmor schimmernden Oberfläche, deutlich vom Grund des Kraters abhob. Gebannt starrte er in die Tiefe. Was war das für ein Ort? Wohin hatte ihn der Gesang des Wales geführt.
Seine Hand tastete nach dem Kristall. Im dem Augenblick, als er ihn berührte, begann das Licht im hellen Zentrum des Kraters sanft zu pulsieren. Ich gleichen Moment spürte er über sich am Himmel eine Bewegung verbunden mit einem leisen, pfeifenden Geräusch und die Schatten von zwei ausladenden Flügeln breiteten sich über ihm aus. Erschrocken blickt er empor und diesem Augenblick flog ein mächtiger Vogel über ihn hinweg, umkreiste dreimal das weiße Zentrum des Kraters, um dann darauf zu landen.

Der Vogel schaute ihn an. Die Federn seiner Flügel schimmerten gold-grün. Die Federn, die den Kopf einrahmten leuchteten in mattem Rot-Gold. Zwei Augen, mit dem Strahlen einer unendlichen Tiefe, funkelten ihn an. Ein mächtiger, golden leuchtender Schnabel reckte sich ihm entgegen, öffnete sich und der Vogel sprach zu ihm:
„So lange Zeit ist es her, dass dieses Ziel gefunden wurde. Seit das Feuer erloschen ist, liegt dieser Ort in grauer, tiefer Leere, ich umkreise ihn und bin dazu verurteilt, zu warten. Jetzt bist du gekommen und ich sehe, dass du bei ihm gewesen bist. Du stellst die Verbindung her.“
Er blickte den Vogel fragend an. „Meinst du zu dem Alten aus dem kleinen Volk, den ich getroffen hab, das Feuer in seiner Höhle?“
„Das ist richtig“, bestätigte der Vogel, “er hat dir den Anfang des Weges der Wandelungen gezeigt, auf dem die Träume sich bewegen. Was aus seinem Feuer aufsteigt, wird von mir aufgenommen und dann……“
„Das Ei!“ unterbrach er den Vogel voller Aufregung, „aus dem Ei wird dann….“ er zögerte.
„…….wird dann das Neue geboren“, ergänzte der Vogel und fuhr fort: „Aus den Geschichten der Vergangenheit werden die Geschichten der Zukunft geboren. Wenn das Feuer wieder die Kraft der Wandlung bringt.“

Er erinnerte sich an die Feuerstelle in der Höhle und blickte dabei hinab in den Krater. „Was kann ich jetzt hier tun?“ Das Ei in der Tiefe des Kraters erschien ihm unerreichbar weit entfernt.
„Du wirst ihn jetzt aus dem Beutel holen“, wiese ihn der Vogel an, „er hat dir doch das Silbertuch mit auf den Weg gegeben?“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
Vorsichtig wickelte er den Kristall aus dem fein gewebten Tuch. Er war völlig überrascht, wie groß es jetzt war.

„Breite es aus, dann nimm den Kristall und setze dich mit ihm auf das Tuch“, befahl ihm der Vogel. Mit ein paar Flügelschlägen hatte er sich vom Grund des Kraters erhoben, dann war er auch schon über ihm und mit den Krallen seiner beiden Füßen ergriff er das Tuch an seinen äußeren Enden und erhob sich damit vorsichtig in die Luft.
Er atmete tief, um das Gleichgewicht zu behalten, blickte abwechselnd auf den Kristall und dann hinunter in den Krater. Jetzt befanden sie sich direkt über dem Ei.
Da sagte der Vogel zu ihm: „Erinnere dich an an das Zeichen in seinem silbernen Medaillon, zeichne es mit der Spitze des Kristalls auf das Ei“.

Er schloss die Augen und suchte nach den Bildern in der Höhle, bis er ihn wieder vor sich sah, in seinem braunen Umhang, dem so alten, zerfurchten Gesicht, auf dem jetzt ein Lächeln schimmerte. Da war dann auch das Medaillon, das Muster.
Er befand sich jetzt über dem Ei, beugte sich nach vorn und begann vorsichtig den Kristall im Rhythmus des Zeichens zu bewegen. Bei der ersten Berührung begann das stärker und stärker zu pulsieren und dabei zu wachsen.
Gleichzeitig veränderte sich die Wand des Kraters. Ringe in den Farben des Regenbogens stiegen aus der Tiefe des Kraters und dem Ei hervor und suchten sich pulsierend, in langsamen, kreisförmigen Bewegungen ihren Weg nach ober zum Kraterrand.
Als er das Zeichen auf der Oberfläche des Eis zur Vollendung gebracht hatte, hob ihn der Vogel langsam in die Höhe, umrundete das Ei noch dreimal im Uhrzeigersinn und setzte ihn dann wieder am Rande des Kraters ab.

Der ganze Platz vibrierte und das Regenbogenlicht hüllte das hell leuchten Ei ein. Er konnte seinen Blick kaum losreißen von diesem Farbenspiel und fühlte doch gleichzeitig eine tiefe Erschöpfung. „Jetzt kann der Kreis sich schließen,“ sprach der Vogel zu ihm. „Es ist nun meine Aufgabe, aus dem Alten des Neue zu gebären. Ich werde jetzt hinein gehen und wenn ich zurückkehre bringe ich die neuen Bilder der Träume. Zu denen, die darauf vorbereitet sind. Sein Gesang wird mit dabei sein".
Er machte eine Pause, doch gleich darauf fuhr er fort: "Solange du den Kristall trägst, bist du für ihn verantwortlich. Bedenke, welche Kraft ihm inne wohnt und welche Wandlungen er ermöglichen kann. Doch nun trennen sich unsere Wege“
Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen erhob er sich und schwang sich hinab in den Krater. Er landete auf dem Ei. Seine Federn leuchteten jetzt in den Regenbogenfarben, die von der Wand des Kraters zurück geworfen wurden.

Vor seinen Augen begann das Ei weiter zu wachsen, der Vogel wurde kleiner und kleiner, bis das Ei ihn vollkommen eingehüllt hatte und er schließlich darin verschwunden war.
Er drückte den Kristall n seine Brust und ließ sich langsam zu Boden sinken. Es schloss die Augen und dann begleitete ihn wieder das Lied des Wales, während er sich zur Ruhe legte.
Ein letzter Gedanke bewegte noch sein Herz, bevor er in einen tiefen Schlaf fiel. Wenn der Vogel aus dem Ei neu geboren wird, bringt er die Träume zurück, zurück in die Träume und dann in den neuen Tag.

 

Am Scheideweg

Wieder war er lange Zeit gewandert, zunächst hatte er das Gebirge verlassen, schließlich eine weite Ebene durchquert. Oft hatte er auf dieser Wanderung nach dem Kristall getastet, ihn sogar einige Male aus dem Beutel genommen, ihn dann angeschaut und dabei diese besondere Kraft, dieses unsichtbare Feuer gespürt. Dabei stellte er sich auch immer häufiger vor, welche Macht er in seinen Händen hielt. Die Bilder zogen immer wieder vor seinen Augen vorbei, das Feuer, aus dem alles neu geboren werden kann. Er konnte es lenken.
Wie die Menschen dann zu ihm kommen, sie würden ihn bewundern, er, der Hüter dieses Zaubersteins. Dann sah er sich, umringt von unzähligen Menschen, die ihm zu jubelten und ihn verehrten. Ungeduldig beschleunigte er seine Schritte, als er am Horizont die Silhouette einer großen Stadt erkennen konnte. Da hatte er auch schon den Entschluss gefasst. Sie sollte sein Ziel sein. Mit dieser Kraft, die ich jetzt mit mir trage,werde ich es sein, von dem alles ausgeht, der lenkt, gestaltet und herrscht.

Bald konnte er schon die Stadtmauer und mächtige Wehrtürme ausmachen und dahinter einzelne Bauwerke erkennen, manche von beeindruckender Größe. Es musste eine prächtige, reiche Stadt sein, auf die er sich jetzt zu bewegte. Nach einer Weile fiel ihm jedoch auf, dass nirgendwo Menschen oder andere Lebewesen zu erkennen waren. Auch ein Stadttor suchte er vergeblich. Wie sollte er Zugang zu dieser Stadt bekommen?
Er zögerte, seine Schritte wurden langsamer. Da bemerkte er plötzlich, wie der Himmel sich verdunkelte. Dicke, tief hängende Wolken zogen auf, einen Augenblick lang schien alles still zu stehen. Er spürte wie sein Atem schwer wurde. Und dann ertönte sich ein gewaltiges Tosen, aus der Stadt erhob sich wie ein gewaltiger Pilz eine grün-schwarze Wolke, breitete sich als ein tosender Strudel über die Stadt aus und hatte gleich darauf das umliegende Land eingehüllt.
Aus den dunklen Wolken formten sich plötzlich furchtbare Gesichter, riesige Augen, mit flackernden, von Blitzen durchzuckten Pupillen, weit aufgerissenen Mäuler, da, mit einer heraushängenden, gespaltenen Zunge, dort mit spitzen, gebogenen Zähnen. Wohin er blickte, er war umgeben von diesen schrecklichen Kreaturen. Nirgendwo schien ein Ausweg. Sie rasten auf ihn zu, schneller und schneller, wollten ihn wohl verschlingen.

Die Bilder durchzuckten ihn, rissen ihn hin und her. Er hatte sie gerufen. Jetzt hatte er sie wieder erkannt. Es waren seine Selbstwichtigkeit, sein Machtstreben, seine Überheblichkeit, sein Größenwahn und all die anderen Eitelkeiten, für die er den Kristall missbrauchen wollte. Er musste ihnen ins Auge blicken, sie hatten ihn gepackt und schüttelten ihn. Mit einem Aufschrei ließ er sich zu Boden fallen. Er zog seinen Mantel über sein Haupt, sein Körper bebte, immer wieder stieß er den Schrei aus, die Bitte um Vergebung. Wer sollte ihm verzeihen? Dann schwanden ihm die Sinne.

 

Stimmen im Dialog:

Dass es nun doch so weit kommen musste!“
„Also, damit hatte ich eigentlich auch nicht gerechnet.
„Nicht einmal auf den Wal - Gesang hat er noch geachtet.“
„Es schien tatsächlich so, als hätte ihn etwas fortgerissen.“
„Ich hatte ja nicht gedacht, dass er so anfällig ist, für dieses Spiel mit der Macht.“
„Du hast recht, aber er ist ein Mensch, wir können manche ihre Beweggründe einfach nicht verstehen.“
„Das stimmt, doch immerhin hatte er ja die Stimme des Wals zunächst einmal vernommen und er hatte uns gefunden. So war der Beginn, wie der Beginn sein sollte“
„Gewiss und es schien ja zunächst so, als würde er mit dem Zyklus gehen können.“
„Ja, was dann danach wohl passiert ist, ich kann es einfach nicht verstehen.“
„Jetzt wiederholen wir uns, er ist eben ein Mensch.“
„Doch wie soll es jetzt weiter gehen?“
„Ich schlage vor, wie nehmen den Kristall an uns und schließen den Kreis.“
„Ja gut, ich kenne das ja schon von dir. Du bist ja immer ziemlich streng.“
„Was heißt streng. Einfach nur konsequent.“
„Und wie wäre es trotzdem noch mit einer einzigen Chance?“
„Willst du mich weichklopfen? Was sollte dafür sprechen?“
„Denk an den Beginn und die Zeit, als er mit uns im Kontakt war. Hast du da gar nichts gespürt?“
„Ja, das schon, ich war ja zunächst selber überrascht, wie schnell er den Ort wahrgenommen hat und sich in die Abläufe hinein versetzen konnte. Es gibt wohl doch etwas in ihm, das ihm hilft, diesen Weg zu gehen . Na gut, irgendwie hast du recht. Geben wir ihm noch eine letzte Chance.“

 

Abschluss und Neubeginn

Er fühlte sich eingebttet in den gleichmäßigen Schlag der Wellen, die gegen die Küste brandeten. Dazwischen ertönte er wieder, weckte seine Sinne, ließ ihn aufhorchen: Der Gesang des Wals. Und so begann seine Reise erneut. Der Kristall, den er an sein Herz gedrückt hielt, schrieb die Botschaft der Erinnerung in seine Seele. Er hatte vernommen, was sie ihm mit gegeben hatten, für den Abschluss dieser Reise. Jetzt war er auf dem Weg, die Mission zu beenden. Irgendwann führe der Weg ihn in einen Wald. Alte hohe Bäume breiteten ihre Kronen aus. Trotz des dichten Laubdachs war der Wald von einem hellen, goldenen Leuchten erfüllt. Er spürte in seinem Inneren eine tiefe Ruhe. Woher kommt dieses Gefühl der Geborgenheit?, überlegte er. Inzwischen war die Nacht herein gebrochen. Der Mond schien durch die Bäume und ließ ihn den Weg erkennen.

Da erblickte er plötzlich in der Ferne ein flackerndes Licht und konnte auch schnell die Umrisse einer Hütte erkennen. Aus dem Schornstein stieg feiner Rauch empor. Langsam kam er näher. Da erblickte er auf einer Bank vor der Hauswand eine alte Frau. In ihren Händen hielt sie ein feines Gewebe aus silbernen Fäden, auf denen sich das Mondlicht spiegelt. Ihre Finger bewegten sich flink hin und her und es schien, als würden sie die Mondstrahlen in das Tuch hinein weben. Sofort musste er an den Kristall und das Tuch, in das dieser eingewickelt war, denken.

Er blieb stehen. Ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen, blickte sie zu ihm auf und sprach mit freundlich einladender Stimme: „Dieses ist dein Ziel, du hast es nun erreicht. Tritt näher“. Mit einer Kopfbewegung lud sie ihn ein, sich neben sie zu setzen. Während er sich hinunter beugte, konnte er einen Blick in das Haus werfen. In einer Ecke des Raumes stand ein aus Feldsteinen gemauerter Herd, in dem ein Feuer brannte. Darauf ein Topf, aus dem mit leisem Glucksen kleine Dampfwolken aufstiegen. Der Duft einer sanft köchelnden Gemüsesuppe streichelte seine Nase. Er schluckte, spürte den Hunger in seinem Körper.

Eine Weile saßen sie still neben einander. Schließlich hob sie das silberne Gewebe empor, hielt es ihm entgegen und sprach: „Der Augenblick ist gekommen, es zusammen zu fügen und neu werden zu lassen.“ Er hatte verstanden. Vorsichtig holte er den Kristall aus dem Beutel und wickelt ihn aus dem Tuch, das er der alten Frau reichte.
Sie verknüpfte die beiden Tücher zu einem neuen und gab es ihm zurück. Gleich darauf hatte er den Kristall wieder in das neu gewebte Tuch eingehüllt. Seine Bewegungsabläufe waren so gleichmäßig, als würde er diesen Ablauf Tag für Tag wiederholen.
„Kommt“; sagte sie zu ihm, erhob sich von der Bank und ging an der Hauswand entlang. „Hier wird es vollendet“.
Dann standen sei beide hinter dem Haus vor einem Brunnen. Sie ging auf die andere Seite und blickte ihn an. Das Licht des Mondes ließ ihr Gesicht leuchten. Mit einem warmen, herzlichen Lächel streckte sie beide Hände aus und wies hinab in die Tiefe.

„Das ist der Weg.“ Dann begann sie eine Melodie zu summen, zunächst ganz leise, dann wurde ihre Stimme immer kraftvoller, tönte schließlich weit hinaus über das Land. Es war der Gesang des Wals.
Er spürte in beiden Händen die feine Struktur des Tuches, das den Kristall einhüllte. Dann beugte er sich über den Rand des Brunnens und schaute hinunter in die Dunkelheit der Tiefe. Er senkte seine Hände und getragen von dem Gesang ließ er ihn hinab gleiten.

Im gleichen Augenblick, als der Kristall seine Hände verlassen hatte, begann sich das doppelte Tuch aufzulösen und ein feiner silberner Lichtschleier erfüllte den gesamten Schacht des Brunnens. In der Tiefe breitete er sich aus zu einen weiten, bodenlosen Raum in dessen silbern funkelnden Sphären der Kristall seine Form verlor, sich weiter und weiter ausdehnte, um schließlich mit dem Licht zu verschmelzen. Geblendet von der strahlenden Helligkeit schloss er seine Augen und trat einen Schritt zurück.

Später blickte er hinüber auf die andere Seite des Brunnens, suchte das Gesicht der alten Frau. Sie war verschwunden. Schwer atmend stütze er sich mit beiden Händen auf den Rand es Brunnens, fühlte die grob behauenen, uralten Steine. Er zwang sich, nicht noch einmal in die Tiefe zu schauen. Seine Aufgabe war beendet. Die Feuer brannten. Der Kreislauf war wieder geschlossen. Etwas Neues hatte begonnen, in dem ewigen Verlauf der Wandlung.
Da wandte er sich um und machte sich auf den Weg, zurück in die Hütte. Seine Glieder waren schwer, langsam schritt er voran, dabei erinnerte er sich an die Flammen im Herd und den Duft, der aus dem Kessel emporgestiegen war. Sie hatte ihm ihre Fürsorge zurück gelassen. Aus der Krone eines Baumes erklang der Ruf eines Vogels.

 

 

 


 

 

See der Widerspiegelung (Pool of Reflection)

Sechzehn Winter hatte er jetzt hier mit ihnen gelebt. In diesem abgeschiedenen Tal in den Bergen. Er kante seine Geschichte, sie hatten ihm alles erzählt. Diese Nacht damals, mit dem mächtigen Schneesturm, der Wagen, der vom Wege abgekommen, umgestürzt auf dem Grund der Schlucht lag. In einem Korb, unter Decken vergraben hatten sie ihn gefunden, das schreiende Baby. Die Eltern waren in dieser Nacht ums Leben gekommen.

Sie hatten ihn zu sich genommen, als einen der ihren. Er hatte ihre Lieder gelernt, lebte im Einklang mit ihren Gesetzen, war vertraut mit ihren Geschichten, fühlte sich zu allen Zeiten mit ihnen verbunden, war ein Teil von ihnen. Nie hatte er darüber nachgedacht, Mutter, Vater, die Geschwister, der Großvater, sie alle waren Teil seines Lebens, hier fühlte er sich geborgen und aufgehoben. Sie waren die Menschen, die ihn gelehrt hatten, ein Teil zu sein, dieser Gemeinschaft und der Welt die sie umgab.


Lange schien es ihm, als würde dieser Zustand für immer andauern, bis zu der Zeit, als er eines Nachts erwachte mit dem Gesang eines Vogels, der zu ihm gekommen war. Töne, die er nie zuvor gehört hatte. Sie hatten ihn gerufen, etwas in ihm bewegt, das er vorher nicht gekannt hatte. Dann war sie in ihm erwacht, diese Unruhe, dann kamen diese bohrenden Fragen. Er konnte keine Worte dafür finden. So kam der Tag, dass er zum Großvater gegangen war.
„Großvater, was sind das für Rufe, die ich höre, ohne Sprache, tief in mir drin. Es wird mir doch alles gegeben, hier in dieser Welt, in der ich lebe, mit euch. Was sind die Quellen dieser Fragen, dieser Unruhe, dieses Suchens?
Der Großvater blickte ihn lange an, dann sprach er: „Wir haben dir gegeben, was wir die geben konnten. Du bist deinen Weg gegangen. Doch da ist mehr, als wir dir geben können. Es gibt Welten, zu denen wir kein Zugang haben. Du musst sie selber finden, entdecken, erkunden. Dich mit ihnen vertraut machen. Ich weiß, sie sind da, sie warten auf dich. Doch mir sind sie noch nicht begegnet.“

„Was soll ich tun?“ er hatte den Großvater angeschaut, Angst war in seinem Gesicht, wer konnte ihm sonst noch eine Antwort geben. Der alte Mann sah die Furcht in seinen Augen, da sprach er: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, es sind deine Ahnen. Sie sind schon immer da, jetzt ist die Zeit gekommen, ihnen zu begegnen“.
„Wo? Wo kann ich sie treffen?“ die Stimme des Jungen war noch immer voller Verzweiflung.  „Du musst den See suchen. Dieser See, er ist der Torweg zu deiner Geschichte. Dort kannst du die Antworten auf deine Fragen finden. Ich kenne diesen Ort nicht. Doch ich weiß, dass es ihn gibt. Und ich bin sicher, du wirst den richtigen Weg einschlagen.“

Später war er dann auf seinem Weg. Sie hatten ihm alles mit gegeben, was ihm seine Reise erleichtern würde. Und alle guten Wünsche ihrer Herzen. Er war ganz auf sich gestellt und fühlte doch, dass er nicht alleine war.
Lange war er gewandert. Er traf andere Menschen, kam an unterschiedliche Orte, doch er wusste, dass er noch nicht den richtigen Platz gefunden hatte. An einem Abend, die Sonne näherte sich dem Horizont, als er ein Wäldchen erreichte. Während er sich umschaute, um einen Ruheplatz zu finden, entdeckte er einen kleinen See. Unter den tief hängenden Zweigen einer uralten Weide kauerte er sich nieder und schaute auf das Wasser. Der See war zu beiden Seiten von hohen Bäumen eingerahmt. Sie warfen dunkle Schatten auf das Wasser. Vom gegenüber liegenden Ufer legte die tief stehende Sonne mit sanften Strahlen einen goldenen Schleier auf
die Oberfläche des Sees. Es war ganz stille, kein Windhauch regte sich, wie ein blanker Spiegel blickte ihn die Wasseroberfläche an. Er ließ sich vorsichtig die Böschung hinunter gleiten. In der unmittelbaren Nähe zu dem Wasser spürte er eine tiefe Ruhe und Geborgenheit. Plötzlich wusste er, dieses war der Platz, er hatte den See gefunden, von dem der Großvater gesprochen hatte. Er kauerte im Ufersand nieder, seine Fußspitzen berührten des Wasser, dabei lauschte er in die Stille.

Er
blickte auf das Wasser, die Sonne hatte inzwischen auf der anderen Seite des Sees von diesem Tag Abschied genommen. Da entdeckte er plötzlicher auf der Wasseroberfläche die schmale Sichel des zunehmenden Mondes. Er blickte hinauf zum Himmel, da dieser helle Stern neben dem Mond, er überlegte, was  haben diese Bilder zu bedeuten? Ich weiß es nicht, dachte er, ich würde jetzt so gerne jemand fragen.

Dabei spürte er, wie ihn immer mehr Bilder einhüllten, wie wehende Vorhänge schienen sie aus der Dunkelheit des Sees aufzusteigen. Plötzlich sah er seine Ängste, Zweifel, Unsicherheiten, doch dann plötzlich auch sein Lachen, seine Neugier, seinen Mut und sein Mitgefühl, wie er das verletzte Kind gefunden und zurück ins Dorf gebracht hatte. Während die anderen weiter gezogen waren, zur Jagd. Er sah sich mit den anderen um das Feuer sitzen und hörte sich dabei zu, wie sie die alten Lieder sangen. Sah sich neben dem Großvater, seinen Geschichten lauschend. Es schien ihm, als würden die Jahre seines Lebens an ihm vorüber ziehen, Bilder auf wehenden Tüchern, irgendwann zusammengerollt, in der Schale eines Kürbis.


Die Bilder wehten noch einige Zeit auf und ab, durchwebten die Dunkelheit des Wassers um nach und nach zu verblasen. Da wuchs aus der Tiefe, wie eine pulsierende Blase, ein Licht dass sich mehr und mehr ausbreitete. In diesem Licht konnte er die Schatten eines Mannes und einer Frau erkennen. Sie streckten ihm ihre Hände entgegen und riefen ihn zu sich. Nur sie kannten diesen Namen, der in ihm schlief und jetzt geweckt wurde. Er trat ein in die Welt des Gestern, aus der er gekommen war und die ihm bis jetzt noch so fremd war. Immer tiefer tauchte er ein, bis sich ihre ausgestreckten Hände berührten. Über sich spürte er die Mondsichel und den unbekannten Stern. Er fühlte die Hände der der Mutter, die seine linke Hand umfassten und die Hände des Vaters um seine rechte. Dann waren sie sich ganz nah, er spürte sie, sah in ihre Gesichter und so war er schließlich bei ihnen. Er hatte sie wieder gefunden.

Dann
verbrachten sie die Tage miteinander, im Gespräch, in Stille, im miteinander tun. An ihrem Platz, am Ufer eines Flusses, dort konnte er mit ihnen sein und sie erleben.
Die Musik des Vaters, seine Stimme, seine Instrumente, Töne, Melodien, die Gesänge der Lieder. Der Garten der Mutter, wie sie die Pflanzen erkannte, mit ihnen verbunden war, eine gemeinsame Sprache gefunden hatte und die Gaben der Natur als Geschenke entgegen nahm. Er sah die Tiere, die den Ort aufsuchten, sah sich und alle Anderen als Teile eines Ganzen. Dabei spürte er mehr und mehr, wie sehr diese Botschaften ihn an die Menschen erinnerte, mit denen er bisher zusammen gelebt und die er kennen gelernt hatte. Es gab eine tiefgreifende Verbundenheit und ein Miteinander. Da spürte er ein großes Glücksgefühl, dass er voller Freude mit seinen Eltern teilte. Dabei hatte er nun erfahren, dass der Weg seines Lebens tiefe Wurzeln hatte. Und so wie die Wurzeln der Bäume, miteinander verbunden waren, so fühlte er sich verbunden mit denen, die vor ihm gegangen waren. Doch wie konnte er zu ihnen einen Weg finden, sich mit ihnen verbinden?
Als er den Eltern diese Frage stelle, schauten die Mutter ihn lächelnd an. „Du hast den ersten Schritt getan,“ sprach sie zu ihm, „und du hast erkannt, dass noch andere Welten um dich sind, die hinter den Schleiern auf dich warten.“

So kam die Zeit, dass sie ihn lehrten, die Schleier zu erkennen und sie zu durchschreiten. Sie halfen im, die Furcht vor dem Unbekannten zu verlieren und weiter darauf zu vertrauen, dass er auf seinem Weg nicht alleine war. Dazu unterwiesen sie ihn auch, dass heilige Pflanzen und Gesänge starke Verbündete auf diesem Weg sein konnten. Sie lehrten ihn, ihnen mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen. Anfangs begleiteten sie ihn noch dabei, wenn er Ahnen aus den Generationen, die vor ihnen gegangen waren aufsuchte, später konnte er diese Weg alleine gehen, ohne sich hinter den Schleiern zu verlieren. So trat er ein, in die Zeiten längst vergangener Räume und traf dort auf Menschen seiner Geschichte, die vor ihm gegangen waren. Sie lehrten ihn zu sehen, was schlafend in ihm darauf wartete erweckt zu werden. Sie begleiteten ihn auf Wegen, die längst verschüttet schienen und öffneten Pforten für ihn, deren Schlüssel oft abgebrochen oder im Schloss eingefroren waren. Auf diesen Reisen in die Geschichten seiner Geschichte schenkten sie ihm immer wieder die Gelegenheit in seine eigne Seele zu blicken, indem sie ihm erlaubten, in den Spielgel ihrer eigenen Vergangenheit zu schauen.

Oft wusste er nicht, ob es noch der See war, der Ort an dem er mit seinen Eltern den ersten Schritt in seine Geschichte gemacht hatte. So kam es, dass er eines Tages zu ihnen sprach: „Es haben sich so viele neue Weg für mich aufgetan, noch bin ich hier bei Euch an dem Ort, an dem diese Reise begann. Es scheint an der Zeit zu sein, dass ich zurückkehre in die Welt des Jetzt.“

Die Mutter und der Vater schauten ihn mit geöffneten Herzen an. „Mein Sohn“, sprach der Vater, „wir haben die gegeben, was deines ist,“ und die Mutter fuhr fort: „Der Weg für dich ist geöffnet. Kehre zurück und finde im Seelentraum deines Herzens dein Ziel auf dem Weg deines Lebens. Du wirst immer darauf vertrauen können, dass die, die vor die gegangen sind, dich auf deinem Weg begleiten.“

Da schaute er sich noch einmal um, sah die spiegelte Oberfläche des Sees, der ihm den Beginn dieser Reise gezeigt hatte. Er wusste, das er diesen See immer wieder finden würde, in den Geschenken, die ihm die, die vor ihm gegangen waren, hinterlassen hatten.
Er wusste, nun war die Zeit des Abschieds gekommen. Am Ufer des Flusses lag ein Kanu, zu dem die Eltern ihn begleiteten. „Das ist der Fluss, auf dem du deine Reise fortsetzen wirst“, sprach der Vater, „nimm diese Flöte, sie wird dir den Weg zeigen, mit dem du dich durch die Schleier bewegen kannst.“ „Die Kräuter in diesem Beutel werden deine Melodien unterstützen und stärken“, sprach die Mutter, „so wirst du immer in Verbindung bleiben, mit uns und allen deinen Ahnen.“
Da war sein Herz erfüllt von Dankbarkeit als er diese Geschenke entgegen nahm. Er spürte, das er mit der Gestaltung seines Lebens, den Grundstein für neue Geschichten legen würde.
Dann umarmte er seine Mutter und seinen Vater, stieg in das Kanu, ergriff dass Paddel und machte sich auf die Reise seines Lebens.
Am Ufer standen die Eltern und schenkten ihm ihren Segen und mit ihnen, die die vor ihnen gegangen waren.

 

 

 


 

 

Der Gesang der Schwäne

Die Tage begannen kürzer zu werden. Die meisten hatten längst zueinander gefunden und würden die Zeit bis zum nächsten Frühjahr und auch danach, weiter gemeinsam miteinander verbringen. Im nächsten Frühjahr würden die Paare ihre Jungen, kleine graue Federbällchen, als neue Schwanenfamilie hinaus in die Welt führen. Auch wenn der Wind jetzt häufig von Norden blies und die Nächte schon empfindlich kühl werden konnten, noch war das Wasser offen und es gab genug Futter für alle. Erst später, wenn Eisschollen ihren Lebensraum einengen würden, mussten sie näher zusammen rücken und dann würde der eine oder andere Streit nicht ausbleiben. Für die Gruppe der Jungen würden das neue Erfahrungen bedeuten. Sie waren jetzt noch damit beschäftigt, die älteren Paare zu beobachten, von ihnen zu lernen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Wo finden sich die besten Futtergründe? Welche Strömung führt auf welchen Weg? Welche Seite der Insel bietet den besten Schutz vor den kalten Winden?  

So waren sie, wie die Alten, an diesem Tag damit beschäftigt Futter zu suchen, das Gefieder zu putzen, von Zeit zu Zeit erhob sich einer der Vögel aus dem Wasser, für einen kurzen Moment die weißen Flügel weit ausgebreitet, um dann wieder zurück zu kehren in die grauen Fluten. Dann sprühten Wassertropfen funkelnd in der Herbstsonne. Einzelne weiße Wolkenfäden durchzogen das tiefe Blau des Himmels. Ganz weit am fernen Horizont erstreckte sich das dunkle Band einer Wetterwand, noch entfernt und doch war zu ahnen, dass sie sich nähern würde. Der Wind war stärker geworden und immer größere Wellen machten sich auf den Weg zum Strand.

Seit ewigen Zeiten war dies der Ort, zu dem sie immer wieder kamen, hier waren noch immer die besten Futterplätze, zu denen sie hin ziehen konnten. Trotz der vielen, oft bedrohlich erscheinenden Veränderungen, es schien, als würde ein geheimnisvoller Ruf sie immer wieder zu diesem Platz führen. Niemand konnte ihn bisher deuten, doch sie hatten die Stimme vernommen und waren ihr immer wieder gefolgt.

Es hatte jetzt aber damit begonnen, dass lange, schwarze Bänder über das Meer gezogen kamen, von einer geheimnisvollen Strömung bewegt. In ihrer Umgebung zogen sich schmutzig violette Schlieren durch das Wasser, begleitet von einem stechend fauligen Geruch. Dort gab es dann keine Bewegung mehr in den Wellen und alles Leben wurde erstickt. Nach und nach hatte sich dieses schwarze, klebrige Band um die gesamte Insel gelegt, wohl für alle lebenden Wesen eine undurchdringlicher Wall.

Viele erinnerten sich aber noch an die ausladenden Buchten, mit ihren breiten Schilfgürteln. Dort, von flachem Wasser umgeben, lagen einst ihre Nester, dort waren die meisten von ihnen groß geworden und hatten ihre ersten Ausflüge unternommen, zunächst auf den Wasser, später konnte sie sich in die Luft erheben, selber entscheiden, in welchem Element sie verweilen wollten.

Es gab da ja damals auch noch die unberührten wilden Strände, mal voller bunter Steine, in so vielfältiger Form und Größe, die bei starkem Wind die rollenden Geschichten ihrer langen Reisen erzählten und daneben die weiten, sandigen Flächen, auf denen sich die Sonne spiegelte und die noch am Abend die Wärme des Sommertags über das Meer schickten. Das Land hinter den Ufern war lange von dichten Wäldern bedeckt, hier und dort gab es auch hell leuchtenden, grüne Wiesenflächen. Manche konnten noch erzählen, von dem kleinen See, auf dem sie einst landen konnten, um zu rasten und auch dort reichlich Futter zu finden.

Doch jetzt hatte schon lange niemand mehr davon berichtet, über das Land geflogen zu sein. Die Nachricht, dass wieder welche von ihnen vermisst wurden, wenn sie der Insel zu nahe gekommen waren, hatte sie alle in Furcht versetzt. Wenn sie jetzt in der Luft waren, machten sie stets einen weiten Bogen um die Insel. Das Grün der Bäume, von dem in ihren alten Geschichten noch die Rede war, hatte sich gewandelt. Der kleine See hatte sich in einen dunklen, modrigen, übel riechenden Sumpf verwandelt. Graue Flächen, die sich von Jahr zu Jahr weiter ausbreiteten, durchzogen nun das Land. Der sanfte Hügel in der Mitte der Insel hatten sich zuerst verändert. Jetzt war hier das Land felsig und zerklüftet, erhob sich drohend in den Himmel und oft umgab eine graue Nebelwand seine Spitze.

Da schien es immer wieder, als würde ein dunkler Schatten sich aus dem Nebel erheben, umgeben von einem schillernden stechend grünen Leuchten, dass sich in flirrenden Blitze auflöste und dann wieder in der Nebelwand versank. Dazu ertönte ein dumpfes Grollen, wie von fern herbei rollender Donner. Auch von den Ufern drohten nun dunkle Höhlen aus der Steilküste, wie weit aufgerissene Mäuler und der einst helle leuchtende Strand war unter dunklen, fauligen Pflanzen verborgen, von stürmischer See herbeigetragen und achtlos zurückgelassen. Dabei war nun der gánze Ort umgeben von dem schwarzen und klebrigen, alles erstickenden Band des Todes.

An diesem Nachmittag hatte sich die Sonne zuerst hinter einem grauen Schleier zurück gezogen,das Licht schien zu versinken, noch ehe der Tag zu Ende war. Am Anfang waren die Wildgänse weiter gezogen. Dann die Möwen, zunächst einzelne, dann erhoben sie sich in Gruppen und zogen mit lautem Geschrei hinaus auf die See. Zuletzt begaben sich die Kormoran, die die ganze Zeit wie schwarze Wächter auf ihren Steinen gehockt hatten, mit klagenden Rufen auf die Reise und flogen wie eine dunkle Geisterarmee dicht über der Wasseroberfläche davon. Die Schwäne spürten die Unruhe, langsam, suchend, bewegten sie sich aufeinander zu.

Die Wolkenwand hatte sich nun über den ganzen Himmel ausgebreitet und erstreckte sich von Horizont zu Horizont, in gleichförmigem tief dunklen Blau. Darunter bewegten sich dunkelgraue Wolkenfetzen aus allen Himmelsrichtungen auf die Insel zu. Bald hatten sie um die Bergkuppe herum einen Kreis geformt, der wie eine dunkle Krone drohend alles umschloss. Plötzlich begann das Land zu vibrieren und die Bewegung setzte ich fort, bis hinaus auf
das Meer.
Die Schwäne spürten, wie die Schwingungen sich im Wasser fortbewegt. Unruhig schwammen die Tiere hin und her, einige der jüngeren wollten sich mit ein paar aufgeregten Flügelschlägen aus dem Wasser erheben und davon fliegen, doch es gab etwas, das sie zurückhielt.
Während die Vibration stärker und stärker wurde und schließlich ein Poltern und Beben die gesamte Insel erschütterte, begann sich der Himmel in der Mitte des Wolkenkranzes zu verfärben und matt leuchtende grüne und graue Flecken breiteten sich darin aus. Wie von einer Kuppel bedeckt, war die Insel jetzt eingeschlossen. Während ringsherum der Wind mit wilden Böen über das Wasser peitschte und Wellen mit weißen Kronen vor sich her trieb, war über der Insel kein Lufthauch zu spüren. Feine
flirrende Blitze zuckten hin und her, begleitet von einem scharfen Zischen und Knistern.
Da erhob sich aus der grauen Geröll in der Mitte der Insel ein dunkler Schatten. Er begann sich ganz langsam aufzurichten und dabei ertönten ein pfeifendes und
sirrendes Geräusche. Um die unförmige Gestalt herum züngelten Feuerzungen, sie loderten auf und fielen wieder zusammen und dabei verbreitete sich ein beißender, stechender Geruch. Die dunkle Gestalt hatte inzwischen immer weiter aufgebäumt, dem Wolkenkranz entgegen, in den Flammen tanzten nun zuckende Wesen, mit aufgerissenen Mäulern und blinkenden, weißen Zähnen.

Die Schwäne schwammen jetzt voller Aufregung hin und her, für einen Augenblick schien sie Panik auszubreiten, doch wieder gab es eine stumme Botschaft, die sie miteinander verband und der sie vertrauten. Dabei geschah es, dass die ganze Gruppe plötzlich in Bewegung geriet und die Tiere sich, einem unbekannten Plan folgend, um die Insel herum verteilten.
Jetzt war mit einem Mal ein gewaltiges Getöse zu vernehmen. Die dunkle Gestalt, die sich in der Mitte der Insel erhoben hatte wurde,von den immer
höher lodernden Feuerzungen umgeben, größer und größer und strebte immer weiter dem dunklen Wolkenkranz entgegen, als wollte sie sich selber eine Krone aufsetzen.

Da ertönte in das furchtbare Grollen und Poltern hinein mit einem Mal ein heller, klagender Ruf eines einzelnen Schwans, war voller Angst und schrie den Schrecken hinaus, der gerade jetzt erlebt wurde. Als die Kraft der Dunkelheit in diesem Augenblick noch so ungeheuer machtvoll erschien, erklang aus der Richtung der aufgehenden Sonne ein heller, leuchtender Ruf und aus der gegenüber liegenden Himmelsrichtung kam die Antwort, aus der Tiefe der Erde, in der alles aufgehoben und geborgen war. Und schon
ertönte auch aus den Wassern das Lied der Zuversicht und wurde von den Winden weiter getragen, voller Kraft und Hoffnung. Wo eben nur kurz einzelne, zögerliche Antworten waren zu hören waren, vereinigten sich nun ihre Stimmen.

Auf die Schatten der Dunkelheit und
den Schrei der Angst antworteten jetzt immer stärker die Rufe der Zuversicht, Hoffnung und Unterstützung. Mal aus der einen, dann aus der anderen Richtung, nach und nach formte sich ein Gesang immer kraftvoller, der sich mit seinen Tönen wie ein Netz über die gesamte Insel legte. Bald waren die Rufe stärker, bald klangen sie gedämpfter, es war ein Auf und Ab, wie von ihren Flügelschlägen getragen verbreitete sich ihre Botschaft. Die einzelnen Melodien, die ertönten, verbanden sich nach und nach immer mehr zu einem gemeinsamen Gesang. Die Luft vibrierte in den miteinander verwobenen Tönen, wallte hin und her und strahlte voller Hoffnung und Zuversicht.
Unter dem Netz der Töne, das die Schwäne jetzt mit ihrer hellen Energie ausbreiteten, bäumte sich das Dunkle noch einige Male auf, die Feuer sanken nach und nach in sich zusammen bis sie schließlich erloschen, zunächst noch begleitet von drohendem Zischen, dann war bald nur noch ein erschöpftes Schnaufen zu hören und am Ende wurde schließlich alles hinauf gezogen in den Wolkenkranz, der noch immer über der Insel schwebte. Dabei begann sich die Luft plötzlich zu drehen, schneller und immer schneller, bis alle Dunkelheit in einem wild tanzenden Wirbel verschwunden war, der sich schließlich von dem noch immer wütenden tosenden Sturm getrieben, in der unendlichen Weite des Nachthimmels auflöste.


Als am nächsten Tag die Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont schickte, bedeckte noch eine große Stille das Land. Die Finsternis war gegangen und hatte Platz gemacht. Die Schwäne hatten sich während der Nacht in kleinen Gruppen in die Buchten zurück gezogen und begannen nun, sich langsam wieder zu begegnen. Die Insel lag in dieser Zeit noch unter einer Nebelwand verborgen. Sie würden Geduld haben und das Neue erwarten, für das sie die Saat gelegt hatten.

Wenn du einmal an diesen Platz kommst, verweile, sieh was entstanden ist und du kannst ihn hören, erklingt er dort doch noch immer, der Gesang der Schwäne, das Lied für das Licht.

 

 

 


 

 

Marilla, das Mädchen mit dem roten Tuch

Marilla und die alte Anayala

Es war einmal in einer Zeit vor dieser Zeit, da lebt in einem fernen Land hinter den sieben Bergen das Mädchen Marilla. Weil es keine Eltern mehr hatte, wohnte es zusammen mit der alten Anayala in einer kleinen Hütte am Rande eines großen Waldes. Die alte Anayala kannte alle Kräuter und Pflanzen und Früchte, die im Wald und auf den umliegenden Wiesen und an den Feldrainen wuchsen. Schon als Marilla noch ganz klein war begleitete sie die alte Frau dabei, wenn sie draußen unterwegs war. Bald war sie groß genug, um den Korb selber zu tragen, wenn dieser voller Kräuter und anderer Pflanzen war und dann nach Hause gebracht wurde. Ging die alte Anayala, schon auf ihren knorrigen Stock gestützt, dann neben ihr und machte sie auf die kleinen und großen Wunder am Wegesrand aufmerksam, so fühlte sie sich groß und bedeutsam und gleichzeitig als ein Teil dieses Wunders.

Im Laufe der Jahreszeiten veränderten sich Pflanzen und Bäume, die Wiesen und die Hecken, auch tief im Wald, die uralte Eiche, zeigte von mal zu mal ein neues Gesicht. Und so gab es immer wieder Neues zu entdecken und sie war dann voller Freude über die bunte Vielfalt der Welt, die sie umgab. Manchmal, am Abend, wenn das Tagwerk getan war, saßen sie auf der wackeligen Bank vor der Hütte, beobachtete die untergehende Sonne und lauschte dem Gesang der Vögel. Dann wünschte sie sich so manches Mal, sie könnte ihre Sprache verstehen. Einmal, die alte Anayala saß neben ihr und zupfte Beeren von einem Zweig, seufzte das Mädchen: „Ach wie gerne würde ich in ihren Chor einstimmen und ihre Lieder mitsingen!“ Da schaute die Alte sie nachdenklich an und sprach: „Sei geduldig, Marilla, es wird die Zeit kommen, vieles wird sich verändern“. Sie machte eine Pause. „Dann wird gehen müssen was ist, Altes wird wiederkehren und sich mit dem Neuen verbinden.“ Das Mädchen schaute sie fragend an, da nahm die Anayala sie in den Arm, beide schwiegen, doch Marilla behielt die Botschaft in ihrem Herzen.

Eines Tages war die alte Anayala auf der Suche nach einer Heilpflanze. Auf ihrer Wanderung hatten sie schließlich einen Hügel erklommen und schauten in ein weites, lang gestrecktes Tal. Da entdeckte Marilla plötzlich in der Ferne ein mächtiges Bauwerk, das sie nie zuvor gesehen hatte. „Was ist das für eine gewaltige Burg?“ fragte sie aufgeregt, „wer ist dort der Herrscher?“

Das Gesicht der Anayala versteinerte. Als sie einmal ein totes Reh gefunden hatten, waren Tränen in ihren Augen, ein unachtsam herausgerissener Strauch hatte sie wütend gemacht, doch noch nie hatte Marilla sie so voller Bitternis und Härte gesehen.
Sie seufzte: „Einmal musste es ja sein, dass Du es erfährst“. Sie blickt voller Sorge auf das Mädchen. Diese schaut sie erschrocken an. „Ja, es ist eine Geschichte, die für viele ein trauriges Ende nahm, die aber noch immer nicht beendet ist.“

Sie setzte sich auf einen Stein, zog das Mädchen zu sich heran, nahm es in den Arm und begann zu erzählen.
Schließlich hatte Marilla von der alten Anayala erfahren, dass ein grausame Herrscher dort auf der Burg herrscht, der ein Zauberer ist, dem bis zu dieser Zeit niemand widerstehen konnte. Es gab auf dieser Burg wohl auch geheimnisvolle Orte, da war es verboten, sie aufzusuchen. Es wurde getuschelt und gemunkelt, dass die Geschichte dort verborgen war und der Zauberer mit seiner ganzen Macht diese Geheimnisse hüten würde. Von einer magischen Kugel war die Rede und von wechselnden Zeiten, die sich in der Ferne abzeichnen würden.

Seit dieser Zeit erfüllte eine angstvolle Sehnsucht das Mädchen. Sie wollte mehr über diesen geheimnisvollen Ort erfahren und gleichzeitig fühlte sie einen bedrohlichen Schauer, wenn sie das Bild der Burg vor sich sah.
Der Sommer zog ins Land und die Tage begannen kürzer zu werden. Da geschah es, dass an einem Abend die alte Anayala Marilla zu sich rief und sprach: „Wir sind den Weg deines Lebens bis hier her gemeinsam gegangen. Diese Zeit ist zu ihrem Ende gekommen. Es ist nun soweit, ich werde diese Welt verlassen und auf neuen Pfaden wandern, die mit diesen Bildern nicht zu beschreiben sind.

Wenn die Sonne gleich untergegangen ist, werde ich mich auf den Weg machen zu der alten Eiche und von dort aus in andere Welten aufbrechen. Du wirst dieses Haus verlassen und dich auf deinen Weg begeben“.
Dabei beugte sie sich zu ihr, nahm von Schultern das dunkel leuchtende rote Tuch mit den eingewebten geheimnisvollen Mustern und legte es dem Mädchen um: “Nimm dieses als Erinnerung an die alte Anayala. Es soll dich auf deinem weiteren Lebensweg begleiten.“ Dann umarmte sie Marilla ein letztes Mal, zog den grauen Umhang enger um ihre Schultern, verbarg ihr Gesicht unter der Kapuze, drehte sich um und ging davon. Gleich darauf war sie zwischen den Bäumen in der Dunkelheit des Waldes verschwunden.
Da war das Mädchen voller Trauer, sie kauerte vor der Hütte nieder und weinte die ganze Nacht. Am Morgen weckte sie der Ruf eines Vogels und geleitete sie mit seinem Gesang auf ihren neuen Weg.

Die geheimnisvolle Schloss

Nachdem sie ein gutes Wegstück gewandert war, kam sie an einer Wiese entlang und dort entdeckte sie versteckt zwischen einigen Büschen zwei Pferde. Sie ging zu ihnen, denn es schien, dass sie voller Angst waren, so wie sie sich aneinander schmiegten. Dann hörte Marilla plötzlich ganz deutlich, wie die Tiere miteinander sprachen und sie war völlig überrascht, dass sie ihre Worte verstehen konnte. Dabei bemerkte sie, wie gleichzeitig das Tuch der alten Anayala in ganz feine Schwingungen versetzt war und die Botschaft der Tiere zu ihr trug.

Er wird uns sicher schlagen, weil wir weggelaufen sind“ hörte sie das eine Tier sagen. „Wie sollen wir ihm erklären, dass wir uns vor dem dunklen Schatten, der an uns vorüber gestrichen ist, so sehr erschrocken haben,“ erwiderte das andere Pferd. Langsam näherte sich das Mädchen den Tieren, diese bemerkten sie, blieben jedoch ruhig stehen und blickten neugierig zu ihr hinüber.
Was war das für ein Schatten?“ fragte sie interessiert. „Du sprichst unsere Sprache?“ fragte ein Tier überrascht. Marilla hielt einen Augenblick inne, spürte erneut das pulsierende rote Tuch über ihren Schultern und die Kraft der alten Anayala. „Es ist so, es ist ihr Geschenk, ich darf Teil eurer Welt sein. Doch sagt mir, wer sollte euch schlagen.“
In diesem Augenblick kam ein Kutscher über die Wiese gelaufen, schwang eine Peitsche und schrie: „Da seid ihr ja, was fällt euch ein, einfach weg zu laufen?“ Ihm folgte in einigem Abstand ein weiterer Mann. Seine Kleidung zeigte, dass er der Herr war, vielleicht ein Kaufmann.
Haltet ein, guter Mann!“ rief das Mädchen. Dann sprach sie für die beiden Tiere und erklärte, was geschehen war. Die beiden hörten ihr zu und sie war selber überrascht, dass sie der Botschaft eines jungen Mädchens folgten. So gingen sie alle zurück zu dem Wagen des Kaufmanns, der mit guten Waren voll beladen war. Bald hatte das Mädchen das Ziel ihrer Reise erfahren, sie waren auf dem Weg zu der geheimnisvollen Burg, die sie einst in der Ferne gesehen hatte.
Der Koch ist ein alter Gevatter von mir“, sprach der Kaufmann zu ihr, er wird für eine tüchtige Magd wie dich, sicher Aufgaben in seiner Küche haben. Dort brauchst du dich auch nicht zu fürchten, selbst wenn dieses Gemäuer und sein Herr so manche dunkle Seite hat.“
Er blickte zu seinem Kutscher hinüber, beide schauten sich für einen Augenblick stumm an, dann wurden die Pferde eingespannt und gemeinsam setzten sie die Reise fort. Am Abend hatten sie ihr Ziel erreicht. Die Wirtschaftsgebäude lagen außerhalb des mächtigen Burgturmes, der mit seiner zerklüfteten, grauen Mauern wie ein drohender Fels das gesamte umliegende Land überragte und mit seinem Schatten bedeckte.
Der Koch begrüßt seinen alten Freund, den Kaufmann und dieser empfahl ihm das Mädchen als tüchtige Hilfe. So geschah es, dass Marilla aufgenommen wurde in den Kreis des Gesindes als Küchenmagd. Sie bekam eine kleine Kammer unter einer Treppe zugewiesen, dort stand ein Bett und ein Stuhl. Hier legte sie das rote Tuch und ihren Beutel ab und schon begann sie noch am selben Abend mit ihrer Arbeit.

So war sie nun Tag für Tag mit allen Arbeiten in der Küche beschäftigt, sie wurde hierher und dorthin gerufen und für jede Arbeit hatte sie eine geschickte Hand. Das bemerkte bald auch der Koch und bald wurde sie mit immer verantwortungsvolleren Aufgaben betraut. Dazu gehörte auch, dass sie mit anderen die fertigen Mahlzeiten von der Schlossküche zum zu dem gewaltigen, eisenbeschlagenen Tor bringen musste, welches den geheimnisvollen Burgturm von der übrigen Welt trennte. Jedes Mal, wenn sie davor stand und zu den hohen Mauern hinauf blickte durchfuhr sie ein Schauer der Furcht und des Grauens. Doch gleichzeitig spürte sie einen Ruf, der sie ermunterte ihre Angst zu überwinden. Doch nie bekam sie etwas von dem zu Gesicht, was sich hinter dem Tor verbarg.

Auch wenn sie nun Tag um Tag durch alle Jahreszeiten hindurch schon von vor Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang unermüdlich ihrem Tagewerk nachgehen musste, so gab es doch auch schon mal die kurzen Augenblicke, in denen sie sich an einen abgeschiedenen Platz ausruhen konnte. Wenn sie sich dann in das rote Tuch der Anayala einhüllte, war sie verbunden mit den anderen Welten, die sie umgaben. Die unterschiedlichen Tier hatten bald bemerkt, dass dieses Mädchen so eng mit ihrer Welt verbunden war und keinem von ihnen Böses zu leide tun würde. Hatte sie doch so manchen verletzten Vogel gesund gepflegt und in in der Zeit der klirrenden Kälte, an geheimen Stellen Futter für sie zurückgelassen.

Als sie nun, es war wieder Sommer, an einem Abend in einer Ecke des Wirtschaftsgebäude hockte und dem Gesang der Vögel in der Dämmerung lauschte, huschte ganz unerwartet ein Eichhörnchen vorbei, hielt für einen Augenblick inne, kehrte dann zu ihr zurück und sprach: „Wir, die Tiere, aber auch die Wesen der anderen Welten sehen und kennen dich Marilla. Es wurde mir gesagt, dass dies die Nach ist, in der du mehr erfahren sollst.“ Das Mädchen war zunächst überrascht, schaute das Eichhörnchen dann aber aufmerksam an und fragte: „So sprich, was ist es, was du mir zu verkünden hast.“

Nun erfuhr sie von dem kleinen Tier mehr über das, was sich im Inneren des geheimnisvollen Turmes verbarg. Obwohl es auch allen Tieren verboten war, sich dem Turm zu nähern, hatten doch manche Vierbeinige, eine Schar von Vögeln und die Gemeinschaft der kleinen Kriecher und Krabbler so manches Geheimnis enträtselt. Da gab es hoch oben in der Turmspitze den Platz der zaubergewaltigen Kugel. Sie war der Schlüssel, mit dem der Zauberer in die Welt der Magie eintreten konnte. Einmal im Jahr, wenn die Sonne am höchsten steht und die längste Zeit des Jahres die Erde bescheint, feiert der Zauberer das Fest seiner Macht. Es ist jetzt 16 Jahre her, dass er hier, an diesem Ort, alle besiegt und seiner Macht unterworfen hat. Im Hof des Turmes stehen zwei Käfige. Darin sind gefangen, eine Wölfin und ein Bär. Sie waren einst das Königspaar, das dieses Reich regierte und zur Feier der Geburt ihrer Tochter viele Gäste eingeladen hatte. Da war er erschienen, mit seiner Zauberkugel und danach begann dann die Zeit der Not und des Kummers. Das Eichhörnchen schaute Marilla aufmerksam an. Sie atmete schwer. „Diese Kind, mit dem alles begann, das ..?“ „Ja“, sprach das Eichhörnchen, „das bist Du“. Nach einer Pause fragte das Mädchen: „Doch was kann jetzt geschehen? Er hat doch all die Macht.“ Voller Schmerz dachte sie an ihre Mutter und ihren Vater, verzaubert, hinter der Mauer des großen Turmes.

 

Aus der Dunkelheit ins Licht

Nach einiger Zeit der Stille setzte das Eichhörnchen seine Rede fort. So erfuhr Marilla, dass am nächsten Tag die Zeit gekommen war, bedeutsame Ereignisse miteinander zu verflechten. Da gab es das Geheimnis des Zauberers und seiner magischen Kugel, er hatte immer versucht es zu verbergen, doch sie hatten es enthüllt. Zu dieser Zeit des Jahres, wenn der Zauberer das Fest seiner Macht feiert, musste es geschehen, dass in dieser kürzesten Nacht des Jahres sich die Zauberkugel mit den Strahlen des Vollmonds verbindet, damit ihre magische Kraft weiter wirken kann.
Bald darauf war Marilla in den Plan eingeweiht, den die Tier ersonnen hatten. „Und vergiss es nicht, das Tuch der alten Anayala“, flüsterte das Eichhörnchen ihr noch zu, ehe es in einem Busch verschwunden war.

Am nächsten Tag war der gesamte Platz rund um den Zauberturm in heller Aufruhr. Heute würde er seine Macht zelebrieren. Gäste waren geladen, von nah und fern. Sie strömten herbei, nahmen Platz an den festlic gedeckten Tischen und wurden reichlich bewirtet mit Essen und Trinken. Musik spielte auf und die Leute aßen und tranken und lachten und wer dachte schon darüber nach, an welchem Ort man sich hier befand? So gab es ein emsiges hin und her in der Küche und auch Marilla eilte mit dampfenden Schüsseln zu den Gästen. Doch dabei beobachtete sie sorgfältig das Tor zum Eingang des Turmes. Und schließlich war es soweit. Die Sonne näherte sich dem Horizont und die ersten Sternen erschienen am Firmament. Bald wurde der Augenblick da sein, dass der Mond sich zeigen würde.

Da öffnete sich unter dem Ruf der Fanfaren das Tor des geheimnisvollen Turmes und der Zauberer kam heraus geschritten und nahm Platz auf seinem mit schwarzen Fahnen und goldenen Girlanden geschmückten Thron. Einen Augenblick war es ganz still auf dem weiten Platz, dann setzten die Fanfaren wieder ein, huldvoll hob der Zauberer seine rechte Hand und das Fest ging weiter.
Noch ehe überall Fackeln und Kerzen entzündet wurden, huschte Marilla durch das Tor und stand gleich darauf im inneren Hof des Turmes. In einer Ecke konnte sie im dunklen Schatten die beiden Käfige erkennen. Sie spürte den Schmerz in ihrem Herzen, doch dann erinnerte sich an die Worte des Eichhörnchens, wandte sich ab und war gleich darauf in dem Turm verschwunden. Langsam tastete sie sich die Treppe hinauf, höher und höher. Schließlich hatte sie das höchste Turmzimmer erreicht und dort lag, auf einem weit ausladenden Balkon, gebettet in eine goldene Schale, die Zauberkugel. Über allen wölbte sich der sternenfunkelnde Nachthimmel und am Horizont, über den dunklen Wipfeln des Waldes, tasteten sich die ersten Strahlen des Mondes empor. Nur noch wenige Augenblicke würde es dauern, bis sie die Kugel des Zauberers erreicht hatten um neue, magische Kräfte zu bringen.

Schnell nahm Marilla das rote Tuch der alten Anayala von ihren Schultern, sie sah die geheimnisvollen Zeichen, welche die alten Frau einst in den Stoff hinein gewebt hatte, im Schein des erwachenden Mondlichts stärker und stärker funkeln. Da spürte sie in der Verbindung mit all diesen Welten ihre Kraft und so trat sie heraus aus dem Schatten des Turmes auf die Plattform und rief mit lauter Stimme: „Hier beginnt das Ende deiner Herrschaft, Zauberer, die Welt des Lichts und der Schönheit kehren zurück!“

Dabei schwenkte sie das Tuch über ihrem Haupt, ließ es wieder und wieder kreisen. Ein heller, klarer Ton schwang sich empor, wanderte fort in alle Himmelrichtungen und bedeckte so bald das ganze Land. Schließlich wuchs aus den Tönen ein feiner, silberner Schleier, der sich über den Turm legte, wie eine strahlende Kuppel. Sie leuchtete hell und klar in den Strahlen des Vollmonds dieser Nacht, doch nicht ein Strahl erreichte die magische Kugel. Sie lag im Dunkeln, kraftlos und leer.
Als der Zaubere sah was geschah, geriet er in gewaltigen Zorn, er kam die Stufen des Turm hinauf gestürmt. Da eilte Marilla zu der goldene Schale, nahm die Kugel in beide Hände und rief: „So soll sie dein sein!“ und ließ sie die Stufen hinab gleiten. Als die Kugel den Zauberer erreichte, löste sie sich auf und hüllte ihn in eine dunkle Wolke ein, in der er verschwand. Da gab es eine gewaltige Erschütterung, der mächtige Turm bebte bis in seine Grundmauern und dann wurde die Wolke von den silbernen Strahlen davon getragen und wurde nie wieder gesehen.

Nun erhob sich ein gewaltiges Brausen und aus der Dämmerung der schwindenden Nacht stiegen unzählige Schwärme von Vögeln mit jubelndem Gesang in die Luft, auf den Feldern und in den Wäldern ringsherum im Land ertönten nun die Stimmen unzähliger Tiere, sie alle begrüßten mit den ersten zarten Strahlen der gerade aufgehenden Sonne den neuen Tag als Boten für eine neue Zeit. Geschwind eilte Marilla die Treppe hinunter und als sie aus der Tür des Turmes trat, kamen ihre Eltern ihr entgegen gelaufen. Sie fiel ihnen in die Arme und Tränen der Freude und des Glücks rannen über ihr Gesicht. Die Käfige aber lagen als ein zusammengesunkener Haufen in einer Ecke und die Magie des Zauberers hatte für immer ihre Macht verloren.

In einer späteren Zeit, Marilla war Königin des Reiches, in dem Menschen und Tiere achtungsvoll miteinander lebten. Dann gab es Augenblicke, da sie das Tuch berührte und an die alte Anayala dachte und dann spürte sie tiefe Dankbarkeit und Frieden in ihrem Herzen.

 

 

 


 

 

Bärenland

Sie sitzen zusammen gekauert unter einem Felsvorsprung. Er hört ihren gleichmäßigen Atem. Ist sie eingeschlafen? fragt er sich. Langsam kriecht die Kälte der Nacht durch die Decken, in die sie sich eingehüllt haben. Vom Grund des Tales klingt das leise Rauschen des Flusses herauf. Im hellen Licht des Vollmonds kann er deutlich den Eingang zur Höhle auf der gegenüber liegenden Seite des Tales erkennen. Noch schaut die schwarze Leere bewegungslos zu ihnen herüber. Sie müssen weiter warten.

Seine Gedanken wandern zurück. Groß war die Aufregung im ganzen Dorf an dem Morgen, als die ersten Strahlen der Sonne des Frühlings zwischen den beiden Bergrücken über dem Talgrund erschienen. Langsam wanderte dann das Lichts an den Flanken der beiden Berge empor, jeden Tag etwas höher und etwas weiter hinein in das Tal, bis sein Leuchten das Dorf erreicht hatten. Immer deutlicher wurden die Orte erkennbar, an denen Großvater die Erde berührte, sich mit ihr verband und an denen neues Leben zu wachsen begann.
Schon in der Mitte des Winters hatten sie während der Zeremonie zur Wintersonnenwende erfahren, dass sie beide ausgewählt wurden, um im Frühjahr den Weg zur Bärenhöhle anzutreten. In jeden Jahr war es die Aufgabe einer jungen Frau und eines jungen Mannes mit dem neuen Licht des Jahres sich zur Bärenhöhle zu begeben, das Opfer zu bringen und das Zeichen abzuwarten.

Verlässt dann eine Bärin mit ihren Jungen die Höhle, würden in diesem Jahr die Frauen die Zeremonien und heiligen Feste gestalten. Kommt ein Bär aus der Höhle, würden es die Männer sein. So wurde es in der Geschichte des Stammes überliefert, dass die Kräfte in einem inneren Gleichgewicht balanciert sein sollten.
Die Ältesten hatten in den letzten Tagen alle Vorbereitungen für die Reise getroffen. Es durfte jetzt nicht zu viel Zeit vergehen, bevor die große Schneeschmelze einsetzen würde und der Fluss unpassierbar wurde. Beide waren dann mit dem Kanu den Fluss hinauf gepaddelt, hatten die Opfergabe vor der Bärenhöhle abgelegt und anschließend auf der gegenüber liegenden Seite des Flusses ihr Lager aufgeschlagen.


Als er wieder hinüber zum anderen Flussufer schaut, sieht er dass sich der Mond der dunklen Silhouette des Waldes immer weiter genähert hat. Die Schatten im Tal sind länger geworden und die Dunkelheit der Nacht beginnt sich noch einmal auszubreiten. Irgendwo aus der Ferne ertönen Rufe eines einzelnen Vogels. Die Töne schwingen durch die Weite und reisen mit ihm davon. Erst als sie vorsichtig seinen Arm berührt merkt er, dass er kurz die Grenze zum Traumland überquert hat.
Schau, dort“, flüstert sie und zeigt hinüber zu dem gegenüber liegenden Ufer. Der Mond ist inzwischen hinter den Baumwipfeln verschwunden und das fahle Licht der Morgendämmerung liegt über dem Land. Vom Grund des Tales steigen feine Nebelschwaden auf. Er versucht aufzustehen, spürt den Schmerz in seinen Beinen und stöhnt leise. Mahnend legt sie ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und weist noch einmal mit dem Kopf hinüber. Neben ihr auf einem Stein liegt der Beutel, in dem sich das Halsband mit der Bärenklaue befindet.

Soweit die Erzählungen über den Ursprung des Stammes zurückreichen, war dieses Halsband stets ein Teil der Geschichten. Eine alte Bäremmutter hatte das Ende ihres Lebens erreicht und einen der Vorfahren des Stammes zu sich gerufen. Mit dem sanften Klang seiner Trommel hatte er sie auf ihrem letzten Weg begleitet. Während sie hinüber ging, war er neben ihr eingeschlafen. Als er am nächsten Morgen erwachte, war die Bärin verschwunden, doch auf einem Stein neben ihm lag das Geschenk, eine ihrer mächtigen Klauen. Sie wurde zum Zeichen der Verbundenheit zwischen den Menschen ihres Stammes und den Bären.

Er wendet seinen Blick von dem Beutel wieder hinüber zur Höhle. Jetzt kann er drüben im Dämmerlicht des Höhleneingangs einen dunklen Schatten erkennen, die sich kurz aufrichtet und dann jedoch wieder langsam in sich zusammen sinkt. Er atmet ein paar Mal tief ein und spürt seinen Herzschlag.

Da dreht sie sich um zu ihm, beide nicken sich zu, ihre Gesichter blicken aufmerksam über das Tal, voller Erwartung. Sie kauern jetzt dicht neben einander unter dem Felsvorsprung und warten gespannt. Nun kann es nicht mehr lange dauern, dann würden sie Gewissheit erhalten. Die Sonne ist inzwischen immer höher gestiegen und die wärmenden Strahlen beginnen mehr und mehr das gegenüber liegenden Hang zu überfluten.

Schließlich löst sich der Schatten aus der dunklen Tiefe, richtet sich auf und bewegt sich langsam vor die Höhle, so erscheint schließlich die Gestalt eines Bären mit noch etwas unsicheren Schritten im sanften Licht der Morgensonne. Der Kopf bewegt sich suchend hin und her, zurückkehrend aus dem Traumland ind die Jetztzeit. Nachdem das Tier sich noch einige Male umgeschaut hat, drehte es sich noch einmal um und verschwindet für einen Augenblick wieder in der Dunkelheit, um dann gleich wieder zurück zu kehren. Dieses Mal tapsen jedoch links und recht von ihr zwei kleinen Bären. Es ist das erste Mal, dass sie hinausschauen in das Licht einer für sie so neuen Welt, in diesem Augenblick noch zögernd, an ihre Mutter gekuschelt.
Oh, schau doch!“ ihre Stimme ist voller Aufregugung, es kostet sie einige Mühe, weiter leise zu sprechen. Sie ergreift seine Hand und schaut ihn strahlend an: „Ein neuer Kreislauf hat begonnen!“ Ihre beiden Gesichter sind sich jetzt ganz nahe und ihr Atem streicht über sein Gesicht. Sie spüren die Freude die sie miteinander teilen und die große Nähe, die so entstanden ist.
Die Bärin beugt sich nach vorn, sie hat die Schale entdeckt. Schnüffelnd nähert sich ihr Kopf den frischen Kräutern und den getrockneten blauen Beeren, die sie im vergangenen Herbst für diesen Augenblick gsammelt haben. Während die Mutter langsam die Ofergaben der Schale entnimmt, kommen die beiden Jungen neugierig näher. Mit einer sanften Kopfbewegung werden sie vorsichtig zur Seiter geschoben. Nachdem die Bärin diese erste Malzeit beendet hat, blickt sie noch einmal suchend in die Runde. Beide halten für einen Augenblick den Atem an. Ob das Tier sie erspäht hat? Doch dann dreht sich die Bärin zur Seite, mit einem leisen Brummen trottet sie flußaufwärts in den Wald hinein, die beiden Jungen springen jetzt schon munter neben ihr hin und her und bald darauf sind die Tiere hinter ein paar Sträuchern im Unterholz verschwunden.

Beide wissen sofort, was jetzt zu tun ist. Er beugt sich hinunter zum Stein, ergreift den Beutel, öffnet ihn vorsichtig und hält gleich darauf die Kette mit der Bärenklaue in den Händen. Gemeinsam stimmen sie das Bärenlied an, während die fein geflochtenen roten, schwarzen, gelben und weißen Perlen durch seine Finger gleiten, senkt sie ihren Kopf und er legt die Kette um ihren Hals. Die Bärenklaue ruht jetzt auf ihrem Herzen. Beide lauschen noch einige Zeit ihrem eignen Gesang, dann berühren sie noch einmal gemeinsam ihre Handflächen und damit beenden sie die Zeremonie.

Mit geübten Handgriffen packen sie anschließend die Sachen ihres kleinen Lagers zusammen, achten sorgfältig darauf den Platz in Schönheit ohne sichtbare Spuren zurücck zu lassen. Nachdem sie die Bündel verteilt haben, bedanken sie sich noch einmal und machen sich auf den Weg hinunter zum Fluss, zurück zu ihrem Kanu.

Kurze Zeit später sitzen sie in dem Boot und paddeln flussabwärts zurück zu ihrem Dorf, mit der Botschaft der neuen Verbindung mit ihren Ahnen. Die Sonne steht jetzt schon hoch über dem Tal, während sie mit gleichmäßigen, kräftigen Paddelschlägen das Boot flussabwärts bewegen. Die starke Strömung läßt sie schnell voran kommen. Geschickt lenken sie ihr Boot vorbei an den zahlreichen Felsbrocken und Sandbänken. Ihr Blick wandert aufmerksam üer die Wasseroberfläche. Die Farbe und Bewegung des Wassers gibt ihnen Auskunft über Untiefen und Strudel. Sie spüren bald wieder, wie sehr sie mit diesem Fluss verbunden sind, den sie doch nun schon so viele Jahre kennen.
Nach einiger Zeit wird das Tal schmaler und es steigen die Felswände immer steiler empor, bald werden sie die Stelle der engen Durchfahrt erreiht haben. Danach würde sich der Blick auf die weite Ebene öffnen. Dann sollte nicht mehr viel Zeit vergehen, bis sie ihr Ziel, das Dorf erreichen würden. Während er gerade seine Sitzposition etwas verändert, fällt sein Blick auf einen Baum, der ein Stück vor ihnen auf der rechten Talseite aus dem hier felsigen Untergrund hervorragt.


Plötzlich bemerkt er eine Bewegung, der Stamm senkte sich langsam nach vorne, dem Fluss entgegen. Gleichzeitig beginnen einige Steine den Abhang hinab zu rollen und eine überhängender Schneehang gerät in Bewegung. Eine Gerölllawine rutscht erst langsam, dann immer schneller den Hang hinunter und verteilt sich dann platschend im Fluss. Sofort beginnt sich das Wasser zu stauen und eine Welle kommt auf sie zu gerollt. Beide haben gleichzetig hinter einem mächtigen Felsbrocken die winzige Bucht mit dem flachen, weißen Kiesstrand erspäht und versuchen jetzt mit kräftigen Paddelschlägen diesen retten Ort zu erreichen. Doch da hat die Welle schon das Kanu erreicht, herungerissen und gegen den Felsen gedrückt. Das dünne Holz splittert und schon ist das Boot voll Wasser gelaufen. „Schnell!“ ruft er, „unsere Sachen!“ Jeder ergreift eilig eines der Bündel, die in der Mitter des Bootes liegen und dann lassen sie sich in das eiskalte Wasser gleiten. Glücklicherweise ist es hier in der kleinen Bucht nicht sehr tief und so können ans Ufer waten und befinden sich erst einmal in Sicherheit.

Beide atmen schwer, sie schauen sich an, der Schreck dieses Augenblicks zeichnet ihre Gesichter. „Wir müssen weiter!“ ihre Stimme zittert, er nickt, schaut dabei hinus auf den Fluss, beobachtet die in der Strömung treibenden Trümmern ihres Kanus. „Komm, das Wasser steigt, bald wird die Bucht überflutet sein.“ Sie nehmen die Bündel auf den Rücken und beginne den Hang hinauf zu steigen. Der Untergrung ist ist steinig, an vielen Stellen noch mit Schnee bedeckt. Nur mühsam kommen sie voran. Nach einiger Zeit erreichen sie einen umgestürzten alten Baum, der mit seinen heraus gerissenen Wurzeln eine kleine Höhle bildet. Sie halten inne und schauen hinunter auf den Fluss. An einigen Stellen schießen noch schmal Rinnsale flussabwärts durch das herabgestüzte Geröll, doch vom Hang auf der gegenüber liegenden Seite rutschen weiter Schnee und Felsbrocken in den Fluss hinein. Immer mehr Wasser wird gestaut. Beide wissen, dass ihrem Dorf große Gefahr droht. Schon einmal war es geschehen, dass nach einem Erdrutsch aufgestaute Wassermassen große Teile des Dorfes zerstört hatten.

„Wir müssen so schnell wie möglich zurück“, er spürt die Angst und die Ungeduld in ihrer Stimme. „Du hast Recht“, antwortet er, „doch es wird schon dunkel, da wird es schwer, einen sicheren Weg am Berghang entlang zu finden. Er ist sehr steil und über all liegt noch Schnee. Lass uns hier übernachten und morgen wollen wir versuchen, die Felsenenge zu erreichen.“
Sie nickt, dann legen sie ihre Bündel nieder und dann beginnen sie die Höhle tiefer in d den Schnee zu graben. Sie sind dankbar, dass der zersplitterten Baum ihnen sein Holz für ein kleines Feuer schenkt. In den Resten ihres Vorräte finden sie noch einige Brocken getrocknetes Fleich und Früchte, die sie bedächtig verzehren. Danach rollten sie sich in ihre Decken ein, mit ihrer Nähe schenken sie sich gegenseitig Wärme und bald darauf sind sie eingeschlafen. In der Nacht heult ein Sturm über das Land und wild tanzende Schneeflocken wirbeln durch die Kälte.

Als sie am nächsten Tag in der Morgendämmerung erwachen, treibt der Wind noch immer die tief hängenden Wolken vor sich her. Nachdem sie ihre Sachen wieder zusammen gepackt haben, überlegen sie, welchen Weg sie jetzt einschlagen sollen. Sie blicken gemeinsam den Hang entlang. Der Sturm der letzten Nacht hat neue Schneewehen aufgetürmt. Schritt für Schritt tasten sie sich voran. Da rutscht sie plötzlich auf einem Stein aus und strauchelt, während er zu ihr springt um sie zu stützen, presst sie ihre rechte Hand gegen ihre Brust und spürt dabei die Kette mit der Bärenklaue. Als sie wieder einen sicheren Stand gefunden hat, schaut sie sich um und hält inne: „Schau!“ sagt sie, „siehst du das, dort ist eine Fährte, sie scheint noch frisch zu sein“. Er kniet nieder und untersucht die Spur, die im Schnee jetzt deutlich erkennbar ist. „Ein Bär ist hier entlang gelaufen, vor nicht langer Zeit. Vielleicht heute, am frühen Morgen.“

Beide schauen sich an. „Die Spur führt den Hang hinauf, weg vom Fluss. Was sollen wir tun? Ist das unser Weg? Weg vom Fluss, den Hang hinauf?“ überlegt sie laut. „Ich denke wir sollten dem Zeichen folgen,“ antwortet er nachdenklich. Sie nickt, beide nehmen ihre Bündel und folgen der Spur des Bären. Der Weg führt sie in sanften Kurven bergauf. Der Schnee durch den sie stapfen scheint fest zu sein, so dass sie sicher voran kommen. Dabei bemerken sie immer wieder, wie auf dr anderen Seite des Flusses, Schnee und Geröll hinumter in den Fluss poltern.

Nach einiger Zeit sehen sie vor sich die Klamm, die Berghänge ragen dort steil empor und stehen sich ganz nah gegenüber. Er zögert, wie sollen sie diese Stelle überwinden. „Komm,“ sagt sie und ergreift seine Hand, wir folgen ihm. Plötzlich ragt ein gewaltiger Felsblock vor ihnen auf, für eine Augenblick scheint es, als würde ihr Weg hier enden. Doch die Spur verschwindet hinter dem Felsen und als sie ihr weiter folgen, öffnet sich dort ein Spalt in dem Stein.

Zögernd treten sie ein in die Dunkelheit. Langsam, Schritt für Schritt tasten sie sich voran. Sie geht vor ihm und er hat seine Hand auf ihre Schulter gelegt. Sie atmen die feuchte Luft in der Höhle und dabei bemerken beide den Geruch eines Tieres, das hier seine Spuren hinterlssen hat, eines Bären. Nur einen Augenblick hält steigt Furch in ihm auf, dann erinnert er sich an die Bärenklaue und sein Herz öfffnet sich wieder voller Vertrauen.
Nach einiger Zeit erkennen sie vor sich einen Lichtschein, der schnell größer wird und dann haben sie den Ausgang des Tunnels erreicht. Nachdem ihre Augen sich an das helle Licht gewöhnt haben, stehen sie im Sonnenschein und blicken auf die weite Ebene. Auf dieser Seite des Berges ist der meiste Schnee bereits getaut. In der Ferne entdecken sie die ersten Häuser ihres Dorfes. Als sie ihren Weg fortsetzen befinden sie sich bald auf einem ausgetretenen Pfad, die Spur des Bären ist verschwunden. Sie beschleunigen ihren Schritt und es dauert nicht mehr lange, dann haben sie das Dorf erreicht.

Schnell sind sie umringt, zuerst von bellenden Hunden, denn von den fröhlich lachenden Kindern und schließlich von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Dorfes, die ja schon alle so sehr auf ihre Rückkehr gewartet hatten. Niemand fragt in diesem Augenblick nach dem Verbleib des Kanus, alle sind froh und glücklich, dass beide wohlbehlten zurück gekehr sind. Langsam bewegt sich der Zug zum Versammlungshaus, in dem die Runde der Alten sie erwartete.
Dort werden sie Willkommen geheißen und nach einem Gebet, das eine Großmutter und ein Großvater sprechen, können sie damit beginnen, von ihrer Reise zu berichten und dabei auch von der großen Gefahr, die durch den aufgestauten Fluss droht. Sie bleiben dann in dieser Nacht in dem Versammlungshaus um sich auszuruhen, denn noch ist der Kreis nicht vollständig geschlossen.
Früh am nächsten Morgen macht sich eine Gruppe junger Männer auf den Weg flußaufwärts, um den Fluss von dem Geröll zu befreien und ihm wieder ein freies Fließen zu ermgöliche. Als die Gruppe einen Tag später zurückgekehrt, hat der Fluss bereits wieder seinen gewohnten Lauf genommen, denn sie konnten ihre Aufgabe erfolgreich abschließen.

Inzwischen sind die Vorbereitungen für die Abschlusszeremonie abgeschlossen. Alle versammeln sich kurz vor Sonnenaufgang im großen Kreis. Schon während der ganzen Nacht tönte der Ruf der Trommeln, jetzt beginnen leise die alten Gesänge, weben ein Netz durch die Zeit.
Beide stehen in der Mitte des Krises und beginnen langsam, Schritt für Schrit die überlieferten Bewegungen, auf und ab tönt der Gesang, Wellen die sich fort bewegen und wieder zurückkehren. Jetzt erhebt sich voller Bedacht eine der Großmüter und reiht sich ein in ihren Tanz. Während sich die beiden Frauen mit einander verbinden, hat sich einer der Großväter zu ihm begeben. So tanzen sie gemeinsam, mit wiegenden Bewegungen verknüpfen sie die gemeinsame Verbindung. Nach einiger Zeit bleibt sie vor ihm stehen, beugt ihrem Kopf ihm entgegen. Behutsm ergreift er die Kette, als er sie in seinen Händen hält dreht er sich um zu dem Großvater und übergibt sie ihm. Dieser steht jetzt der Großmutter gegenüber und sie wird in diesem Augenblick zur Trägerin der Kette, das Zeichen der wieder geschlossenen Verbindung.

Noch einmal schwillt der Gesang an, allen berühren sich an den Händen und in einem großen, gemeinsamen Miteinander bewegen sie sich durch den Raum. Die Türen des Versammlngshauses sind jetzt alle geöffnet, die Morgensonne taucht den Platz vor dem Haus in ein strhlendes Licht. Angeführt vor den beiden Ältesten bewegt sich der Zug hinaus und wandert langsam hinunter an des Flussufer. Hier werden die frisch gesammelten Kräuter und Blumen dem Fluss übergeben, der sie an den rechten Bestimmungsort bringen wird.


Nachdem später alle zu dem großen Versammlungshaus zurückkehrt sind, um dort das gemeinsame Frühstüch zu feiern, bleiben die beiden jungen Reisenden noch einige Zeit am Ufer stehen und blicken in den vorbeiwandernden Fluss. Sanft berührend sich dabei ihre Hände.

 

 

 


 

 

Danke!

Viele Geschichten der Traumzeiten und der Märchen sind im Kontakt zu Menschen aus unterschiedlichen Kulturen entstanden. Ich danke für die Inspirationen und die vielfältigen Geschenke des Blicks hinter die Schleier. Mögen die Torwege weiter geöffnet und die Geschichten über die Geschichte auch morgen noch lebendig sein!
Mitakuye Oyasin

 

Giving Thanks!

Many of the stories of the dreamtime and the fairy tales for the kids came up in contact with poeple from different cultures and spiritual background. I'm very thankful for the inspirations and for the gift of viewing behind the veils. May the gateways stay open and the stories about the ancient times may be alive tomorrow and beyond that time.
Mitakuye Oyasin

 

 

 


 

 

 

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