flying dolphins

 

Bernd-Uwe KrauseErzählungenn / Summerlove / Levante / Morgenliebe / Oleanderduft / Rohrkolbensänger / Tarifarain / Weisse Feder / Mondin im See

 

Summerlove

Geschichten des Sommers

Sonne, Wind
Sand, Meer und Sterne
manchmal spiegelt der Vollmond
verlorene Flatterherzträume
der Horizont gleitet auf einer Welle
verloren im Gestern
ein tanzender Schmetterling
blau - in flirrender Hitze
weckt das Lied der Zikaden
eingehüllt in den Duft
von Zypressen und Lavendel
aus dem Rot des Hibiskus
erwacht die unbekannte Stimme
beginnt ein zärtlicher Gesang
zur Melodie des fremden Vogels
Stille
ein Wellenschlag
Schritte
die Nacht und ein Sonnenaufgang
Sonne, Wind
Sand, Meer und Sterne

Geschichten des Sommers

Summerlove

 

 

Levante

Ihr Fuß bewegt sich zum Takt der Musik, ein Disco-Beat, der spanische Text rauschte an ihr vorbei. Ihre Hand umschloss das Glas mit dem Caipirinha. Sie schob es langsam am Handgelenk entlang und genoss die Kühle. Auf dem lackierten Holz blieb eine Wasserspur zurück. Die blonde Frau hinter dem Tresen lächelte, sie lächelte schon den ganzen Abend, selbst als die beiden dicken Deutschen zwei Literflaschen Bier bestellen wollten. „Cerveza, you know, but the big one, claro?!“. Die Frau sprach perfekt Deutsch, das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht gefroren.
„Noch einen Caipirinhia, bitte!“, sie schob ihr leeres Glas über den Tresen. „Kommt sofort“, für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Sie konnte nicht entziffern, was sich hinter dem Lächeln verbarg.
Als sie den neuen Drink in der Hand hielt, begann sie zu rechnen. Noch zwei Tage, dann war ihr Urlaub zu Ende, hier in diesem kleinen spanischen Ort, wo sich Europa und Afrika begegnen, durch ein bewegtes, unruhiges Wasser getrennt.. Sie ließ sich noch einmal in die Einsamkeit der stundenlangen Strandspaziergänge zurückgleiten, erinnerte sich an ihre wiegenden Bewegungen in den Wellen und die viel zu häufigen Nächte, in denen sie auf der Terrasse vor ihrem Appartement stand, über die Straße von Gibraltar schaute und in ihrem Herzen ein einsames Sternenlied weinte. Nachdem sie diese Bar entdeckt hatte, gab es am Abend für sie ein Ziel, hier wurde sie nicht an gemacht und hin und wieder hatte es auch ein kurzes Gespräch gegeben, mit Leuten die hier herumsaßen.
Gerade hatte sie wieder das Glas angehoben und den kurzen, schwarzen Trinkhalm zwischen die Lippen genommen, da hielt sie den Atem an. Hinter ihr breitete sich ein Geruch aus, zunächst wie ein Hauch, dann intensiv und kräftig, sie atmete tief ein, schloss die Augen: da war das Meer, Salz, Wind und Sonne – und eine dunkle Männerstimme. Ein seltsames Kribbeln kroch langsam ihre Wirbelsäule empor. Die Stimme bestellte etwas bei der Frau hinter dem Tresen. Einen Augenblick später schob sich ein gebräunter, muskulöser Männerarm an ihrem Gesicht vorbei über ihre Schulter. Eine sehnige Hand ließ ein paar Münzen auf den Tresen fallen und umfasste die beiden Bierflaschen, die jetzt auf dem Tresen standen.
Sie spürte den Körper des Mannes berührungslos in ihrem Rücken, empfand einen Impuls, sich zurück zu lehnen und in sich in diese Arme fallen zu lassen. Als er die Hand mit den beiden Bierflaschen zurückzog, streifte sein Arm ihre nackte Schulter. Es schien ihr, als sei der Bewegungsablauf für einen Augenblick verzögert.
Sie nahm den Trinkhalm fester zwischen ihre Lippen, stieß ein paar Mal in das Eis in ihrem Glas und trank einen kräftigen Schluck. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle und sie musste husten. Dabei sah sie in der Spiegelwand an der Rückseite der Bar ihr eigenes Gesicht, verschmolzen mit dem Profil des Mannes. Ein anderer redete wild gestikulierend auf ihn ein, doch seine Aufmerksamkeit war nicht bei diesem Gespräch, sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken. In der verspiegelten Rückwand der Bar fand sie jetzt zwischen den bunten Flaschen deutlich sein Gesicht, das schmale feste Kinn, die kräftige Nase, die dunklen, lockigen Haare umrahmten für einen Augenblick ein Lächeln. Sie suchte seine Augen. Mit einem weiteren Redeschwall verabschiedete sich plötzlich sein Gesprächspartner und verschwand durch die geöffnete Tür. Er trat neben sie an den Tresen, sie drehte den Kopf zur Seite und dann trafen sich ihre Blicke.
„Hallo!“, seine Stimme klang tief aus irgendeiner Dunkelheit heraus, voller Wärme und Verheißung.
„Hallo!“ etwas fiel von ihr ab, „cool sein“– löste sich auf in den Rauschschwaden der Zigaretten um sie herum. Sie ließ sich einfangen von ihrer eigenen Sehnsucht und dem Zauber seines Lachens.
Später saßen sie am Strand, er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt und sie atmete seine Wärme und das Salz des Meeres. Dann begann die steigende Flut ihnen den Platz am Ufer streitig zu machen. Sie sammelten noch ein paar Sterne und verbanden sie mit ihren Küssen zu einem schillernden Bild von Zärtlichkeit und
Wildheit.
Es war noch immer Nacht. Der Sturm rüttelte an den Fensterläden ihres Appartements. Sie drehte sich auf die Seite, fand seine Armbeuge, um darin zu versinken. Blitze zuckten über den Himmel und in seinem ruhigen, gleichmäßigen Atem fand sie ihre Geborgenheit.
„Das ist der Levante“, hörte sie ihn sagen. „Sturm! Du kannst seine Wildheit hören und fühlen, du kannst ihn schmecken, es ist ein Sturm aller Sinne. Und er bringt das Feuer, den Rhythmus für den Tanz, vom schwarzen Kontinent“. Sie wunderte sich für einen Augenblick, dass sie ihn so gut verstehen konnte, diese Mischung aus spanischen, französischen  und deutschen Worten. Aber vielleicht war es ja auch noch eine andere Sprache, die sie miteinander verband. Dann tauchten sie wieder ein, in ihr wildes Begehren, ließen sich davon tragen, Wellenreiter der Lust auf den Wogen ihrer Leidenschaft.

Als sie am nächsten Vormittag in einem Cafe saßen, erwachte sie langsam aus dem Traum der vergangenen Nacht. Genussvoll kaute sie das noch warme, knusprige Baguette, schlürfte den heißen, starken schwarzen Kaffee und spürte die wohlige Wärme der Vormittagssonne auf ihrer Haut. Später schlenderten sie durch die Gassen, er hatte seinen Arm um ihre Hüften gelegt. Mit manchen vorbeikommenden Passanten wechselte er ein paar Worte, ohne dass die Spannung in seinem Arm nachließ und es schien ihr, als wären sie auf diese Weise schon unzählige Male gemeinsam durch diese Gassen gelaufen. Nach einer Siesta, die erfüllt war von zärtlichen, sanften Berührungen und Küssen, wanderten sie den endlos langen, Strand entlang. Der Wind blies noch immer heftig über die Dächer der Stadt, fegte über den Strand, wirbelte an manchen Stellen den weißen, feinen Sand empor und trug ihn hinaus auf das Meer. Manche besonders starke Böe riss von den sich brechenden Wellen weiße Gischtstreifen, die fast waagerecht, wie die Mähnen galoppierender Pferde, in der Sonne funkelten.

Jetzt begann er zu erzählen, von seiner Arbeit als Fischer, von den Fahrten hinaus in die Straße von Gibraltar, von den Delphinen, die oft ihr kleines Schiff begeleiteten, von den schnellen Katamaranfähren, die zwischen Tarifa und Tanger hin und her jagten und von seinem Traum, eines Tages so einen großen  Frachter als Kapitän zu steuern. Dabei zeigte hinaus auf das Wasser, dort wo im Dunst vor der Küste Afrikas gerade ein großes Containerschiff seine Bahn zog, aus der Strasse von Gibraltar kommend, hinaus in die Weite des Atlantiks.
Jetzt verstand sie, dass der Sturm zu heftig war für sein kleines Fischerboot und dass er aus diesem Grund nicht hinaus fahren konnte. So ist das also, dachte sie, wenn ein Element der Natur den Rhythmus bestimmt.

Sie gingen Hand in Hand. Manchmal blieben sie unvermittelt stehen und küssten sich. Dann wirbelte der Sturm ihre langen Haare durcheinander und wickelte sie wie einen feinen Schleier  um ihre Köpfe. Als eine Welle besonders weit auf den Strand schwappte, sprang sie wie ein übermütiges, spielendes Kind in die Höhe, um der Welle auszuweichen. Irgendwann schaute sie sich um, die schon tief stehende Sonne blendete sie. Der Strand hinter ihnen war menschenleer. Ihre Fußspuren wurden von den Wellen aus dem Sand gewaschen. Ganz weit in der Ferne tanzten ein paar bunte Schirme der Kite-Surfer im Wind.
Plötzlich blieb er stehen. Er ließ ihre Hand los und zeigte hinauf zum Himmel. Sie schaute empor, kniff die Augen zusammen, doch ihr Blick verlor sich im weiten Blau. Fragend schaute sie ihn an. Er umarmte sie, jetzt folgte ihr Blick seinem ausgestreckten Finger und dann hatte sie die beiden Vögel ebenfalls entdeckt. Sie flogen in Richtung Afrika, hinaus auf die Straße von Gibraltar. Immer wieder veränderten sie ihre Flughöhe, drehten Schleifen, versuchten im Gleitflug ihre Flughöhe zu verändern, um der Kraft des Levantes auszuweichen. Einmal schossen sie mit heftigen Flügelschlägen steil hinauf in das strahlende Blau, so dass sie nur noch als winzige Punkte am Himmel zu erkennen waren. Doch sie hatten keine Chance gegen die Kraft des Sturmes und so gab es noch ein oder zwei vergebliche Versuche, dann drehten sie ab und ließen sie sich von der Luftströmung hinüber tragen zu den Bergen. Vor den graubraunen Felsen waren sie schnell aus ihrem Gesichtfeld verschwunden. Die weißen Flügel der Windkraftanlagen auf dem Bergkamm bewegten sich, wie ein synchroner Tanz dreiarmiger Riesen in einer unermüdlichen, gleichförmigen Kreisbewegung.
Sie wandte ihren Blick ab, drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter, atmete tief die Wärme und den salzigen Geruch seiner Haut, bis sie das Salz ihrer eignen Tränen spürte. Behutsam fasste er ihr Kinn, drehte ihren Kopf sanft dem Licht entgegen und küsste sie, zuerst die Augenlider, dann ihre Wangen und schließlich fanden sich ihre Lippen.

Später bummelten sie weiter durch die Stadt, gingen hinunter zum Hafen und schauten von der Mole lange auf das Meer. Danach saßen auf den warmen Steinen, blickten auf die Boote im Hafen  Sie hatte ihre Hand unter sein T-Shirt geschoben, streichelte seinen Rücken, sie spürte die Stärke seiner Muskeln und fühlte die Wärme seiner Haut. Er erzählte von seiner Arbeit auf dem Boot, vom Thunfischfang und den Orcas, die den Fischern die gefangenen Thunfische von der Leine raubten. Als sie darüber lachte, schaute er sie mit blitzenden Augen zornig an. Sie biss sich auf die Unterlippe. Da versuchte sie sich wortreich zu entschuldigen, bis er ihren Kopf mit beiden Händen zu sich heran zog. Er biss ihr zärtlich in die Nase und verschloss ihren Mund mit sanften Küssen.

Irgendwann kamen sie am Abend in ein kleine Fischrestaurant, einen Ort, an den sich selten einmal ein Tourist verirrte. Ein schlicht eingerichteter Raum mit einfachen Holztischen und wackligen Stühlen, Auf einem vergilbten Foto erkannte sie den Hafen, das Modell eines Kutters stand auf einem Regal und in einer Ecke flimmerte ein Fernseher mit ausgeschaltetem Ton. Während er am Tresen, mit den Wirtsleuten scherzte und dabei das Essen bestellte folgte sie mit ihren Blicken den sparsamen, zielgerichteten Bewegungen seiner Hände, mit denen er die Fische aus der Kühltheke auswählte, ließ sich von seinem Lachen erwärmen und sehnte sich nach dem nächsten Kuss.
Erst als die Wirtin eine weiße Papiertischdecke mit einer schwungvollen Bewegung über den Tisch breitete, spürte sie ihren Hunger. Dann wurden das Wasser und der Wein gebracht, ein Korb mit warmem Brot, eine Schale grüner und schwarzer Oliven. Während sich die Gläser mit leisem Klirren berührten, fanden sich ihre Hände. Der würzige, trockene Weißwein war kalt und sie trank einige hastige kleine Schlucke. Dann brachte die Wirtin mit einem stolzen Lächeln eine große Platte mit verschiedenen gebratenen Fischen, gebackene Kartoffeln und ein Berg grünem Salat. Sie aßen schweigend, noch nie war ihr bewusst geworden, wie sehr sich der Geschmack verschiedener frisch gebratener Fische unterscheidet. Als sie einmal das Glas hob, schaut sie über den Rand zu ihm hinüber. Er schien sich ganz auf das Essen zu konzentrieren, doch vielleicht waren seine Gedanken auch woanders.

Irgendwann in der Nacht erwachte sie. Stille! Sie richtete sich auf und lauschte. Was hatte sich verändert? Die Fensterläden klapperten nicht mehr, sein Atem? Ihre Hand tastete neben sich. Das Laken war kalt. Sie knipste die kleine Lampe am Bett an, wollte seine Namen rufen. Erst jetzt bemerkte sie es, sie kannte ihn nicht. Der Blick ins Bad bestätigte, was sie schon längst wusste. Er war fort. Draußen dämmerte der Morgen. Sie öffnete die Fensterläden und trat hinaus auf die Terrasse. Im Osten tasteten sich die ersten Strahlen der Morgensonne über die Dächer der Stadt. Es war windstill, der Levante war eingeschlafen. Zeit für die Fischer, wieder hinaus zu fahren.
Während sie mit fahrigen Bewegungen ihre Kleider in die Reisetasche stopfte, rannen die Tränen über ihre Wangen. Den Schlüssel des Appartements warf sie in einen Briefkasten. Sie schleppte die Reisetasche durch die noch menschenleeren Gassen  zu ihrem kleinen Mietwagen. Erst als der Duft von frisch gebackenem Brot ihr in die Nase stieg, entdeckte sie die kleine Bäckerei, an der sie ganze Zeit achtlos vorübergegangen war. Sie kaufte ein braunes, knuspriges Baguette und nachdem sie auf die Strasse nach Algeciras eingebogen war, brach sie Stücken von dem Brot und stopfte sie in ihren Mund. Auf der Straße herrschte reger Verkehr, sie fuhr konzentriert und schnell, um nicht dauernd überholt zu werden. Bei einem Blick in den Rückspiegel bemerkte sie ihre zusammengekniffenen Lippen und die eine steile Falte über ihrer Nasenwurzel. Erst jetzt spürt sie, wie sie zusammengekrümmt über das Lenkrad gebeugt war, fühlte die Anstrengung und ihre Atemlosigkeit.

Am Ende der nächsten Steigung gab es endlich einen Parkplatz. Achtsam kurvte sie um die tiefen Schlaglöcher, stellte das Auto in den Schatten einer Pinienreihe, holte sich aus dem Kiosk einen Kaffee mit einem Croissant und saß schließlich auf einer Steinmauer. Unter ihr erstreckte sich die Strasse von Gibraltar. Die Luft war klar und die Küste von Afrika schien zum Greifen nahe. Um die Spitze der höchsten Bergkuppe ringelten sich kleine weiße Wölkchen. Wie eine Krone, dachte sie. Das Meer glitzerte im Schein der Morgensonne und die großen Schiffe zogen ihre Bahn, auf der afrikanischen Seite in das Mittelmeer hinein, auf der spanischen hinaus in den Atlantik.
Da entdeckte sie plötzlich zwei Schiffe die viel kleiner waren, Sie fuhren mit einigem Abstand neben einander her, zwei Fischerboote. Sie wollte dem Kloß in ihrem Hals nicht wahrhaben, als sie von der Mauerbrüstung heruntersprang, schwappte der letzte Schluck Kaffee auf ihre weiße Hose. Fluchend zerknüllte sie den Pappbecher. Ein kleines Mädchen blickte sie mit großen Augen fragend an. Sie versuchte zu lächeln, schaute dann auf ihre  Uhr. In drei Stunden musste sie in Malaga auf dem Flughafen sein.
 

 

Morgenliebe

Während er sich vom Badezimmerspiegel wegdreht, verzieht er sein Gesicht zu einem übermütigen Ich - habe - ausgeschlafen - Grinsen. Mit einer Hand schiebt er den Rasierer in den Schrank, klappt die Spiegeltür zu und wischt sich mit dem flauschigen, maisgelben Handtuch noch einmal über das Gesicht. Erst als er aus der Badezimmertür tritt hört er die Musik, langgezogene Saxophonphrasen, mit schönen blusigen Halbtönen, die Läufe technisch sauber gespielt und doch so herrlich schmutzig, dazwischen ein paar kurze, harte Gitarrenriffs, mit Power getragen vom treibenden Beat des Schlagzeugs.

Unwillkürlich schiebt er seine Schultern nach vorn, spürt die rhythmische Bewegung seines Beckens, ein paar Wassertropfen laufen aus seinen frisch gewaschenen Haaren den Rücken hinunter, er zieht die Schultern hoch, mit gespannter Aufmerksamkeit wartet er darauf dass die Nässe seinen Hintern erreicht.  Er kneift die Pobacken zusammen, die Kühle strömt über seinen Rücken, eine Gänsehaut breitet sich aus. Er schüttelt sich.Die Musik tönt ganz deutlich aus dem Zimmer, seiner Aufmerksamkeit entgeht jetzt nichts mehr – da ist ihr Atem, schnell, stoßweise, er spürt ihre Bewegung, sein Blick fällt auf die halb geöffnete Tür. Auf dem Weiß der Wand zeichnet sich ihr Schatten. Die Vormittagssonne muss ihren Körper in ein strahlendes Licht hüllen. Er kann sie nicht sehen, doch das Schattenspiel der Bewegungen ihres Körpers hat seine Aufmerksamkeit geweckt . Ihre Arme sind weit geöffnet, als ziehen etwas Unsichtbares zum Körper heran. Sie beugt den Rumpf nach vorn, geht in die Knie, kauert so einige Sekunden in der Hocke, streckt sich dann mit einer einzigen Bewegung und schnellt empor. Für einen Augenblick biegt sich ihr Körper zu einer Sichel. Die Spitze ihrer Brustwarze bannt seinen Blick. 

In einer Drehung fällt ihr Kopf nach vorn, wie eine Welle fallen die Haare nach vorn und hüllen ihn ein. Sie beugt ihn hinab auf die gestreckten Beine, mit einem pfeifenden Atemzug stößt sie die Luft aus der Lunge, er kann ihre Hände nicht sehen, die jetzt vielleicht ihre Füße berühren. Das Bild ihres steil aufgerichteter Hinterns fesselt seinen Blick. Er spürt die Energie in seinem Beckenboden, fühlt die beginnende Erektion. 

Mit dem Fuß stößt er vorsichtig die Tür auf. In diesem Augenblick richtet sie langsam ihren Oberkörper auf. Er schaut in ihr Gesicht, ihre Augen sind geschlossen. Ihr nackter Körper hat sich ihm geöffnet, sie hebt die Arme, für einen Augenblick sind sie ihm entgegengestreckt, dann breitet sie die Arme weit aus, eine halbe Drehung, ihr Rücken bewegt sich in langsamen Wellenbewegungen, die sich in ihrem kreisenden Becken fortsetzen. Er tritt einen Schritt näher, legt seine Hände sanft auf ihre Hüften. 

Für einen Augenblick scheinen ihre Bewegungen verlangsamt, suchen einen Weg aus der Musik zu ihm, um sich mit ihm zu verbinden. Ihre Augen sind noch immer geschlossen, doch sie hat ihn längst wahrgenommen. Er zieht sie zu sich heran, ihre Haut ist kühl, der Körper so voller Energie, vibriert leicht. Sie beugt ihren Kopf nach hinten, seine Lippen graben sich in ihre Halskuhle, seine Hände schieben sich mit sanftem Druck nach vorn auf ihren Bauch, suchen sich langsam den Weg nach oben, bis sie sich ganz sanft um die vollen Rundungen ihrer Brüste schmiegen. 

Er ist voller Lust und Zärtlichkeit, seine Hände verstärken den Druck, zwischen den Fingern spürt er ihre Brustwarzen, aufgerichtet, fordernd, gespannt. Seine Männlichkeit drängt, in lustvoller Härte, mit einer gleitenden Bewegung dreht sie sich zu ihm herum, sie haben jetzt beide die Augen geschlossen, ihre Lippen begegnen sich, saugen sich ineinander fest, die Zungen beginnen einen wilden Tanz, die Körper verschmelzen mit der Musik, bewegen sich voller Leidenschaft und Kraft im gemeinsamen Liebesrausch.
 

 

Oleanderduft

Sie flüchtete in den dunklen Schatten der schmalen Gasse. Ihr Körper war von der brennende Vormittagssonne aufgeheizt, das Schwimmen im Meer hatte keine Abkühlung mehr gebracht, die langen, blonden Haare fielen in feuchten Strähnen unter der breiten Krempe des Strohhutes hervor. Sie spürte den Salzgeschmack auf ihren Lippen und sehnte sich nach einer kalten Dusche.
Seit einer Woche war sie den Weg zwischen dem kleinen Zimmer ihrer Pension und dem Strand mehrmals täglich gegangen, ohne dass sie die üppig wuchernden Blumen in dieser Gasse bemerkt hatte. Last Minute,  in letzter Minute, sie hatte die Tür hinter sich zugeworfen, die enttäuschten Hoffnungen, die Verletzungen  und die Demütigungen hinter sich lassend, auf dem Weg zum Flughafen die Freundin angerufen, voller tränengetränktem Schmerz, mit dem Balsam schwesterlicher Ermutigung hatte sie sich auf den Weg gemacht, nach der Ankunft ein hastiger Einkauf in der Hauptstadt der Insel, eine tränengebettete Übernachtung in einem lauten, stickigen Hotelzimmer, dann hatte ein Taxi sie  hierher in diesen Ort gebracht.

Sie sah sich in der flimmernden  Mittagshitze mit dem Rucksack vor ihren Füßen am Rand des staubigen Platzes stehen, bis eine Frau sie wie ein kleines Kind an die Hand nahm, vorbei an den Tischen der kleinen Taverne führte, eine schmale Treppe mit ihr hinaufkeuchte und sie in ein Zimmer schob. Durch die geöffnete Balkontür registrierte sie "Weiß" und  "Blau", sie nickte. Dann war die Alte auch schon verschwunden, die Tür war ins Schloss gefallen, sie war in ihre Einsamkeit zurückgesunken, eingetaucht in die blaue Weite der Horizontlinie und  hatte endgültig Abschied genommen.

Wie in einem Traum waren dann die Tage vergangen, wie in einem Traum war sie in ein  Geschehen eingebunden, von dem sie in  selbstverständlichem Gleichmaß mitgetragen wurde. Die tägliche sich wiederholenden Funktionen an denen sie mit ihrem Körper beteiligt war, Essen, Schlafen, der Weg zum Strand, das Schwimmen im Meer, die Menschen, denen sie mit kühler Gleichgültigkeit begegnete, alles war weit entfernt, die Ereignisse zogen sie mit, ohne dass sie auf etwas Einfluss nehmen musste.

Mit dem gleichen Gefühl war sie eben noch in die Gasse eingebogen. Beim Anblick der wilden  Rot-, Violett- und Blautöne üppig blühender Stauden begann sich etwas in ihr zu regen. Überall an den weiß gekalkten Hauswänden und den Mauern, die die Innenhöfe der Häuser zur Gasse hin abschirmten, wucherten Blumen. Auf der Straße standen die Gefäße mit Pflanzen so dicht, dass sie an manchen Stellen wie ein grüner Teppich mit buntem Blütenmuster den Boden bedeckten. 
Am Eingang zu einem Innenhof standen zu beiden Seiten eines rostigen Gittertores in zwei aufgeschnittene Plastikkanistern zwei herrlich blühende Oleanderbüsche. Wie eine stolze Palastwache rahmten sie die Pforte ein. Sie blieb stehen, hob ihre Hand und zeichnete mit dem Zeigefinger die Blütenblätter einer Oleanderblüte nach. Ihre Nase öffnete sich weit, während sie versuchte die verschiedenen Gerüche, von denen die schmale Straße durchzogen wurde, in sich aufzunehmen und  zu identifizieren. Der zarte Duft der Blüte in ihrer Hand wurde überdeckt von dem kräftigen Geruch der Salbei-, Lavendel- und Thymianbüsche. sobald sie ihr Gesicht abwandte.

Plötzlich nahm sie neben sich die gebeugte, schwarz gekleidete Gestalt einer alten Frau wahr, die sie offenbar schon seit einer Weile beobachtet hatte. Sie stand in der jetzt geöffneten Pforte, eingerahmt vom Duft der violetten Blüten der Oleanderbüsche, wie eine Botin aus einer anderen Zeit. Die beiden Frauen musterten sich, mit der Begegnung ihrer Augen trafen sie sich in ihrem stummen Verstehen. Die junge Frau fühlte einen heftig stechenden Schmerz in ihrer Brust, ein tiefer Seufzer schaffte wenig Erleichterung.Die Alte hob ihren Arm und winkte ihr, verzog dabei ihren zahnlosen Mund zu einem einladenden  Grinsen. Ihr sonnengebräuntes Gesicht war von einem Muster tief gezeichneter Runzeln überzogen, die in ständiger Bewegung waren. Ihre dunklen  Augen  leuchteten mit einer so lebendigen  Kraft, die die junge Frau erschreckte und gleichzeitig  anzog. Beide traten in den Hof ein, in dem die Pflanzen wie im Garten eines verwunschenen Schlosses wucherten und ihre Blütenpracht versprühten.

"Ein Ort der Fruchtbarkeit", schoss es ihr durch den Kopf und ein träges Begehren durchströmte sie. In einer Ecke stand ein mächtiger alter Tisch, die breiten Bohlen der Platte hatten sich im Laufe der Jahre verzogen, war vom täglichen  Scheuern mit Salzwasser bleich geworden. ein paar wacklige Holzstühle standen um den Tisch herum. Die alte Frau nahm ihre Hand, sie spürte die faltige Haut, ein Druck, ein kurzes Tasten, dann fühlte sie sich sicher in dieser Hand, es war die Hand einer Frau, die gelernt hatte Wege zu weisen und zu führen, zu halten und zu entscheiden. Diese Kraft strömte jetzt in den Körper der jungen Frau, pulsierte heiß in ihrem Becken, ließ sie fast schmerzhaft ihre Brüste spüren.

Sie standen jetzt vor einem Pfeiler, in Augenhöhe hing eine Rankpflanze, die in einer flammenden Kaskade ihre Blütenpracht über den Topfrand ergoss. Die alte Frau deutete auf eine verbeulten, mit Wasser gefüllten Zinkeimer, der auf dem Boden stand.
Die junge Frau bückte sich, stemmte den Eimer mit beiden Händen hoch, um die Pflanze zu wässern. Mit einem Schwung goss sie das Wasser in den Topf, von dort schwappte es zurück und hüllte sie ein in einer spritzenden Fontäne. Prustend schüttelte sie sich, wischte mit einer Handbewegung das Wasser aus dem Gesicht, ihr Strohhut war heruntergefallen, sie spürte, wie ihr T-Shirt nass am Körper klebte, deutlich zeichneten sich darunter die steil aufgerichteten Brustwarzen ab. Mit Daumen und Zeigefinger zog sie an dem feuchten Stoff. Ihr verlegener Blick fixierte die rotlackierten Fußnägel in ihren Sandalen.
Die alte Frau kicherte und zeigte auf einen Wasserhahn, dann drehte sie sich um und verschwand im Haus. Sie füllte den Eimer noch einmal halbvoll mit Wasser, ließ es langsam in den Blumentopf fließen, stellte den Eimer auf den Boden und schaute sich um. Leise Geräusche, die sie nur schwer einordnen konnte, klangen über den Hof, eine Katze lag dösend auf einem der Stühle, die blauen Fensterläden waren geschlossen.


Sie ging zu dem Tisch hinüber, setzte sich auf einen der Stühle, mit einem Satz war die Katze bei ihr und strich um ihre Beine. Sie beugte sich hinunter, kraulte das weiche, weiße Fell unter dem Hals des Tieres. Mit einem leisen Mauzen warf sich das Tier auf den Rücken und rollte sich von einer Seite auf die andere. Sie hörte sich zärtliche Koseworte zu dem Tier sprechen. Während sie sich tiefer nach vorn beugte, rutschte die dünne Kette mit dem goldenen Anhänger aus ihrem Ausschnitt. Mit einem Satz war die Katze auf den Beinen und schlug mit ihrer Tatze nach dem baumelnden Medaillon. Der Kopf der Frau ruckte nach vorn, als die Kette in einer Kralle hängen blieb, in einer Reflexbewegung zog sie den  Kopf zurück, der Anhänger fiel in Staub des Hofes und die Katze sprang mit einem Satz auf die Mauer, die zerrissene Kette an der Pfote mitschleifend. 
Mit einem leisen Fluch sprang die Frau auf, wollte zur Mauer hinüberlaufen. Die Katze streckte sich, machte einen Buckel, drehte ihr mit hocherhobenem Schwanz das Hinterteil zu  und war mit einem Satz verschwunden. Mit zusammengebissenen Zähnen rutschte die Frau unter dem Tisch herum. Gerade als sie den Anhänger wiedergefunden hatte,  kam die alte Frau aus dem Haus geschlurft, stellte ein Tablett  auf den Tisch. Sie zeigte auf das Tablett, nickte ihr kurz zu  und verschwand wieder im Haus.

Auf einem Teller lagen ein Stück Schafskäse, Oliven, Gurkenscheiben, ein paar gefüllte Weinblätter, einige Scheiben Brot, ein  Glas und ein Metallkrug, Sie roch den geharzten Wein, spürte mit leichter Übelkeit ihren Hunger. Der Ärger über das Abenteuer mit der Katze wollte sie eigentlich fortschicken, doch die Müdigkeit machte sie träge, sie ließ sich wieder auf einen der Stühle fallen, griff mechanisch nach dem Brot und begann zu essen. Sie goss den Wein in das Glas, trank mit tiefen Zügen. Der Alkohol breitete sich wie eine gefiederte Schlange in ihrem Körper aus, sie schloss die Augen, das Schwindelgefühl wurde stärker. Sie öffnete die Augen wieder, bemerkte, dass nicht mehr alle Fensterläden geschlossen waren.


Durch das geöffnete Fenster drangen gedämpft die Stimmen einer Frau und eines Mannes in den Hof. Sie kannte die Sprache des Landes nicht und doch verstand sie die Bedeutung dieser universellen Sprache der körperlichen Leidenschaft, die Worte, die seit so langer Zeit in ihr verstummt waren, hier auf diesem Hof eines fremden Hauses in einem kleinen Fischerdorf erwachten sie in ihr wieder zu neuem Leben. Das lustvolle Stöhnen der Frau versetzte sie in Panik, ihr Körper bäumte sich auf, sie atmete heftig, wollte aufspringen, ihre Flucht fortsetzen. Doch sie blieb sitzen, war plötzlich hellwach, das Profil eines Mannes war in dem Fenster aufgetaucht, nach vorn gebeugt, den Mund leicht geöffnet bewegte er sich in einem langsamen Rhythmus, vor und zurück, sie versuchte ihren Blick loszureißen von diesem Bild, sich auf den salzigen Geschmack der Oliven in ihrem Mund zu konzentrieren.
Da schaute der Mann zur Seite, ihre Blicke trafen sich, die Katze sprang mit einem Satz in das offene Fenster. Als der Mann mit einer hastigen Handbewegung das Tier verscheucht hatte, blieb die dünne Goldkette auf dem Fensterbrett liegen.

 

Rohrkolbensänger

Die Henkel ihrer bunten Basttasche drückten in das Fleisch ihrer nackten Schulter, als sie die steile Böschung zum Seeufer hinuntergeht. Plötzlich gibt der Boden unter ihren Füßen nach, eine Sandale bleibt in einer Baumwurzel hängen. Vor Schreck stößt sie einen kleinen Schrei aus, wirft die Arme empor und rutscht mit geschlossenen Augen das letzte Stück hinunter zum Seeufer.
Die Tasche ist von ihrer Schulter geglitten, der Inhalt rollt heraus und verteilt sich zu einem bunten Teppich in dem weißen Ufersand. Sie atmet einmal tief ein und lässt die Luft zischend zwischen  ihren Zähnen entweichen. Langsam öffnet sie  die Augen und blickte hinaus auf das Wasser des Waldsees. Auf der rechten Seite schaut sie in eine kleine Bucht, die dicht mit Seerosen bewachsen ist. Die Sonne steht hoch am spätsommerblauen Himmel, das Ufer auf der anderen Seite des Sees liegt im Schatten, doch kann sie deutlich den geschlossenen Schilfgürtel erkennen.
Vorsichtig reckt sie die Arme in die Höhe, dreht langsam den Kopf, zieht beide Beine an und streckte sie wieder. Ihr bunter Rock rutscht noch ein Stück nach oben und sie spürte wohlig die Sonnenwärme zwischen ihren Schenkeln. Absturz heil überstanden, denkt  sie und musst dabei lächeln.


Sie sucht ihre Sachen zusammen und stopft alles achtlos in die Tasche, breitet das Handtuch aus und beginnt  sich langsam auszuziehen. Dabei wandert ihr Blick über die silbern glitzernden kleinen Wellen, verweilt einen Augenblick bei einem halb zerfallenen Steg auf der linken Seite der Bucht und folgt schließlich den kleinen Wellen vor sich, die sich in einer langsamen, gleichmäßigen Bewegung  auf den Strand zu bewegten, um schließlich im hellen Ufersand zu versickern.  Die Stille des Nachmittags wird von Zeit zu Zeit von dem kurzen Ruf eines Vogels unterbrochen, erst als sie den leichten Windhauch auf ihrer nackten Haut spürt, bemerkt sie das leise Wispern der Birken über sich. Sie drehte sich mit einer langsamen  Bewegung, rollte sich auf den Bauch. Nachdem sie an diesem Platz angekommen ist, trägt sie ein neuer Zeitrhythmus. Sie spürt die sanften Strahlen der Nachmittagssonne auf ihrem Rücken, durch den dünnen Stoff des Handtuchs fühlte sie die Wärme des Sandes, sie drückte ihren Körper gegen den Boden, der sie wir zwei liebevolle Hände aufnimmt. Deutlich spürte sie ihr Becken, ihren Bauch, die Brüste, kreisend bewegte sie ihre Hüften, nimmt das Gefühl der Geborgenheit in sich auf.


Ihre Sinne sind weit geöffnet, erst jetzt bemerkt sie, wie sich ihre Schenkel langsam spreizen, um der wärmenden Kraft der Sonne den Weg zu bahnen. Sie spürt ihren pochenden Herzschlag, aufmerksam lauscht sie dem Echo, das aus der Tiefe des Bodens zu ihr dringt.
Ihre Körper folgt diesem dumpfen Pochen, wie dem treibenden Schlag einer Trommel. Tiefer und tiefer sinkt sie in die Dunkelheit, bis sie sich in einem Erdtanz mit den Urkräften bewegt.Als sie wieder zu sich kommt, spürte sie Kühle des Wassers, mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen schwimmt sie auf das Seerosenfeld zu. Langsam lässt sie sich treiben, die Arme tastend nach vorn gestreckt. Sie hebt den Kopf und versucht in das Innere einer Blüte zu schauen, mit ihren Bewegungen treibt sie die Blüte vor sich her, ihr Blick folgt den  gebogenen Linien der Stengel der Seerosenblätter im braunen Wasser, die den Weg hinab in die dunkle Tiefe des Sees weisen. Plötzlich spürte sie eine Berührung an ihren Füßen, sie zuckte zusammen, dann tastete sie langsam mit den Zehenspritzen hinab zum Grund, bis sie einem Stein unter ihren Fußsohlen spürte. Soweit es die glitschige Oberfläche erlaubte, hatte sie jetzt einen festen Stand.

Direkt vor sich blickt sie jetzt in den weit geöffneten Kelch einer Seerosenblüte. Die durchscheinende Zartheit der Blütenblätter lässt  Bilder von Schmetterlingsflügeln in ihr entstehen. Behutsam nimmt  sie die Blüte in beide Hände, hebt sie aus dem Wasser und berührt sie zärtlich mit ihrn Lippen. Ein unbekannter Duft umgibt sie, als sie in den Blütenkelch eintaucht. Mit einem Gefühle der Leichtigkeit fühlte sie sich plötzlich ein Stück aus dem Wasser emporgehoben. Zwei Hände haben ihre Taille umfasst. Gleichzeitig dringt eine leise Melodie in ihr Ohr, gesungen von einer Männerstimme. Deutlich empfindet sie, wie diese Stimme und die Hände zusammengehören, obgleich es so scheint, als würde der dunkle Klang der Gesangs aus weiter Ferne zu ihr getragen. Sie braucht sich nicht zu bemühen, seine Worte zu verstehen, kennt sie doch ihre Bedeutung, verborgen in einer lange verschütteten Erinnerung. Die Stimme des Mannes durchströmt sie, dringt in jeden Winkel ihres Herzens, wirbelte empor die lange geglätteten Wogen ihrer Sehnsucht und Leidenschaft.

Noch immer die Seerosenblüte in den Händen haltend, lässt  sie sich langsam nach hinten fallen. Die Arme des Mannes öffneten sich für einen Augenblick, fangn sie auf und schließen sich wieder. Seine Hände liegen jetzt ruhig und fest auf ihrem Bauch. Neben ihrer Wirbelsäule spürt sie sein Herz schlagen. Sie hört seinen Atem an ihrem Ohr, seinen leisen, zärtlichen Gesang, der mit jedem Augenblick der gemeinsamen Berührung, immer mehr auch ihr Lied wird. Als seine Hände sich zu zwei Schalen formten, lässt sie mit einem leisen Stöhnen ihre Brüste in sie hineingleiten. Das zärtliche Spiel seiner Finger verwandelt ihre Brustwarzen zu zwei rotierenden Sonnen, die sie mit leuchtender Wärme erfüllen. Jetzt singen sie das Lied gemeinsam, der Rhythmus wird schneller, ein wilder Tanz beginnt, da spürt sie seine lustversprechenden Liebesstab, sie zuckte zusammen, zieht die Knie an, bewegungslos verharren beide. Langsam geht er in die Hocke, zieht sie zu sich herab, im Licht der tief stehenden Sonne funkeln die wild aufspritzenden  Wassertropfen wie eine Kaskade von Diamanten, als sie sich auf ihrem königlichen Liebesthron miteinander vereinigen.


Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees verschwinden die letzten Sonnenstrahlen hinter den Baumwipfeln. Sie spürte die Abendkühle und schlägt die Augen auf. Als sie sich aufrichtete, sieht sie einen Mann auf dem Steg stehen. Er schaut zu ihr herüber, während sie versucht, ihre Erinnerungen zu ordnen, drehte er sich um und verschwindet mit einem lang gestreckten Sprung in der Dunkelheit des abendlichen Sees. Nachdem sie sich angezogen hat, suchte sie noch einige Zeit nach der zweiten Sandale.
 

 

Tarifarain

Die Wolken hingen tief und schwer über der Bucht. Sein T-Shirt klebte am Oberkörper. Er saß in der geöffneten Schiebetür seines alten Bully's und schaute hinaus auf das blaugraue Wasser. Am Horizont die Umrisse eines Schiffes, das in die Straße von Gibraltar einlief. Eine lange Atlantikdünung schnappte mit leisem Platschen nach dem Spülsaum und verlief sich einem der Brackwasserseen. Er drehte die halbleere Wasserflasche zwischen seinen beiden Handtellern. Mit einem leisen Knacken gab das Plastik dem Druck seiner Hände nach. „Flut“, dachte er und strich sich eine lange blonde Haarsträhne aus der Stirn.. „No Poniente, no Levante, no fun“. Einen Tag wie heute hatte er noch nicht erlebt, seit er vor drei Monaten hier unten in Tarifa angekommen war. Diese Windstille, diese Schwere, er fühlte sich wie gelähmt und gleichzeitig von einer pulsierenden Unruhe getrieben.

Unten vom Strand klang ein gedämpftes Lachen zu ihm hinauf. Das war Dan, der Ire. Er wusste, die ganze Meute saß dort unten, tranken das sicher wieder lauwarme Bier, bestimmt kreiste auch wieder ein Joint. Er kannte die Geschichten, die sie erzählten, noch einmal und noch einmal, von den verrückten Spots, mit dem ultimativen Wind, der einmaligen Welle, dem totalen Abenteuer, irgendwo hier in Europa oder irgendwo anders auf der Welt.
Ihm war diese Mischung aus Halbwahrheiten ja sehr vertraut, hatte selber immer wieder daran mitgesponnen, sich und den anderen gezeigt, was für ein toller Kerl er war. Es waren ihre gemeinsamen Geschichten, aufgeblasen und voller unsicherer Eitelkeiten. Und  er spürte es in sich, diese Leere, damals schon, eigentlich an jedem dieser verrückten Abende, in ihrem aufgedrehten Lachen und in den lauernden Blicken, mit denen sie sich gegenseitig kontrollierten.

Ihm war klar, dass er heute nicht hinunter gehen würde, dabei griff er nach der weißen Hose, schlüpfte hinein, kramte aus der Reisetasche hinter der Schlafkoje ein anderes T-Shirt, das er sich überstreifte. Er startete den Motor, zwei dreimal drehte der Anlasser, jaulte dabei voller Mühe, bis der Motor stotternd ansprang. Er konnte die Benzinfahne riechen, die aus dem löchrigen Auspuff durch alle Ritzen in den Innenraum hereinkroch. Eine weiße Staubfahne hinter sich lassend rumpelte er den Weg hinauf zum Ausgang des Campingplatzes. Kein Mensch, kein Fahrzeug begegnete ihm. Obwohl der Platz fast leer war, brannte oben in dem kleinen Häuschen  am Eingang Licht. Der alte Jose schaute kurz zu ihm herüber, hob die Hand zu einer erkennenden Geste, verzog sein Gesicht zu einem Gelbe-Zähne-Grinsen und starrte dann wieder auf das flimmernde Bild des Fernsehers.


Er zog den Bully mit einem kurzen heftigen Tritt auf das Gaspedal in eine Rechtskurve auf die Straße, die Kiesel der Auffahrt spritzen scheppernd gegen das Blech. Während der Bully mühsam beschleunigte, jagte ihn von hinten ein wütend aufgeblendete Lichthupe, einen Augenblick später raste ein offener Sportwagen wild hupend an ihm vorbei, lange blonde Haare wehten im Fahrtwind, dann waren die Rücklichter hinter der nächsten Kurve verschwunden.

Er knurrte einen Fluch zwischen den Zähnen und versuchte sich auf die Melodie der ausgeleierten Musikkassette zu konzentrieren. Immer wieder dieses
Saxophon, von dem niemand wusste, wer es spielt. Dieser träge, ziehende Sound, der langsam vom Kopf hinunter in die Magengrube kroch, sich dort breit machte und ein schweres, dumpfes Gefühl weckte. Früher gab es auch noch das unruhige Pochen in der Brust. Doch dort war es inzwischen still geworden. 

Es war ihre Kassette. Er hatte sie irgendwann hier in Tarifa unter einem Sitz gefunden. Damals kam alles noch einmal hoch. Die merkwürdigen Anrufe, ihre gemeinsame Sprachlosigkeit, die endlosen Auseinandersetzungen, Versöhnungen und immer wieder die schmerzende Leere. Bis zu dem Tag, als ihre Sachen gepackt im Flur standen, der Typ die Treppe hinaufkam und sich mit einem lockeren "Hallo!" noch ihre zwei Reisetaschen über die Schultern hängte. Sie hatte nicht einmal die Sonnenbrille abgenommen, so blieb sein Blick in dem dunklen Glas hängen. Er hatte sich umgedreht und die Tür zugeknallt.
Das schwarze Band der Strasse lag vor ihm. In der Ferne konnte er die Silhouette der Stadt erkennen. Seine Hände klebten am Lenkrad, das rasselnde Gebläse pustete warme, ölige Luft in den Innenraum, seit die Kurbel abgebrochen war, ließ sich das Fenster nicht mehr öffnen. Er spürte ein Kratzen im Hals und seinen ausgetrockneten Gaumen.

Endlich hatte er den Bully in einer Seitenstraße geparkt. Die Hauptstraße, die zur Altstadt führte, war voller Menschen.
In sein rechtes Ohr dröhnte die Musik aus den weit geöffneten Türen der Butiken, das linke wurde von den wummernden Bässen aus den langsam vorbeifahrenden Autos zugepflastert. Ein brennendes Ziehen breitete sich zwischen seinen Schulterblättern aus. Atme, hörte er sich sagen. An einem Kiosk kaufte er eine Flasche Wasser. Es war eiskalt. Er presste die Flasche gegen seine Stirn und als er die Augen schloss drehte sich in seinem Gehirn rasend schnell eine blaue Windmühle. Gegen eine Hauswand gelehnt trank er die Falsche mit langen Zügen leer. Sein Magen krampfte sich zusammen und er spürte eine Übelkeit aufsteigen.


Schließlich sah er das Stadttor, er überquerte die Straße. Auf den Bänken vor der Stadtmauer saßen die alten Männer, auf ihren Stock gebeugt, schweigend und doch musterten sie die Menge, die da an ihnen vorüberzog. Was sahen sie? Die Großmutter mit dem Kinderwagen? Die glänzend polierten Autos mit den schwarzgelockten Jägern auf der Suche nach der Beute für diese Nacht?  Die Frau mit den beiden Einkaufstüten aus dem Supermarkt? Die Teenies, mit den kurzen Röcken, den knapp über der Hüfte sitzenden engen Hosen? Erkennen sie in diesen jungen Frauen ihre Enkeltochter?
Wie ein geöffnetes Maul zog das Stadttor die Menge an, der Sog ergriff auch ihn, er wurde für einen Augenblick gegen das Glasfenster gedrückt, hinter dem eine Heiligenfigur segnend die Hand hob, dann hatte er das Tor passiert. Unter den dünnen Sohlen seiner Turnschuhe spürte er die Wölbungen des Kopfsteinpflasters. Ziellos ließ er sich durch die engen Gassen treiben. Die schwüle, feuchte Luft kroch zwischen den Hauswänden entlang und trug der Geruch von gebratenem Fleisch, Crepes, Wein und Knoblauch in seine Nase. Manchmal überlagert von einer schweren, süßen Parfumwolke. Überall saßen und standen essende und trinkende Menschen. Sie redeten, lachten und manchmal wirbelte jemand seine Arme wie Windmühlenflügel durch die Luft, so dass er sich beim Vorbeigehen ducken musste. Dazwischen immer wieder Kinder. Kleine Mädchen, aufgeputzt mit Schleifen und pastellfarbenen Rüschkleidchen, immer ein wenig im Schatten der Jungen, die ihre Probe abgaben, für den großen Auftritt des Machismo, schmollend, beleidigt oder empört, umringt von ihren Müttern in flatternder Aufgeregtheit. Da war es für ihn überraschend, Kinderwagen zu sehen, die von Männern geschoben wurden.

Irgendwann stand er schließlich unten im Zentrum des Ortes, vor der Kirche. Die Glocken begannen zu läuten, es war fast Mitternacht, die schweren Flügeltüren waren weit geöffnet. Vielleicht wieder so ein Fest für einen Heiligen, dachte er. Seine Schritte folgten den Stufen hinauf, er blieb einen Augenblick in dem Portal stehen, leise murmelnde Stimmen hüllten ihn ein.  Er schaut auf den Altar, etwas regte sich in ihm, er konnte es nicht einordnen. Die Orgel spielte, er fühlte sich orientierungslos als er langsam an den Bänken entlang ging und sich schließlich hinsetzte. Erst jetzt bemerkte er die alte Frau in ihrem schwarzen Kleid und dem tief heruntergezogenen Kopftuch, die leise murmelnd neben ihm saß. Er hatte den Kopf gesenkt und die Hände auf die Oberschenkel gelegt und begann den Klängen der Orgel zu folgen. Plötzlich schrak er zusammen. Auf seinem rechten Handrücken spürte er ganz leicht die Hand der alten Frau, sie sprach zu ihm und ohne ihre spanischen Worte zu verstehen berührte ihn der Klang ihrer Stimme, tröstend und hoffnungsvoll.
Später, er stand wieder auf der Straße und  biss von dem Baguette ab, das er gerade gekauft hatte, versuchte er sich das Gesicht der alten Frau vorzustellen. Doch es blieb verschwunden. Er spürte nur noch die Kühle der kleinen, runzligen Hand.
In den Cafés und Restaurants entlang der Straße waren alle Plätze besetzt. Familien, händchenhaltende Liebespaare, kaum Touristen zu dieser Zeit des Jahres  und dazwischen auch die Typen mit dem öligen, glasigem Blick. Sie saßen hier morgens und abends, Leute setzten sich an ihren Tisch, standen nach einer Weile auf und verschwanden. Er hatte keine Lust, sich darüber mehr Gedanken zu machen. Ein paar mal tauchte ein Gesicht in der Menge auf, irgendwie vertraut und berechtigt für ein schnelles "Hallo". Doch dann suchte sich den Weg durch die engen Gassen, wieder hinauf in Richtung Stadtmauer.

Ein Bier noch, dachte er, hinein in seine Leere und Traurigkeit.Dann hatte er sich verloren und erst als er den Bully
mit jaulendem Getriebe im zweiten Gang eine Steigung hoch jagte, begann er sich wieder zu spüren. Das T-Shirt klebte überall am Körper. In seinen Schläfen pochte der Alkohol. Wieder versackt, dachte er, starrte angestrengt in die Dunkelheit und versuchte, sich an den  Lichtkegeln der Scheinwerfer zu orientieren. Dabei packte er das Lenkrad fester und es schien, als wollte er sich vergewissern, dass er noch alles im Griff hat.  Er schaute nach links, trotz der Dunkelheit konnte er über dem Meer die tiefhängenden Wolken erkennen. Ein Blitz zuckte und für einen Augenblick erschienen die Umrisse einer Wolke wie ein durchsichtiges Gewebe. Endlich, die Einfahrt zum Campingplatz, er schaltete runter in den ersten Gang und ließ den Bully durch das Tor rollen. In der Bude von Jose flimmerte noch immer der Fernseher, der Alte lag mit einer dünnen Decke zugedeckt auf dem schmuddligen Sofa und schlief. 

Er stoppte den Wagen, stieg aus, nahm vom Beifahrersitz die Plastiktüte mit der Flasche Rotwein und stellte sie auf den Tresen. Als er sich umdrehte und zum Bus zurückging spürte er ein lähmendes Schwindelgefühl. Für einen Augenblick hatte er den Impuls, einfach den Motor  auszuschalten und hier zu schlafen. Doch da holperte der Wagen schon wieder die steinige Straße  hinunter. Am Ende des Weges, mit dem aufregenden Blick herunter von der Klippe auf das Meer, befand sich sein Stellplatz. 

Gerade hatte er noch einmal Gas gegeben, als im Scheinwerferlicht ein kleines Zelt auftauchte. Fluchend riss er das Steuer herum, bremste mit aller Kraft, der Bully schleuderte dicht an dem Zelt vorbei und blieb zwischen zwei Pinien stehen. Sein Herz klopfte wild. Blödmann, stieß er hervor, was hat der auf meinem Platz zu suchen, kein Mensch auf dem ganzen Campingplatz und dieser Idiot stellt sich auf meinen .....! Er merkte wie sich sein Gesicht zu einem Grinsen verzog. Alles meins, jawoll, so ist das!. Und jetzt mein Bett und mein Brummschädel und mein Schlaf und dann Schluss für heute. Und morgen mein Kater.

Als er über die Sitzbank kletterte, sah er durch die Heckscheibe wie die schwarze Linie des Horizonts von Blitzen zerrissen wurde. Er schlüpfte unter das Laken, rollte sich auf dem Bett zusammen und wartete auf den Donner.
Irgendwann in Nacht erwachte er plötzlich. Es donnerte, doch es war ein merkwürdiger Donner, mit einem polternden Geräusch in unregelmäßigen Intervallen. Er kniff die Augen zusammen, drückte beide Fäuste gegen die Schläfen, das Geräusch wiederholte sich, im Prasseln des Regens auf dem Dach hörte er, wie jemand mit der Faust gegen die Tür des Bullys schlug. Er beugte sich hinüber, entriegelte die Tür und schob sie auf.

Vor ihm stand eine junge Frau, die halblangen dunklen Haare hingen in nassen Strähnen über ihr Gesicht, der Schlafsack, in den sie sich gewickelt hatte, tropfte vor Nässe. Vor sich hielt sie, mit beiden Armen umschlungen, ihren Rucksack. 

„Das Zelt“, rief sie auf Englisch, mit einem seltsamen Akzent.
Er sprang auf, schob sich an ihr vorbei und fühlte plötzlich den prasselnden Regen auf seiner nackten Haut. Für einen Augenblick richtete er sich auf, hob die Arme empor und ließ die kühle Luft in seine Lungen strömen.
Am Rand der Klippe flatterte, wie eine dunkle Geisterfahne, das zusammen gebrochene Zelt. Er bückte sich, zog die letzten Heringe aus dem Boden und schob es mit beiden Händen unter den Wagen. Dann kletterte er zurück in den Bully und ließ die Tür krachend in Schloss rollen.

Sie starrte wütend an. „Du bist über mein Zelt gefahren“, fauchte sie in einem harten Englisch. 

„Und du hast auf meinem Platz gestanden“, bellte er zurück. Ihre Augen trafen sich. Beide lachten. Trotz des Hochdachs, er stand gebeugt vor ihr. Der Schlafsack war über ihre Schultern gerutscht. Von oben schaute er auf ihre kleinen, festen Brüste. Mit dem aufsteigenden Gefühl seiner Lust registrierte er, dass er nackt vor ihr stand. Mit seiner linken Hand bedeckte er seine Blöße, während seine Rechte verlegen durch seine Haar strich.
„Oh nein“, sagte sie und es klang wie ein leises Knurren. Dann schob sie seine Hand zu Seiten, fasste mit beiden Händen seine Hüften, zog ihn zu sich heran und biss ihm oberhalb seines Nabels in den Bauch. Er schrie auf, es war eher der Schreck als ein Schmerz. „Das ist für das Zelt“, sagte sie, begleitet von einem dunklen, gurrenden Lachen.
Da beugte er sich zu ihr, stützte sich mit den Händen an Seitenwand ab und biss ihr in die Schulter. „Und das ist dafür, dass du dich auf meinen Platz gestellt hast, mit deinem blöden Zelt“.
Sie zog ihn zu sich herunter ihre Lippen fanden sich und wie zwei wilde Tiere fielen sie übereinander her. Mit einem letzten klaren Gedanken griff er unter den Vordersitz nach seiner Geldbörse, dort sollte es noch eine eiserne Reserve geben. Sie schaute ihn verständnislos an, bis er sich das Kondom übergestreift hatte. Dann schlug eine Welle der Extasse über ihnen zusammen.
 

Der Regen prasselte noch immer auf das Blech und einmal, während ein Blitz den Innenraum schemenhaft erhellte hielten sie inne und schauten sich an. Er lag auf dem Rücken und sie saß auf seinem Brustkorb, mit beiden Händen hielt er ihre Brüste, während sie mit dem Zeigefinger die Linien seines Gesichts nachzeichnete. Er wollte etwas sagen, sie spürte wie er Luft holte, da legte sie ihm sanft die Hand auf den Mund. Dann ließ sie sich auf ihn fallen und in ihrer Umarmung tauchten sie ein in ihr Traumland.


Die Luft im Auto war heiß und feucht, als er versuchte die Augen zu öffnen, blendete ihn das gleißende Tageslicht. Er drehte den Kopf mit einem Stöhnen in die Matratze und tastete mit beiden Händen nach links und nach rechts. Er war allein. Er stützte sich auf beide Arme und Schaute sich um. Das Wageninnere sah chaotisch aus, irgendwo hoffte er eine Spur von ihr zu entdecken, doch sie war fort, ihr Rucksack, der Schlafsack. Die seitliche Schiebetür war halb geöffnet, er beugte sich vor, schaute unter den Wagen, das Zelt war ebenfalls fort. 

Er setzte sich in die geöffnete Tür auf den Fahrzeugboden, stütze den Kopf in beide Hände und starrte in das staubige Grün der Pinien. Sein Kopf schmerzte, die Zunge lag pelzig und trocken in der Mundhöhle. Vergeblich suchte er in dem Durcheinander nach einer Wasserflasche. Wohin mochte sie verschwunden sein? Hatte er sie eigentlich nach ihrem Namen gefragt? Er versuchte seine Gedanken zu ordnen und die Leere und Traurigkeit herunter zu schlucken.

Fortgelaufen, dachte er, immer wieder endet es mit  dem Weglaufen. Er sprang mit einem Ruck auf und knallte mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Laut fluchend rannte er hinunter zum Strand.
Am Abend hatte er seine Bretter, die Segel und die Kiste mit dem Zubehör verkauft. Im nächsten Jahr würden hier sowieso die Kite-Surfer das Sagen haben  Das Geld würde reichen, um jetzt irgendwie nach Deutschland zu kommen. 

Als er hinter Algeciras einen Berg hinab fuhr, sah er sie im Schatten von ein paar Bäumen am Straßenrand stehen. Er ging vom Gaspedal und wollte den Wagen auf den Seitenstreifen lenken, da hatte sie ihn erkannt, drehte sich um und zog ihrem Rucksack in den Vorgarten einer kleinen Bar. Einen Augenblick zögerte er, dann gab er Gas und mühsam kroch der Bully die nächste Steigung empor.
 

 

Weisse Feder

Er versuchte die Geräusche zu unterscheiden, waren es Traumfetzen, die irgendwo in seinem Bewusstsein hängengeblieben waren, hatte er eine Stimme gehört. Langsam begann sich sein Geist zu orientieren. Er öffnete die Augen, über ihm wölbte sich in fleckigem Grau das Moskitonetz. Das fahle Morgenlicht drang durch die breiten Ritzen der Bambushütte. Über einen der rohen Holzbalken hatte er am vergangenen Abend seine Hose und das T-Shirt geworfen. Sein Blick blieb an dem schwarzen Schatten hängen. Plötzlich fühlte er die Kühle des Morgens auf seiner nackten Haut, er wollte nach dem Baumwolllaken greifen, das zerknüllt neben ihm lag, sich noch einmal einwickeln, doch irgendetwas trieb ihn dazu, die Hütte zu verlassen. Im Schilf des Daches bewegte sich raschelnd ein Tier. Er schlug mit der Faust gegen einen Holzbalken. Es war ein matter Schlag, er spürte die Schwere seines Armes, noch war sein Körper kraftlos, nicht auf die Begegnung mit der Welt  eingestellt.

In den Träumen ist die Tapferkeit eine andere, schoss es ihm durch den Kopf. Mechanisch, mit den Bewegungen einer Raupe, zog er die Beine an, schob das Becken vorwärts, streckte die Beine und wiederholte die Bewegung bis die Füße schließlich unter dem Moskitonetz hervorschauten, langsam bewegte er sich weiter, schließlich stand er auf dem groben Holzdielen des Bodens, spürte die feinen Sandkörner unter seinen Fußsohlen, mit einer spielerischen Bewegung schob er mit dem großen Zeh einen Papierfetzen vor sich her, bis dieser in einer der vielen Spalten im Boden verschwand.
Praktisch, dachte er, nur müsste irgendjemand mal unter der Hütte den Dreck wegfegen,er kratzte sich an der Schläfe, beinahe eine Geste der Verlegenheit. Im Halbdunkel des Raumes tastete seine Hand nach der Wasserflasche, er fühlte seine Zunge dick und pelzig in der Mundhöhle, endlich hatte er die Flasche gefunden, setzte sie an die Lippen. Mit langen ruhigen Zügen trank er, spürte das kühle Wasser die Speiseröhre hinunterfließen und wie sein Magen schwer wurde.

Während er mit der einen Hand die Flasche auf den Boden stellte, zog er mit der anderen die Hose von dem Balken, das T-Shirt rutsche mit herunter, blieb auf seiner Schulter hängen, mit einigen raschen, zielgerichteten Bewegungen zog er sich an, als wäre es nun Zeit aufzubrechen. Er zog den Kopf ein, trat hinaus auf die winzige Veranda vor der Hütte und stieg die drei wackligen Stufen hinunter. Sein Blick blieb auf einer Hibiskusblüte hängen, ihr tief dunkles Rot hielt seinen Blick fest, wie Finger streckten sich ihm die gelben Staubgefäße entgegen. Er zwang sich seinen Blick loszureißen, es schien ihm, als würde die Tiefe der Blüte ein intimes Geheimnis verbergen, das ihm verwehrt war, zu betrachten.
Mit vorsichtigen Schritten ging er den Kiesweg entlang hinunter zum Meer. Er rollte die Zehen zusammen, bemühte sich vorsichtig aufzutreten, dennoch drang bei jedem Schritt ein scharfer spitzer Schmerz in sein Gehirn. Aus den umliegenden Bambushütten tönten ie gedämpften Schlafgeräusche anderer Bewohner der kleinen Feriensiedlung. Durch eine schmale Buschreihe trat hinaus auf den Strand. Der Sand war feucht und kühl, sein Blick wanderte den sanften weiten Bogen der Bucht entlang, ganz am Ende entdeckte er die Umrisse von zwei Schiffen, langgestreckt, mit hochgezogenem Bug, dann auch die Fischer, die sich an den Booten zu schaffen machten. Die Sonne war noch hinter dem Saum den Palmen verborgen, die wie eine Scherenschnittgrafik den Strand zum Land abschlossen.
Erst jetzt entdeckte er, daß sich das Wasser mit der Ebbe weit zurückgezogen hatte, ein dunkles Wolkenband zog sich über den Horizont, ließ Meer und Himmel, die sich in seinen Sinnen begegneten, miteinander verschmelzen. Neugierig wanderte sein Blick die ganze Breite des Strandes entlang, als gäbe es dort etwas zu entdecken, was das Wasser solang verborgen gehalten hatte. Sein Blick wurde noch einmal von den beiden Fischerbooten angezogen, für einen Augenblick schien er entschlossen dorthin zu laufe, doch dann wandte er sich, einem ruckartigen Impuls folgend, der anderen Seite des Strandes zu. Hier erstreckte sich eine Landzunge ein Stück ins Meer hinaus, dahinter endete der lange Sandstrand, wurde von Felsblöcken unterbrochen bis schließlich eine Steilküste emporwuchs, die jetzt noch seinem Blick verborgen war.

Er ging den Strand schräg hinunter auf die Felsen zu. Bei jedem Tritt, mit dem er einen Fuß auf dem Sand aufsetzte, huschten ein paar Taschenkrebse davon, verschwanden blitzschnell in ihren Löchern. Im fiel auf, dass jeder Krebs in dem Loch verschwand, das am nächsten lag. Entweder sie bleiben immer in der Nähe ihrer Löcher, dachte er, oder sie flüchten sich einfach in irgendein dieser Erdhöhlen. Vielleicht haben Taschenkrebse keine eigene Wohnung, überlegte er. Was wäre, wenn ich keine eigene Wohnung hätte. Er runzelte die Stirn. Wenigstens eine Hütte brauche ich, mit einem eigenen Bett, das würde ich auch teilen, entschied er. Im Augenblick waren es Spinnen und Kakerlaken, die ihn in der Nacht besuchten. Seit er an diesem Strand angekommen war, hatten sich sein Anspruch an Bequemlichkeit und Komfort und sein Bedürfnis nach menschlicher Nähe, vor zwei Wochen zu Hause noch selbstverständlich, seltsam verändert. Jetzt hatte er die ersten Felsblöcke erreicht. Das matte Braun der Steine erschien ihm wie die dunklen Rücken mächtiger Tiere, die in den Sand gekauert auf ihn warteten.
Zunächst war es noch einfach, über die Felsen zu klettern, doch nach und nach wurde der Weg schwieriger. Mühsam mußte er sich an einigen Stellen zwischen den Blöcken, die hoch aufragten, einen Weg suchen. Der Geruch von Tang und Salz kitzelte ihn in der Nase, er liebte diesen Geruch des Meeres. Der feuchte Sand und die kühle des Schattens ließen ihn schaudern. Er zog die Schultern hoch. Wo will ich eigentlich hin? schoss es ihm mit einem mal durch den Kopf, doch die Antwort auf diese Frage gaben nicht die Füße, irgendetwas in ihm trieb ihn vorwärts, ein Gefühl von Ahnung und Sehnsucht.
Ohne daß er es bemerkt hatte, war er auf einem Steinplateau angelangt, zur Landseite erhob sich eine schroffe Felswand, zum Meer hin endete die Felsplatte in Klippen und Geröll. Es fiel ihm jetzt leichter zu laufen, der Boden war ziemlich eben. An einigen Stellen gab es kleine Senken, die mit Salzwasser gefüllt waren. Wenn er sich einem solchen Teich näherte, schossen winzige Fische blitzschnell hin und her, um sofort in einer Spalte zu verschwinden. Die waren Strahlen der Vormittagssonne hüllten ihn ein mit goldenem Mantel, wohlig reckte er sich und wanderte weiter. Obwohl die Klippen zum Meer hin das Laufen beschwerlicher machten, zog es ihn immer wieder auf diesen Weg. Das Meer war ruhig, eine ganz sanfte Dünung ließ die Wellen leise gegen die Felsen platschen. Er beobachtete die Sonnenstrahlen, die sich in dem klaren Wasser mit immer neuen Mustern brachen. Und doch sieht jedes Muster dem anderen ähnlich, dachte er. Gerade verspürte er einen Impuls, sich auszuziehen, ins Wasser zu springen und zu schwimmen, als er erschrocken stehen blieb. Vor ihm fielen die Felsen steil ab und öffneten sich zu einer kleinem Bucht. Ihr Boden war mit strahlend weißem Sand bedeckt. Der scharfe Kontrast zum Braun der Felsen schmerzte, er kniff die Augen zusammen. Plötzlich entdeckte er, nahe am Wasser sitzend, eine Gestalt.
Das Glitzern der Sonne auf dem Meer blendete ihn, angestrengt blickte er hinunter in die Bucht, er rieb sich die Augen, dort saß eine Frau. Aufrecht, die Beine gekreuzt im Lotossitz, erschien sie ihm wie eine Statur. Ihre Arme lagen auf den Oberschenkeln, die Hände waren mit den Handflächen nach oben geöffnet. Das blonde Haar lag eng an ihrem Kopf an, berührte mit den Spitzen ihre Schultern, schien wie ein goldener Helm diesen Kopf zu bedecken. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Brust, er spürte daß er aufgehört hatte zu atmen. Pfeifend sog er die Luft ein. Das Bild dieser Frau brannte sich tief in ihn ein. Er hatte sie gefunden, die ihn gerufen hatte.
Sie war nackt. Er blickte umher. Nirgendwo konnte er ihre Kleider entdecken, keine  Fußspuren waren im Sand zu sehen. Erst jetzt bemerkte er eine handtellergroße Muschel, die vor ihr im Sand lag, in der Muschel loderte eine kleine, blau leuchtende Flamme. Sein Blick wanderte hin und her, das Bild der Frau und die Flamme verschmolzen plötzlich zu einem Feuerball, eine unsichtbare Kraft stieg empor aus der Bucht, hüllte ihn ein, ein Sog zog ihn vorwärts. Er richtete sich auf, begann wie ein Schlafwandler am Rand der Felsen entlangzulaufen.
In seinem Kopf fand er einen Gedanken, ich suche einen Weg, zu ihr. Seine Augen sagten ihm, dass es in diesen Felsen, die so glatt und steil die Bucht umschlossen, keinen Weg geben würde. Mit einem mal fand er sich wie ein Tier auf allen Vieren kriechend, seine Hände suchten in den Vertiefungen zwischen den Felsen einen Weg zu ihr. Er hatte die Augen geschlossen, spürte nicht die sengenden Strahlen der Sonne, bemerkte nicht, dass er längst Hose und T-Shirt ausgezogen hatte, so ertastete er sich den Weg, die Steine öffneten sich ihm, wiesen ihn hinunter zum Strand. Kein Gedanke war in seinem Sinn, als er schließlich den Sand unter seinen Fußsohlen spürte, erst jetzt bemerkte er die Spannung in seinem Körper, fühlte die ruckartigen Kontraktionen seiner Muskeln.

Schließlich hockte er zusammengekauert wie ein Embryo im Sand, den Kopf gegen den harten Felsen gelehnt. Die Augen hielt er geschlossen, was er wahrnehmen konnte, war die Härte des Steins, das Blut hämmerte in den Schläfen. Der Abstieg in diese Bucht hatte einen Bruch in seinem Zeitgefühl ausgelöst. Als er schließlich die Augen öffnete, sah er das Wasser. Mehr als die Hälfte der Bucht hatte es schon bedeckt. Die Frau war verschwunden. Ein Schrei löste sich aus seiner Brust, er sprang auf, lief zum Wasser. Der Weg erschien ihm unendlich lang. Ein rasender Schmerz trieb ihn vorwärts, dem Meer entgegen.Er rannte solange, bis seine Beine im flachen Wasser stolperten, er strauchelte, fiel hin, mit einigen mechanischen Schwimmbewegungen bewegte er sich ein Stück vorwärts, die Kühle des Wassers ließ ihn zur Besinnung kommen.
Um ihn herum lag das Meer ruhig im gleißenden Licht der Mittagssonne, nirgendwo konnte er einen Menschen oder ein anderes lebendiges Wesen entdecken. Die Leere um ihn herum erschreckte ihn. Wo bist du? hörte er sich flüstern. Er schaute hinunter auf den Meeresboden, das Wasser war klar, deutlich konnte er den gewellten Sand erkennen. Da entdeckte er einen kleinen dunklen Schatten, es schien ein Stein zu sein. Ein paarmal atmete er tief ein, dann tauchte er hinunter, um sich Gewißheit zu verschaffen.
Er fand die Muschelschale, in der die kleine blaue Flamme gelodert hatte. Wie er seine Hand ausstrecken wollte erblickte er in der Schale eine Perle, mit einer vorsichtigen Schwimmbewegung näherte er sich.
Da spürte er noch einmal, wie ein heißes Beben durch seinen Körper zuckte. In der Perle erblickte er das Gesicht der Frau. Ihre Augen schauten ihn an, waren voller Wärme. Ihr Mund lächelte, sie hatte ihn leicht geöffnet, ihre Lippen schienen sich zu bewegen, er versuchte die Worte, die sie zu ihm sprach, zu verstehen.
Oder täuschte ihn die Bewegung der Wellen? Die hellen Haare umspielten ihren Kopf, plötzlich erfaßte er, wie vertraut ihm dieses Bild war, er kannte es, er erinnerte sich, an die sanfte Kühle der Haut, an die zärtliche Berührung ihrer Lippen. Ihr Lachen klang in seinen Ohren, ihre kindliche Fröhlichkeit und ihre tiefe Weisheit fanden ihren Weg in sein Herz. Es waren keine Worte, die zu ihm drangen, ein altes, vertrautes Wissen erwachte in ihm.
Er streckte dem Bild seine Hände entgegen, doch als er sie berühren wollte, zerfloss das Bild, löste sich auf und verschwand in der Bewegung des Meeres. Er schrie auf, erst jetzt spürte er den stechenden Schmerz in seiner Brust. " Nein! ", schrie er, schoß empor, sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche. "Nein, nein, nein,!" er hielt die Hände vor das Gesicht gepresst, seine Tränen vermischten sich mit dem Salz des Meeres, das stahlharte Blau des Himmels fiel auf ihn herab, mit dem Rücken lag er auf dem Wasser, immer wieder fühlte er, wie sein Körper zuckte, sein Schluchzen tönte wie der Klagegesang eines verwundeten Tieres aus der Tiefe des Meeres. Noch wühlte der Schmerz in seiner Brust, angestrengt suchte er seinen Atem, ballte die Hände zu Fäusten, zog die Kniee an, streckte die Beine wieder.

Später, so viel Zeit war vergangen, da begann er zu spüren. Unsichtbare Hände hielten ihn, hoben ihn auf und nieder. Er fühlte das Meer, der Urgrund, aus dem alles einmal entstanden war, das Gefühl tiefer Geborgenheit durchströmte seinen Körper, die Begegnung mit längst vergessener Erfahrung des Einsseins, erfüllten ihn mit Ruhe und Zuversicht. Raum und Zeit begannen miteinander verschmolzen. Er war eins geworden mit der Energie des Ganzen. Die Sonne hatte sich dem Horizont genähert, als ein weißer Vogel den Himmel überquerte. Als er erwachte, lag er am Strand, die Sonne war gerade untergegangen. Aus dem Schoß der ewigen Urmuter war er neu geboren.
Es war an der Zeit, ihr anderes Selbst zu finden, ihr zu opfern, in der Begegnung als Mann und Frau den Kreislauf zu schließen. In seinen Lenden fühlte er pulsende Kraft. Seine Männlichkeit glühte.Auf seiner Brust lag eine kleine weiße Feder. Er machte sich auf den Weg, sie zu suchen. Die weiße Feder sollte ihr Zeichen sein.

 

 

Mondin im See

Immer wieder loderten die Flammen empor und sprühende Funkenfontänen verteilten sich  aus der Feuerschale, die in der Mitte des Platzes stand, in die warme Sommernacht. Stimmengemurmel, hin und wieder leises Gläserklirren, Lachen, Gesichter, die vom Feuerschein für einen Augenblick erhellt wurden und dann sogleich wieder in der Dunkelheit der Nacht verschwanden. Es war der letzte Abend, den sie hier gemeinsam verbrachten, danach auseinander gehen. Was würde bleiben?

Sie saß mit einer kleinen Gruppe am Rande des Platzes, die Worte der Anderen zogen an ihr vorüber, es schien, dass sie vielleicht noch zuhört, doch sie hatte sich schon auf einen anderen Weg begeben. Irgendwann schaute sie hinauf zum Himmel, durch die klaren August Nacht wanderte suchend ihr Blick, irgendwo
dort obn gab es ihn, den Stern, von dem sie geträumt hatte. Dabei stand sie auf, murmelte noch einen kurzen, kaum verständlichen Satz und verließ die Runde.


Sie bewegte sich aus dem Kreis des Feuerscheins hinaus, suchte den Weg hinunter zu dem kleinen See. Bald stand sie an der Uferböschung, blickte hinaus auf die glatte Oberfläche des Wasser, die auf beiden Seiten von hohen Bäumen eingerahmt wurde. Wie schwarze Scherenschnitte zeichneten sie sich ab vom Nachthimmel und spiegelten sich als Schatten auf der Wasseroberfläche. In der Baumreihe am Ende des See machte sich der Vollmond bereit, mit seinem Licht diese Nacht zu verändern. Sie stand unter der alten Weide. Ein leiser, warmer Nachtwind raschelte in den Blättern. An einem kräftigen Ast hatte jemand an einem starken Seil aus einer Hängematte einen Sitz befestigt, in den sie sich hineingleiten ließ. Ein Bein hatte sie angewinkelt, das andere berührte mit den Zehnspitzen das Gras am Boden. Behutsam bewegte sie den Fuß, mit kleinen Bewegungen begann ihr Sitz sanft hin und her zu schwingen. Sie lehnte sich zurück, die Augen geschlossen, während sie fühlte, wie die noch immer spürbare Wärme der sommerlichen Augustsonne des vergangenen Tages ihren Körper umspielte, lauschte sie dem Ruf eines Nachtvogels. Sie ließ sich hineingleiten in diese Töne einer Zwischenzeit, so voller Traumbilder und doch ganz wach, durch sie hindurch schwingend, mit jedem Schlag ihres Herzens. Momente der Sehnsucht, auf Melodien dahingleitend, Erinnerungen suchend. Sie rutschte in ihrem schaukelnden Sitz einige Male hin und her. Jetzt berührte der andere Fuß mit tastenden Bewegungen den Boden.

Etwas war zu Ende gegangen, doch noch nicht abgeschlossen und nun sollte schon wieder Neues beginnen. Morgen würde sie im Zug sitzen, eine Reise antreten, zurückfahren, ohne das neue Ziel zu kennen. Wohin würde diese Reise gehen? Wohin würde der Weg sie führen?
Erst als die Mondscheibe sie über den Bäumen am Ende des Sees anschaute, spürte sie, dass sie die Augen wieder geöffnet hatte. Das Mondlicht spiegelte sich jetzt im See, hell, klar, stark, die Mondin, dachte sie. Sie atmete tief ein und aus, spürte dabei ihren Körper, ihre Verletzlichkeit und ihre Kraft. Dann hatte sie ihn plötzlich entdeckt. Das Leuchten des kleinen Sterns daneben war kaum zu erkennen und doch hatte er seinen Platz dort oben neben ihr. Während sie auf ihren Atem achtete, bemerkte sie gleichzeitig das Lächeln auf ihrem Gesicht. Kleiner Stern oder Mondin, dachte sie, wer kennt schon eure wahre Größe? Wer weiß, wie nah ihr euch seid oder wie groß der Raum ist, der euch voneinander trennt.


An einem anderen Ort hätte sie sich jetzt sicher erschrocken. Sie spürte, dass jemand hinter ihr stand, fühlte Geborgenheit und Sicherheit und ließ sich tiefer in den Schaukelsessel zurückgleiten. Zwei Hände legen sich auf ihre Schultern, sanft und voller hingebungsvoller Zärtlichkeit. Ein Augenblick Stille, gemeinsames aufeinander achten. Mit ihrem Ausatmen hatte sie ihre Einladung ausgesprochen. Behutsam wanderten die Hände hinauf zu ihrem Haaransatz, legten sie wie eine Haube über ihren Kopf und glitten dann langsam über ihre Haaren wieder hinunter auf ihre Schultern. Sie streckte sich ein wenig, ein leises, wohliges
Summen stieg aus ihrer Brust empor. Die Hände lagen jetzt auf ihren Schlüsselbein, zart, wie die Federn eines eines großen, weißen Vogels, absichtslos, mit dem Geschenk einer warmen, zärtlichen Geborgenheit. Sie ließ die Seile der Hängematte los, ihre Hände trafen sich, sie spürte etwas miteinander verschmelzen. Die Hände drehten sich zueinander, fanden sich und hielten einander.

Das Wasser ist noch warm“, flüsterte er, "wollen wir?" „Ja“, erwiderte sie, „lass uns gehen“.
hre Hände lösten sich und sie ließ sich aus dem Hängesitz gleiten. Er ging vor ihr hinunter an den den kleinen, schmalen Strand. Über seiner Schultern trug er ein knallrot leuchtendes Badehandtuch. Drüben am Feuer erklangen jetzt ein paar Gitarrenakkorde, sie überlegte, Eric Clapton? Leise summte sie mit, „Tears in heaven……“. Dann stand sie neben ihm, zog sich ihre Bluse über die Schulter und streifte die Hose ab. Sie warf die Sachen auf den weißen Plastikstuhl, der hinter ihnen am Schilfrand stand.
Daneben lag noch immer die bunte Luftmatratze, auf der sie den Nachmittag verträumte hatte, bis zu diesem Augenblick.


Jetzt waren die Bilder plötzlich wieder da: Sie lag auf der Luftmatratze, ließ ihren Blick wandern, in das tiefe Blau zwischen den hellen Wolkenschleiern, über die Silhouette der Baumwipfel hinweg, entlang der sich sanft wiegenden Schilfhalme auf die kleinen, glitzernden Wellen, die über den See wanderten. Dabei genoss die Wärme der Sonnenstrahlen, hörte in der Nähe des Ufers das ausgelassene Lachen einiger Mitglieder der Gruppe, die voller Begeisterung einen Wasserball hin und her warfen. Da hörte sie plötzlich neben sich eine tiefe Stimme. Sie hatte ihn sofort erkannt. „Hier kommt das ganz gefährliche große Seemonster und will die Prinzessin entführen. Huahhh!“
Völlig überraschend war er neben ihr aus dem Wasser aufgetaucht, ein paar Schilfhalme hingen wirr über seinem Gesicht und er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Huahh! Gleich ist es um die Prinzessin geschehen!“

Mit ernstem Gesicht, nur mühsam konnte sie ihr Lachen verbergen, drehte sie den Kopf zur Seite und sprach mit hoheitsvoller Stimme: „Die Prinzessin wird dem Monster gleich eins auf die Nase geben!“ Dabei hob sie den Arm und ihre flache Hand schwebt über seinem Kopf.

Blitzschnell verschwand er unter der Luftmatratze, ihre Hand platschte auf das Wasser. Jetzt begannen sich plötzlich abwechseln der obere und untere Teil der Luftmatratze auf und ab zu bewegen, dann rumpelten von unten Stöße in der Mitte, alles bewegte sich hin und her. Sie musste sich am Rand festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann war es für einen Augenblick ganz still. Während sie noch darauf wartete, dass noch einmal so ein Erdbeben ihre kleine Insel erschüttern würde, platschte es plötzlich auf der anderen Seite, er schoss aus dem Wasser empor, fast bis zur Hüfte, die Arme emporgestreckt, mit ernstem Gesicht rief er: „Es wurde besiegt, das grausame Monster, der tapfere Ritter hat die Prinzessin gerettet!“ „So komme er näher, dass die Prinzessin ihm ihren Dank erweisen kann.“ Er bewegte sie auf sie zu, bis ihre Gesichter ganz nahe waren, sie streckte ihren Arm aus, schöpfte eine Hand voll Wasser und ließ es langsam über sein Gesicht fließen. Überrascht blickte er sie an, dann schüttelte er  kurz den Kopf, so dass die Wassertropfen hin und her spritzten und dabei rief er: „Oh huldvolle Prinzessin!“ Jetzt konnten beide ihr Lachen nicht mehr unterdrücken. Prustend brach es aus ihnen heraus.


Was
hatte diese Spuren hinterlassen, überlegte sie später, war es die Leichtigkeit des Spiels, die Unbeschwertheit des Lachen, der absichtslose Austausch? Wodurch fühlte sie sich plötzlich so mit ihm verbunden?
Wollen wir?“ „Ja, ich komme.“ Seine Frage holte sie zurück. Als das Wasser ihre Knöchel berührte zuckte sie kurz zusammen. „Kalt?“ flüsterte er, „Noch nicht,“ sie lächele. Da berührten sich ihre Hände. Sie spürte unter ihren Füßen den weichen, lehmigen Ufersand, Schritt für Schritt tastete sie sich voran, da ließ er ihre Hand plötzlich los, machte ein paar schnelle Schritte vorwärts, dann ein Sprung und sein Körper verschwand im Wasser, für einen kurzen Augenblick waren seine Füße noch zu erkennen, sie bewegten sich platschend auf und ab wie die Fluke eines Delfins, winkend und rufend.
Da ließ sie sich hineingleiten in das dunkle Geheimnis, schaute dabei hinauf in das helle, leuchtende Licht der Mondin. „Wo ist der kleine Stern?“, überlegte sie, „ist er weiter gewandert?“.
Doch dann folgte sie ihm und nahm dabei ihren eigenen Weg. Er war inzwischen aufgetaucht und hatte sich dabei auf den Rücken gelegt, wartete auf sie. Langsam schwamm sie auf ihn zu, konnte sehen wie sich sich seine Brust hob und senkte, sie streckte ihre Hände aus und ließ sie ganz vorsichtig auf seinen Bauch gleiten.

Für einen Augenblick schien alles still zu stehen, dann zuckte er zusammen, mit einem glucksenden Lachen bäumte er sich auf, drehte sie zu ihr und danach bewegten sich ihre Körper senkrecht aufeinander zu, dann einige kurze, schwingende Bewegungen, die gegenseitigen Berührung ließen
feine silberne Blitze zwischen ihnen hin und her tanzen.
Sie legte ihre Arme um seinen Hals und spürte seine Hände auf ihren Hüften. Dabei trafen sich ihre Lippen, das gemeinsame Feuer tanzte zwischen ihnen hin und her und in der Bewegung der gemeinsamen Vereinigung trennten sie sich auch schon wieder voneinander. Mit den Schwingungen des Wassers, das um sie herum vibrierte, spürten sie die Sprache ihrer Körper, der Tanz zwischen sehnsüchtigem Verlangen und traurigem Loslassen. Für einige Augenblicke gaben sie sich noch dem gemeinsamen Spüren hin, näherten sie sich aneinander an und entfernten sie sich voneinander, doch dann schwammen sie schließlich nebeneinander, mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen zum anderen Ende des Sees. Längst hatten sie das Maß für die Zeit verloren, hin und wieder berührten sie sich mit ihren Fingerspitzen. Konnten sich gegenseitig wahrnehmen, ohne dass der Austausch von Worten notwendig war. Aus der Ferne hörten sie das Stimmengemurmel von der Feuerstelle, Botschaften aus einer anderen Weilt.

Ich möchte zurück“, sagte sie, als sie spürte, dass die nächtliche Kühle begann, ihr die Kraft zu nehmen. „Komm", erwiderte er, "leg dich auf den Rücken.“ Gleich darauf fühlte sie seine Hände, die vorsichtig ihre Füße umfassten und wie sie kurz darauf in einem sanften Strom durch das Wasser glitt. Sie hörte seinen Atem, gleichmäßig bewegten sie sich vorwärts und dabei tauchte sie ein, in zärtliche Geborgenheit und tiefes Vertrauen. Kurze Zeit später, sie hatten das Ufer fast erreicht, lösten sich seine Hände ganz plötzlich, mit ein paar schnellen, kräftigen Schwimmstößen war er an ihr vorbei geschwommen und dann stand er vor ihr am Ufer, hatte das Handtuch weit ausgebreitet um sie zu empfangen. Sie schritt ihm entgegen, noch einmal bewegten sich ihre Gesichter aufeinander zu, ihre Lippen fanden sich in zarter Berührung für einen kurzen Augenblick, dann legte er das Handtuch um ihre Schultern und mit sanften Bewegungen folgte er den Formen ihres Körper, wanderte einige Male langsam hinunter und hinauf, sie fühlte, wie ihre Haut nach diesen Händen rief.
Doch da ließ er das Handtuch plötzlich los und drehte sich um. Sie erschrak. Leere breitete sich aus.Sie blickte auf seinen Rücken, streckte noch einmal ihre Hände aus, doch er hatte schon einen Schritt nach vorne gemacht und war dabei, sein Hemd über zu streifen. Sie zog die Hände zurück, verschränkte die Arme vor ihrer Brust und verbarg ihr Gesicht für einen Augenblick in dem roten Frotteestoff. Sie spürte die rauhe Oberfläche auf ihrem Gesicht, den kurzen Augenblick der austeigenden Tränen, der Sehnsucht und des Abschieds, von dem, was noch gar nicht begonnen hatte.
Er war inzwischen angezogen, einen Schritt zur Seite getreten und schaute auf den See. Sie wollte das Handtuch nicht loslassen, es lag noch immer über ihrer Schulter, als sie die Hose anzog, dann ließ sie es zu Boden gleiten und streifte sich ihre Bluse über. Sie fühlte, wie der weiche, aber doch kühle Stoff ihren Brüsten begegnete, wünschte sich Wärme und Zärtlichkeit. Noch immer stand er da, stumm, schaute auf das Wasser, von der Oberfläche waren inzwischen wieder alle Bewegungen der Wellen verschwunden und sie hatte sich zurückverwandelt in den dunklen Spiegel der Mondin und des kleines Sterns. Sie standen nebeneinander, wortlos lauschten sie in die Dunkelheit und hörten einander zu, wie sie dabei waren, sich in der Stille mit einander zu verständigen.

Dann
drehte sie sich zur Seite. „Willst du gehen?“ fragte er. „Ja!“ Sie atmete tief, „ich bin müde!“ „Soll ich noch……?“ „Nein“, unterbrach sie ihn, „ich gehe lieber alleine“. „Ja, klar, ich weiß. Also, na ja, wahrscheinlich ist es besser…“. Er unterbrach sein hilfloses Stammeln, das Suchen nach Erklärungen, für die es keine Worte gab.


Kurze Zeit später waren sie zurück gekehrt, auf den Platz an die Feuerschale. Einige saßen hier noch, nahen es kaum zur Kenntnis, als beide vorübergingen. Kurz darauf standen sie wieder in der Dunkelheit und schauten sich an. Sie streckten beide die Hände aus, ihre Fingerspitzen berührten sich noch einmal. Gemeinsam spürten sie voller Dankbarkeit das Geschenk ihrer Begegnung. Dann drehten sie sich um und ihre Schatten verschwanden in der Nacht.
 

 

Die Geschichten:

Levante / Morgenliebe / Oleanderduft / Rohrkolbensänger / Tarifarain / Weisse Feder / Mondin im See 

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