Taplamu
und
Die
Königin
der
Farben
Ein Märchen von Bernd-Uwe
Krause, illustriert von Telse Katrin Polenski
© telse polenski
"Das
Mädchen Taplamu"
Es war einmal........
............ein
kleines Mädchen, das lebte
auf
der
der
anderen Seite der Erde, mitten in einem undurchdringlichen Dschungel. Ihr
Name war Taplamu.
Es
gab in diesem Wald riesengroße Bäume, die waren mit all den
anderen Pflanzen zu einem undurchdringlichen Dickicht verwuchert,
das kein Menschen durchdringen
konnte.
Ja,
die Affen in den Bäumen, die Schlangen und
Baumhörnchen, die Schmetterlinge und Vögel, die vielen anderen
Tiere, auch der große Tiger, sie alle fanden einen Weg, doch für die
Menschen blieb der Wald undurchdringlich, dunkel und geheimnisvoll. Nicht
einmal der tapferste Krieger hatte ihn auch nur einmal durchquert.
Durch
den Wald strömte der mächtige Fluss mit seinen braungelben Wassermassen.
In einer Biegung des Flusses standen an einem Ufer ein paar Hütten und in
einer dieser Hütten wohnte Taplamu mit ihren Eltern und Geschwistern. Sie
hatte nie etwas anderes gesehen, als das Dorf, den Fluss, den Himmel und
den Wald.
Zu
manchen Zeiten suchte sich der Fluss langsam und behäbig seine Bahn, dann
sagte der Vater immer, ja, ja wie eine alte Großmutter, schwerfällig und
müde.
Die Mutter wurde dann ärgerlich, denn es war gefährlich, die Flussgöttin
zu verspotten und so
warf sie
schnell ein paar Tabakblätter ins Wasser, um sie zu besänftigen.
Zu anderen Zeiten schwollen die Fluten gewaltig an, dann brodelte und
kochte die Strömung und der Vater blickte auf das Wasser und sagte:
"Jetzt tobt sie wieder in ihrem Bett, wie in der ersten
Liebesnacht."
Mit gerunzelter Stirn prüfte er die Pfähle, auf denen ihre Hütte stand.
Ob sie den tosenden Wassermassen wohl standhalten würden?
Taplamu
wusste, dass es jetzt an der Zeit war, die schönste Blume am Rande des
Urwalds zu pflücken, damit die Mutter sie der Flussgöttin opfern konnte.
Einmal fragte Taplamu die Mutter, wo das viele Wasser herkommt. Da erzählte die Mutter ihr von der großen Göttin, die das Wasser ewig
trinkt, es zur anderen Seite Waldes trägt und dort immer wieder ausspeit.
So geschieht es, dass der Strom des Wassers nie versiegt und in einem
ewigen Kreislauf stets neu geboren wird. So
wie Sonne und Mond, was ja auch jeder sehen kann. Doch das ist eine andere
Geschichte. Früher, als Taplamu noch klein war, hat ihre Mutter sie oft mit hinunter
an den Fluss genommen. Dort waren auch die anderen Frauen und Kinder, da
wurde die Wäsche gewaschen, die Kinder planschten im flachen Wasser herum
und wenn die Sonne sich langsam den Baumwipfeln näherte, hockten die
Frauen auf dem Steg und warteten gespannt auf die Rückkehr der Männer.
Dabei
wurden wichtige Neuigkeiten des Dorfes besprochen, Neckereien und Scherze
wechselten einander ab, es wurden Lieder gesungen und irgendwann tauchte
immer mal eine Schale mit Nusskernen auf, die dann die Runde machte. Kamen
schließlich die ersten Kanus an der Flussbiegung in Sicht, wurden sie mit
lautem Hallo begrüßt. Stolz präsentierten die Männer den Frauen den
Fang und wenn sie die Fische auf den Steg warfen, stand Taplamu dabei und
schaute wie gebannt auf das glitzernde Gewimmel.
Der Anblick der wild zuckenden Leiber und weit aufgerissenen Fischmäuler
erschreckte sie, Unbehagen schnürte ihr die Kehle zu. Stieg am Abend der
würzige Duft der gebratenen Fische in ihre Nase, ließen die Bilder auf
dem Steg sie nicht los und die gemeinsame Malzeit in der Runde um das
Feuer wurde ihr zur Qual. Die Mutter schaute sie an, sah ihren Kummer und
gab ihr mit liebevollem Lächeln ein
paar Bananen und Wurzeln während Taplamu versuchte, sich vor den missbilligenden
Blicken des Vaters zu verbergen.
Es
gab viele kleine Geheimnisse zwischen der Mutter und Taplamu, von denen
der Vater nichts wusste, die aber offenbar alle Mädchen und Frauen des
Dorfes miteinander verbanden.
©
telse polenski
"Das
Dorf"
An
anderen Tagen gingen die Frauen mit den Kindern auf die kleinen Felder am
Rande des Dorfes und da kam es auch schon mal vor, dass die Mutter ihr ein
paar Bananen auf den Kopf legte, damit sie diese nach Hause tragen sollte.
Stolz reckte sie sich dann empor und fühlte sich bedeutsam, wie die älteren
Mädchen. Nach
dem großen Mondritual am Ende der Regenzeit, gehörte auch sie zu den
jungen Frauen. Eine ihrer Aufgaben war es jetzt, jeden Morgen mit einem
großen runden Tongefäß Wasser aus der Quelle am Waldrand zu holen.
...der geheimnisvolle Ruf
An
einem Morgen war sie wieder auf dem Weg zur Quelle. Etwas schien anders
als sonst. Sie ging ganz allein auf dem Pfad, die Affen, die sonst in den
Wipfeln der Bäume kreischten, waren verstummt, kein Vogel ließ seinen
Ruf ertönen. Eine Stille hatte sich ausgebreitet, als würde die ganze
Natur den Atem anhalten.
Nachdem
sie die Quelle erreicht hatte, nahm sie den Krug vom Kopf. Für einen
Augenblick hielt sie das Gefäß an ihre Wange. Sie spürte den kühlen
Ton, ihre Finger glitten über das gleichmäßige Muster einer kunstvollen
Spirale, die der Wölbung des Krugs folgte.
Schließlich
beugte sie sich über die Quelle und erblickte in der dunklen Tiefe ihr
eigenes Gesicht. Eine Haarsträhne fiel nach vorn und als sie die Strähne
zurückgestrichen hatte, erschrak sie.
Die
Augen, in die sie jetzt schaute, waren nicht ihre Augen. Sie hob den Kopf.
Über ihr, wie eine violette Blume, die aus der Tiefe der Quelle gewachsen
war, erblickte sei einen Schmetterling. Er schien die Flügel kaum zu
bewegen.
telse polenski
"Der
Schmetterling"
Taplamu war wie gebannt. Noch nie hatte sie einen solchen Schmetterling
gesehen. Seine äußeren Ränder waren dunkelviolett gefärbt. Zur Mitte
der Flügel wurde die Farbe immer heller. Aus dem Zentrum jedes Flügels
schien ein Auge auf sie herabzublicken, Augen, die so blau und klar
strahlten wie der Morgenhimmel nach einem Gewitter. Der geheimnisvolle
Blick dieser Augen öffnete ihr Herz weit, furchtlos richtete sie sich auf
und streckte dem Schmetterling ihre geöffneten Hände entgegen.
Da
hörte sie, wie eine Stimme zu ihr sprach:
"Taplamu, die Königin der Schmetterlinge schickt mich, dich zu
holen. Sie erwartet dich in ihrem Palast".
Taplamu
spürte das wilde Klopfen ihres Herzens.
Die Königin der Schmetterlinge!
Die Großmutter hatte ihr viel über sie
erzählt, Königin der Schmetterlinge, Königin der Farben; unzählige
Geschichten gab es über sie.
m Inneren ihres Palastes, so wurde gesagt, waren alle Farben des
Universums verborgen und es hieß, die Königin könne jede dieser Farben
annehmen.
Die Geschichte erzählte aber auch, dass ein böser Zauberer die Farben in
dem Palast eingeschlossen hatte und von Zeit zu Zeit ein Mensch kommen musste,
um sie in die Welt hinaus zu tragen.
"Komm,
Taplamu", sagte die Stimme des violetten Schmetterlings, "komm,
folge mir".
Sie ließ den Wasserkrug zu Boden sinken, "ich komme", flüsterte
sie.
Für einen Augenblick dachte sie an die Mutter, sie sah ihr Gesicht vor
sich. Mit einem aufmunternden Lächeln schaute die Mutter sie an.
"Geh",
hörte sie die Stimme der Mutter, "geh, es ist dein Weg".
Wie
im Traum lief das Mädchen hinter dem Schmetterling her.
Plötzlich bemerkte sie, daß sie sich bereits mitten im Dschungel befand.
Bei jedem Schritt den sie machte, zogen die Bäume ihre Wurzeln zurück,
die Büsche bogen ihre Zweige zur Seite, an manchen Stellen fiel eine Blüte
herab und legte sich auf ihr Haar. Der eben noch undurchdringliche
Dschungel öffnete ihr einen Weg und es schien, als würde die Natur sie
willkommen heißen.
Zuerst lief sie noch langsam und zögernd, dann immer schneller, schließlich
warf sie lachend die Arme hoch und es sah so aus, als würde sie mit den
Blüten des Waldes tanzen. Mit dem Flügelschlag des Schmetterlings
bewegte sie sich zu der Melodie einer unhörbaren, geheimnisvollen Musik.
In der Bewegung des Tanzes öffnete sich für sie ein weiter Raum, den sie
mehr und mehr füllte um schließlich mit ihm zu verschmelzen.
....im Palast
Mit einem Mal befand sie sich am Rand einer weitläufigen Lichtung. Mächtige
Baumriesen vereinigten ihre Kronen zum Gewölbe eines gewaltigen Doms.
Obwohl die Sonne nicht zu sehen war, schimmerte der Platz in einem
klaren, hellblauen Licht.In
seiner Mitte erhob sich ein schneeweißes Bauwerk. Noch nie hatte
Taplamu etwas ähnliches gesehen. Zierliche Säulengänge, unterbrochen
von Rundbögen, Arkaden und Erkern und die Kuppeln kleiner
Türme schimmerten im matten Perlmuttglanz, hielten den Blick des
Mädchens gebannt.
Als sie genauer hinschaute, bemerkte sie, dass sich das Bild des Tempels
ständig veränderte. Ein Turm der eben noch eine runde Kuppel hatte öffnete
sich zu einem Bogenfenster, Säulen verschmolzen zu einer Galerie von
Figuren, aus denen ein zierliches, filigranes Mauerwerk wurde. Alles
schien in Bewegung zu sein und doch gab es keinen Zweifel, sie sah den
Tempel deutlich vor sich, sah die breite Treppe, die sich wie ein
Alabasterband zur goldenen Pforte emporrwand. Über dem Tor schwebte der violette Schmetterling.
Taplamu
zögerte noch einen Augenblick, dann schritt sie auf die Treppe zu.
Sie
tauchte ein in das strahlende Weiß, während sie Stufe für Stufe aus
das goldene Tor zuschritt. Als sie davor stand öffnete es sich lautlos
und Taplamu betrat den Palast der Königin der Schmetterlinge. Sie
blickte in eine weiten Saal. Von oben floss eine Kaskade von klarem
blauen Licht herab, die Wände des Raumes verloren sich in der
Dunkelheit seiner Weite.
Im Zentrum des weißen Lichts, in der Mitte des Saales erblickte Taplamu
auf einem silbernen Thron die Königin der Schmetterlinge. Ihre Flügel
waren weit geöffnet als hätte sie die Arme ausgebreitet um das Kind zu
empfangen.
© telse polenski
"Taplamu
und die Königin"
.....die
Aufgabe
"Willkommen
im Palast der Farben", sprach die Königin der Schmetterlinge,
"tritt näher!"
Dabei
bewegte sie ihre Flügel zu einer einladenden Geste.
Tapllamu
trat in den weißen Lichtkreis. Im selben Augenblick erschrak sie. Die
Grenzen des Raumes, die vorher in der Dunkelheit verborgen waren, wurden
jetzt sichtbar.
Jedes
Mal, wenn sie ihren Blick in die Tiefe der Dunkelheit senkte, füllte
sich der Raum mit einer Farbe. Die Farbe veränderte sich, wurde heller,
dunkler, nahm unterschiedliche Schattierungen an, Gegenstände wurden
erkennbar, wechselten ihre Form und verschwanden wieder.
Taplamu war wie gebannt. Für einen Augenblick schien ihr, als würde
sie die Farben in dem Raum entstehen lassen, dann war es, als würde das
weiße Licht die Farben zu ihr schicken.
Die
Königin der Schmetterlinge sprach
zu Taplamu mit einer Stimme, die aus der Weite des Raumes kam: "Ich
habe dich rufen lassen, denn es ist wieder an der Zeit. Bist du bereit für
die große Aufgabe?"
Taplamu
schaute die Königin der Schmetterlinge mit ernsten Augen an, sie
blickte in das gütige Lächeln einer alten, weisen Frau. Im milden
Licht des Silberthrones leuchteten die Farben der Flügel in einem
unendlichen Wechselspiel.
Bunte
Bilder stiegen aus Taplamus Herz empor, sie spürte ein unsichtbares
Band, das sie mit der Königin der Schmetterlinge verband.
"Ja",
sagte sie und bemühte sich ihrer Stimme einen festen Klang zu geben,
"ja, ich bin bereit!"
Taplamu
lebte nun dreimal drei Jahre im Palast der Königin der Farben.
In
den ersten drei Jahren lernte sie, die Farbplättchen auf den Flügeln
der Königin zu unterscheiden.
In den nächsten drei Jahren wurde sie mit den Tönen der Farben
vertraut gemacht. So wusste sie schließlich jeder Farbe den richtigen
Klang zuzuordnen.
In den letzten drei Jahren zeigte ihr die Königin, wie sie die Farben
so gestalten konnte, dass daraus Bilder entstehen.
Als
die drei mal drei Jahre vorüber waren, rief die Königin Taplamu zu
sich und sprach:
" Nun hast du alles erfahren, was ich die über die Bilder der Welt
zeigen konnte. Du kannst sie in dir erschaffen, neu werden lassen, verändern.
So wie du die Bilder in dir veränderst, wird sich die Welt verändern
und so wie sich die Welt verändert, werden sich die Bilder in dir verändern.
Das ist das unveränderliche Gesetz.
Geh zurück zu den Menschen, wo du ihnen begegnest, öffne dein Herz und
lass sie teilhaben an dem Reichtum der Farben, die in dir wohnen".
© telse
polenski
"Taplamu
und der Gesang der Farben"
Da
wurde Taplamu sehr traurig, denn das Leben im Palast war ihr so vertraut
geworden. Als die Königin ihr Tränen sah, bewegte sie die Flügel und
silberner Sternenstaub senkte sich über Taplamu.
Dieser
legte sich wie ein silberner Reif um ihren Hals.
"Dieses Zeichen verbindet dich mit der Unendlichkeit und der Kraft
des Universums", sagt die Königin zu ihr.
"Wenn
du dich schwach und hilflos fühlst, berühre diesen silbernen Reif, so
werde ich bei dir sein".
Da
schwanden Taplamu die Sinne. Sie sank vor dem Thron auf den Boden, dann
wurde es dunkel und still um sie herum.
Vogelgezwitscher weckte sie, in ihrer Nähe hörte sie Frauen flüstern.
Sie ist erwacht", die Stimme der Mutter klang erleichtert.
"Taplamu, meine Tochter," sagte die Mutter, "als du von
der Quelle nicht zurückgekommen bist, haben wir uns Sorge gemacht und
sind gegangen, um dich zu suchen.
Wir
haben dich hier an der Quelle schlafend gefunden, doch wir konnten dich
nicht wecken. Es schien, als wäre ein großer Schlafzauber über dich
gekommen".
Taplamu
schlug die Augen auf. Verstohlen tastete ihre Hand den Hals entlang. Sie
spürte die Kühle unter ihrem Hemd. Der Reif, der sie mit der Königin
verband. "Komm",
sagte die Mutter, "du hast bestimmt viel zu erzählen".
Taplamu schaute die Mutter fragend an.
"Der
violette Schmetterling war die ganze Zeit über dir", sagte diese lächelnd,
"komm, berichte uns" Eine alte Frau, die neben ihr stand, lege ihre
Hände auf Taplamu's Kopf und formte sie zu einem geheimnisvollen,
uralten Zeichen. Dann begann Taplamu ihre Geschichte zu erzählen.
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