Die Seerosenprinzessin
Es war einmal zu einer Zeit, als
Wünsche noch Träume und Träume noch Wünsche brachten, da spiegelte sich
an einem warmen Sommerabend die untergehende Sonne in einem Teich, der
tief verborgen in der Mitte eines Waldes lag. Aus der Ferne ertönt das
klagende Lied der Nachtigall. Libellen wiegten sich in ihren zarten
Flügeltanz, schwangen sich hin und her und wo sie für einen winzigen
Augenblick die Wasseroberfläche berührten, zauberten sie feine
Wellenmuster in das Gold der Abendsonne. Die Seerosenprinzessin saß
einsam in ihrer Seerose in der Mitte des Teiches. Eine Träne rann über
ihr Gesicht. Immer wieder war es geschehen, dass ein Prinz
vorbeigeritten war und mancher hatte sogar kurz gerufen: „Oh, was für
eine hübsche Seerose!“ Doch dann hatten sie sich einfach abgewand und
waren weiter geritten, ohne sie zu erkennen. Wo hatten diese Kerle nur
ihre Augen, dachte sie trotzig und wischte sich die Tränen von ihrer
rosigen Wange.
Und nun war es schon wieder soweit.
Da drüben am Ufer hatte mal wieder einer sein Lager aufgeschlagen. Er
wollte hier wohl übernachten, der Prinz, dachte sie. Seine langen
blonden Haare flatterten im Abendwind und so folgten ihre Blicke seinen
anmutigen Bewegungen, wie er beim beim Ballspiel mit seinem Knappen über
die Wiese eilte. Irgendwann saßen die beden jungen Männer erschöpft am
Lagerfeuer und der Duft von frisch gekochten Kakao wehte zu der
Prinzessin hinüber.
„Ach
Jaromir!“ seufzte in diesem Moment der Prinz und schaute dabei seinen
Knappen an, nun dauert unsere Reise schon so lange. Ich mag mir gar
nicht das Gesicht des Königs vorstellen, wenn wir wieder nach Hause
kommen, in den Schlosshof einziehen – und wieder ist keine Prinzessin an
unserer Seite.
„Oh mein Prinz,“ erwiderte da der Knappe, „ich
sehe euer sorgenvolles Gesicht und euren Kummer. Nur schaut euch doch
einmal um. Heute ist hier doch alles so anders als sonst. Seht dort den
Vollmond und der Abendstern ist auch schon aufgegangen. Spürt ihr den
sanften Wind, dieses Wispern in den Zweigen. Und dort, in voll erblühter
Schönheit, diese zauberhafte Seerose. Wie zart ihre Blütenblätter
leuchten. Es scheint mir, als würde sie euch in diesem Augenblick
anlächeln.
Der
Prinz schaute hinaus auf den See und spürte dabei einen seltsamen,
sehnsuchtsvollen Zauber.
„Ehe wir uns zur Ruhe
legen, will ich mich noch ein wenig in den kühlen Fluten des Sees
erfrischen,“ sprach er zu seinem Knappen. Dabei dachte er, ich möchte
mir diese wunderschöne Seerose einmal näher anschauen. Dann legte er
sein Gewand ab und gerade als er mit dem rechten Fuß das Wasser
berührte, zuckte er zusammen. Nein, es war nicht die Kühle des Wassers,
die ihn zurück schrecken ließ. Die Luft bebte gewaltig und ein dunkler
Schatten lag plötzlich über dem See. Mit einem wilden Kreischen landete
eine schwarz gefiederte, riesige Gans vor ihm auf dem Wasser und
versperrte ihm den Weg. Sie schlug wild mit ihren gewaltigen Flügeln und
kreischte: „Elender, wage es nicht, einen Fuß in diesen See zu setzen.
Niemals wirst Du zu ihr kommen! Ich bin die Zauberin Karikulana, ich
habe sie verzaubert. Sie ist mein!“
Für
einen Augenblick war der Königssohn wie benommen. Noch hatte er gar
nicht begriffen, was hier gerade geschah, doch dann rief er auch schon
zu seinem Knappen: „Schnell, mein Schwert“ In Windeseile hatte dieser
die Waffe gepackt warf sie zu seinem Herren hinüber. Geschickt fing
dieser das Schwert auf, packte es mit beiden Händen und stürzte sich in
den See.
Da ertönte ein höhnisches Lachen: „Niemals
wirst du meinen Zauber brechen!“ Der Königssohn erschrak. War alles
verloren? Die Gans schlug mit ihren gewaltigen Flügeln, erhob sich von
der Wasseroberfläche und wollte sich mit lautem Kreischen auf den
Königssohn stürzen.
„Das Medaillon! Das Medaillon!“
Ganz deutlich hörte er von der Mitte des Sees diesen Ruf einer jungen
Frau, voller Kraft und Zuversicht. Da entdeckte er, von den schwarzen
Federn fast verborgen, eine Kette mit einer goldenen Scheibe, die die
Zauberin um den Hals trug. Der gewaltige Vogel befand sich jetzt direkt
über im und er konnte deutlich die geheimnisvollen Zeichen auf der
Goldscheibe erkennen. Mit einem kraftvollen Hieb durchtrennte er die
Kette, das Medaillon löste sich, fiel herab und verschwand in der Tief
des Sees. Mit einem gewaltigen Donner erhob sich die Gans in die Lüfte,
verschwand in einer schwarzen Wolke und wurde vom Wind davon getragen
und zerstreut.
Erschöpft wollte der Königssohn zu Boden sinken, da rief der Knappe: „Oh
Herr, so seht doch!“In der Mitte des Sees begann das Wasser zu brodeln.
„Die Seerose, Herr schnell! Die Seerose“
Der Königssohn warf sich in die Fluten und
schwamm mit kräftigen Schwimmstößen hinaus in den See. Gerade als ein
dunkler Wirbel die Seerose hinab in die Tiefe reißen wollte, berührte er
die zarten Spitzen der Blütenblätter mit seinen Fingerspitzen. Mit einem
Schlag verschwanden alle dunklen Schatten. Als würde ein neuer Tag
anbrechen, leuchtete ein helles Licht über dem See.
Aus dem jetzt
leuchtenden Türkis des Wassers erhob sich die Prinzessin, stieg aus den
Blättern der Seerose und umarmte den Prinzen. Die beiden küsten sich
voller Liebe und Sehnsucht. Sie hatten sich endlich gefunden.
Und plötzlich befanden
sie sich auf der höchsten Zinne eines wunderschönen weißen Schlosses. Um
sie herum jubelten ihnen die Menschen zu. Drei Tage und drei Nächte
dauerte die Hochzeitsfeier und noch viele Jahre später erzählte der
Knappe seinen Enkeln von diesem wunderbaren Fest.
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