Die Geschichte von Timo und und Tina - und Schneeflöckchen, ihrem
kleinen weißen Kaninchen
Es ist Sommer. Tina ist schon Fünf, tobt am liebsten draußen rum und
schaut sich gerne Bilderbücher an, mit großen Schiffen oder Flugzeugen.
Wenn sie groß ist, will sie Kapitänin werden. Aber jetzt will sie gerade
in den Garten gehen. Ihr Bruder Timo ist im letzten Jahr in die Schule
gekommen Er kann schon manche Worte lesen, „Kaaniinchen“ zum Beispiel.
Gerade sucht er den kleinen roten Eimer und die blaue Schaufel. Heute
ist ein wunderschöner warmer Sonnentag, die Kinder wollen im Garten
spielen, unter dem Rasensprenger oder in ihrer Buddelkiste, die steht
zum Glück im Schatten, denn darüber ist ein großes weißes Sonnensegel
gespannt. Bloß zum Schaukeln hat heute keiner Lust, dafür ist es einfach
zu heiß.
Im Garten gibt es aber auch noch Schneeflöckchen. Schneeflöckchen fragt
ihr vielleicht, jetzt im heißen Sommer? Schneeflöckchen heißt ihr
kleines weißes Kaninchen, mit einer roten Stupsnase und einem schwarzen
Fleck auf der Stirn. Sein Käfig steht an der Seite, zwischen den
Büschen. Unten ist der Käfig offen, damit Schneeflöckchen immer ein
bisschen Gras zum Fressen hat. Aber natürlich bringen die Kinder auch
manchmal ein Möhre oder ein Stück Apfel vorbei. Die Mama hat ja meistens
irgendwann einen Teller mit Obst und Gemüse auf die Stufen gestellt, mit
dem Hinweis: „Lasst es euch schmecken!“. Das gilt dann natürlich auch
für Schneeflöckchen.
Sie rennen gerade mit dem Rasensprenger um die Wette, da grummelt es
plötzlich, schon wird der Himmel immer dunkler und dann fallen, plitsch,
platsch, die ersten dicke Regentropfen vom Himmel. Die Kinder jubeln,
der Regen ist noch warm und der Sprenger sprüht jetzt mit dem Wasser vom
Himmel um die Wette. Doch dann: „Rumms!“ und „Bumm!“ und „Krach!“ so
donnert es mit einem Mal ganz gewaltig. Und dann ist es auch schon
richtig finster und der Regen fällt immer stärker mit dicken Tropfen.
„Ein
Gewitter, ein Gewitter!“ ruft die Mama und ihre Stimme klingt sehr
aufgeregt und besorgt. „Kommt schnell rein!“ ruft sie. Mit so einem
Gewitter ist ja auch wirklich nicht zu spaßen. Tina und Timo fassen sich
beide an die Hände und rennen so schnell sie können zur Mama. Die steht
in der Terrassentür und hält schon zwei Handtücher bereit. Während die
Mama die Tür schließt, kuscheln sich die beiden Kinder in die
Handtücher. Draußen rauscht der Regen vom Himmel, stürmischer Wind
rüttelt die Bäume und die Büsche hin und her. Blitze zucken durch die
schwarz-blauen Wolken und gleich darauf kracht der Donner. Alle stehen
jetzt aber sicher hinter der Scheibe der großen Tür und schauen hinaus
in das Unwetter.
Plötzlich ruft die Mama: „Schneeflöckchen! Schneeflöckchen!“ Die beiden
Geschwister begreifen sofort was sie meint. Timo ist sehr erschrocken
und er spürt die Hand seiner Schwester, die ihn ganz doll fest hält.
„Ihr wartet hier!“ bestimmt die Mama, dann öffnete sie die Tür und läuft
hinaus in den Regen. Die beiden Kinder drängen sich nach vorne und
blicken ihrer Mutter hinterher. Der Regen platscht ihnen entgegen, doch
sie scheinen es gar nicht zu bemerken. Sie sehen wie sich die Mama über
den Käfig beugt, ihre Hände tasten über den Boden, noch einen
Augenblick, dann dreht sie sich um und kommt zurück gelaufen. Der Wasser
läuft ihr über das Gesicht, sie ist pitschnass.
„Schneeflöckchen
ist verschwunden!“ ruft die Mama und dann atemlos weiter, „sie ist nicht
mehr in ihrem Käfig!“ Timo und Tina schauen die Mama ungläubig an.
Aber.. !“ stottert Timo, „wie denn?“ Er spürt die kleine Hand seiner
Schwester. „Vielleicht hat sie sich ja nur versteckt“, Tina blickt erst
zu ihrem Bruder, dann zur Mama. “Ja aber wo denn?“ fragt diese, „im
Käfig gibt es doch kein Häuschen zum verstecken.“
Beinahe gleichzeitig fangen Timo und Tina an zu weinen. Die Mama hockt
sich runter auf den Boden und die beiden Geschwister kuscheln sich bei
ihrer Mutter ein. Eine Zeit lang hört man nur den Regen rauschen, hin
und wieder den grollenden Donner und dazwischen das Schluchzen der
beiden Kinder, die um ihr Kaninchen weinen. Irgendwann spüren sie, wie
sie zittern vor Kälte. „Kommt!“ sagt die Mama, „schnell was Warmes
anziehen!“ Sie laufen ins Kinderzimmer und bald darauf haben beide eine
lange Hose und einen warmen Kapuzenpulli übergezogen.
Der Regen hat inzwischen aufgehört. „Wollen wir vielleicht doch noch
einmal nachgucken?“ fragt Tina und ihr Bruder nickt. „Na dann schnell
rein in die Regenjacken und in die Gummistiefel,“ sagt die Mama und
gleich darauf sind sie alle wieder draußen im Garten und stehen vor dem
Käfig. „Da!“ Timo zeigt in den Käfig und da kann man es auch ganz
deutlich sehen, unten am Boden wurde ein Gang unter dem Rand des Käfigs
hindurch gegraben. „Tatsächlich!“ die Mama schaut noch einmal genauer
hin und zeigt hinunter auf den Rasen, „den hat bestimmt Schneeflöckchen
gebuddelt.“
Tina ist inzwischen schnell auf die andere Seite des Käfigs
gelaufen, bückt sich und hält gleich darauf eine winziges Büschel weißer
Haare zwischen Daumen und Zeigefinger. „Das ist ihr Fell,“ flüstert sie
und zeigt es ihrem Bruder. Beide laufen jetzt aufgeregt hin und her und
rufen ganz laut: „Schneeflöckchen! Schneeflöckchen!“ Doch so sehr sie
auch rufen und suchen, Schneeflöckchen bleibt verschwunden.
Irgendwann
wird ihr Rufen leiser und beide merken wieder, wie traurig sie sind.
Tina läuft zu ihrem Bruder, der mit hängendem Kopf vor dem leeren Käfig
steht. „Komm,“ sagt sie, „sie ist nicht mehr da, lasst uns gehen. “Timo
nickt stumm und wischt sich die Tränen von der Wange. Da steht schon die
Mama neben ihnen, nimmt beide an die Hand und dann gehen sie gemeinsam
ins Haus.
An diesem Abend dauert es noch lange, bis Tina und Timo in ihren Betten
liegen. Immer wieder fragen sie die Mama und dann sind sie wieder sehr
traurig und weinen. Erst ganz spät, der Mond steht schon hoch am Himmel,
sind die beiden schließlich eingeschlafen.
In den nächsten Tagen passiert es immer wieder, dass einer von ihnen vor
dem leeren Käfig steht, immer mit der Hoffnung, vielleicht ist
Schneeflöckchen ja zurück gekommen? Doch es ist vergeblich, ihr
Kaninchen bleibt verschwunden. Und manchmal sitzen sie nun abends vor
dem ins Bett gehen in ihrem Kinderzimmer und überlegen, wie es
Schneeflöckchen jetzt wohl geht? Da kullert dann noch so manche Träne,
auch wenn die Mama ihnen immer wieder tröstend über das Haar streicht.
Eines Tages, der Sommer neigt sich langsam dem Ende. Tina und Timo
spielen im Garten, heute sitzen sie abwechseln auf der Schaukel. Hui,
dann geht es rauf und runter und sie lachen aufgeregt, wenn die die
Sonne sich über ihnen hin und her bewegt. Die Mama schneidet gerade
einen Blumenstrauß, da steht plötzlich die Nachbarin, Frau Haferstroh,
am Gartenzaun. Sie hat ja von dem Kummer der beiden Kinder erfahren und
heute erzählt sie nun, wie sie neulich im nahen Wald mit dem Förster
unterwegs war.
Der hat ihr erzählt, dass er vor einiger Zeit auf einer Wiese, noch
hinter dem Rodelberg, eine ganze Gruppe Kaninchen beobachtet hat. Das
ist ja nichts besonderes. Doch in dieser Familie gab es ein weißes
Kaninchen und durch sein Fernglas hatte er entdeckt, es trug einen
schwarzen Fleck auf der Stirn. Das hatte er bisher in seinem Wald noch
nie gesehen.
Als Timo und Tina diese Geschichte hören, sind sie natürlich ganz doll
aufgeregt. Noch am selben Tag sind sie mit der Mama zu der Wiese hinter
dem Rodelberg gefahren und haben dort Schneeflöckchen gesucht. Doch auch
dieses Mal vergeblich. Als sie ganz traurig wieder zu Hause angekommen
hat die Mama eine Idee. „Seht mal was ich auf der Wiese hinter dem
Rodelberg gefunden habe,“ sagt sie und zeigt den Kindern zwei leuchtend,
weiße faustgroße Steine. „Vielleicht hat ja jeder von euch Lust, ein
Kaninchen auf einen Stein zu malen? Dann haben wir ein schönes Andenken
an unser Schneeflöckchen.“
Und so geschieht es dann auch. Bis in den Abend hinein sitzen beide
Kinder am Küchentisch und überall liegen die Filzer und Buntstifte. Als
Mama irgendwann herein kommt, kann sie auf beiden Steinen ein liebevoll
gemaltes Kaninchen bewundern. „Und was passiert jetzt?“ fragt Tina,
„wollen wir die Steine in den Garten legen?“ „Oder lieber auf die Wiese
hinter dem Rodelberg?“ überlegt Timo. „Das entscheiden wir beim
Abendbrot essen,“ sagt die Mama und dann beginnen sie den Tisch
abzuräumen. Die beiden so schön bemalten Steine aber bleiben erst einmal
in der Mitte des Tisches liegen und sind für alle eine dauerhafte
Erinnerung an Schneeflöckchen, ihr weißes Kaninchen.
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