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Die kleinen Delfine

Kindergeschichten und Märchen Der letzte Tropfen

 

Der letzte Tropfen

Es war einmal in einer Zeit vor dieser Zeit, als Wünsche noch Träume und Träume noch Wünsche brachten, da regierte in einem Land hinter den sieben Bergen ein mächtiger König ein gewaltiges Königreich. Man sagte, der König konnte von einem Ende seines Reiches zum anderen reiten und niemals würde die Sonne untergehen.
In der Mitte des Reiches, auf einem sanften Hügel gelegen, erhob sich das prachtvolle Schloss des Herrschers. Umgeben von bunten Blumenbeeten, sorgfältig geharkten Parkwegen, munter sprudelnden Springbrunnen, eingebettet in leuchtend grüne Wiesen und Wälder strahlte es in einem so makellosen Weiß weit hinaus in alle Lande. Wer sich dem Schloss von weitem näherte, verbeugte sich sogleich ehrfurchtsvoll und huldigte dem mächtigen König. Das sollte auch so geschehen, denn die Aufseher und Günstlinge des Königs waren überall unterwegs und wer gegen die strengen Regeln und Vorschriften verstieß, dem drohte großes Ungemach.

Diese weiße leuchtende Makellosigkeit geschah nun aber nicht ohne Grund, dann zu allen Zeiten, bei Tag und bei Nacht, waren die Höflinge eifrig damit beschäftigt, die Mauern und Zinnen, Balkone und Balustraden mit klarem frischen Wasser zu reinigen und zu putzen, so dass jede kleinste Staubflocke und jeder winzigste Fleck sogleich hinweg gespült wurde. Dieses wahrhaftig königliche Bauwerk war aber auch für all die Adligen und Günstlinge des Reiches ein leuchtendes Vorbild. So scheuten sie keine Kosten und Aufwendungen ihrem Herrscher nach zu eifern, auf dass ihrer Paläste und Herrenhäuser in strahlender Reinheit glänzen sollten.
Doch auch die reichen Kaufleute und Zunftmeister nahmen sich die weiß polierten Fassaden zum Vorbild und ließen ihre großen Handelshäuser und prächtigen Villen so oft wie möglich putzen und waschen und wetteiferten dabei untereinander sehr. Und auch in mancher einfachen Hütte hörte man von Zeit zu Zeit Worte wie: „Königliches Weiß wird deine Wäsche wohl nie haben!“ oder „das Fell dieses Zickleins leuchtet in gar königlichem Weiß!“ und ein jeder sah dann sofort das Weiß des strahlenden Palasts vor dem inneren Auge.
Natürlich wurde auch überall reichlich viel Wasser auf Felder und Wiesen geleitet, dass alles üppig wachsen und gedeihen sollte. So gab es im ganzen Lande reiche Ernten und randvoll gefüllte Vorratskammern und niemand musste Hungern oder Not leiden. Doch auch die Gärten rings um die Villen und Herrenhäuser wurden großzügig mit der lebensspendenden Nass versorgt. Voller Neid schaute man auf die prachtvollen Parks und Gärten der Nachbarn und wetteiferte mit der Vielfalt der Pflanzen und herrlichster Blütenpracht.
Lange schien das Wasser in dem großen Fluss unermesslich zu fließen, Bäche sprudelten und speisten andere kleine Flüsse und Seen und niemand machte sich Gedanken darüber, woher das viele Wasser kam, das für alle so selbstverständlich war. Es verging die Zeit und Jahr um Jahr wurde mehr Wasser geschöpft und der König und alle seine Untertanen waren stolz auf die Pracht und die Herrlichkeit in der das Reich in üppigem Wohlstand erstrahlte.

Es wurde zuerst bemerkt auf den kleinen, winkeligen Feldstücken und schmalen Gärtchen der Tagelöhner und Dienstboten, dass Blätter gelb herab hingen und die Halme nur noch noch welk und mager aus dem Boden sprossen. Doch das schien ja unbedeutend und gar nicht wichtig. Gewiss, manche Bäche hatten ja auch ihr fröhliches Plätschern und Sprudeln seit einiger Zeit verloren, doch der große Fluss war noch immer breit und mächtig und gab genug Wasser für jeder neue Reinigung der Fassade des königlichen Schlosses. So fiel es auch kaum auf, wie die Tiefe des großen Flusses fast unmerklich abnahm. Nun geschah es zwar, dass die Schiffe sich im Fluss an der einen oder anderen Stelle neue Weg suchen mussten und so manches strandete dann auch mal auf einer Sandbank. Doch dann standen die Leute am Ufer und lachten nur, was doch der Kapitän für ein ungeschickter Tollpatsch sei.

Nun wurden hier und dort doch schon einige Bedenken geäußert und der Eine oder Andere fragte heimlich, wie es wohl so weiter gehen mag. Erblickte man doch nun an so manchen Orten eingetrocknete Wasserläufe, magere Wiesen und Äcker, verdorre Pflanzen und welke Blumen.

Doch dann wurde die beruhigende Nachricht im ganzen Land verbreitet, dass kluge Männer aus dem Hofstaat des Königs damit begonnen hatten, Wasser aus der Tiefe der Erde zu schöpfen. Dazu hatte man Löcher in den Boden gegraben, tief, sehr tief hinunter. Diese Löcher wurden Königsgruben genannt und es wurde sogleich verkündet, dass ein geheimnisvolle Macht dieses Wasser dem König geschenkt hat. Nun sprudelte an diesen Orten das Wasser wieder und alle, die vorher noch Bedenken geäußert hatten, mussten jetzt verstummen. Natürlich war es so, dass dieses Wasser ja königliches Wasser war und alleine am Hofe Verwendung finden durfte. Wollte der König einem seiner Untertanen jedoch eine Gnade erweisen, so wurde ihm das eine oder andere Fässchen des kostbaren Nass zu gestanden. Auf diese Weise schien das Leben für viele Bewohner des Reiches noch eine ganze Zeit seinen gewohnten Gang zu gehen.

Dann geschah es, dass zum Geburtstagsfest des Königs auf allen wichtigen Plätzen Springbrunnen aus feinem, leuchtendem Marmor errichtet wurden und zur Mittagsstunde seines Geburtstages sollten diese alle gleichzeitig ihre Fontänen erheben zum Lob des großen Herrschers und zur Ehre des ganzen Königreiches.
Alle Vorbereitungen wurden sorgfältig getroffen und dann kam die bedeutsame Stunde. Die Sonne leuchtete hell am strahlend blauen Himmel und überall bevölkerten die Menschen Straßen und Plätze, um dem großen Ereignis beizuwohnen. Auch im königlichen Park war der König mit all seinen Ministern und Grafen und Fürsten um den kunstvoll gestalteten Springbrunnen versammelt, aus dem sich sogleich die gewaltigen Fontänen zu den beeindruckenden Wasserspielen vereinigen sollten. Als die Sonne am höchsten stand, gab der Hofastrologe ein Zeichen. Da hob der König huldvoll seine Hand und alle schauten erwartungsvoll.
Aus dem Brunnen, um den der König, die Mächtigen und Reichen versammelt waren, quoll nun aber ein jämmerlicher, dünner Wasserstrahl, verbreitete auf dem Boden eine kleine Pfütze und war dann auch schon versiegt.
Stille, niemand wagte zu atmen. Der König schaute in die Runde, blickte erwartungsvoll in die Gesichter seiner Untergebenen. Jeder bemühte sich, den Gesichtsausdruck des Herrschers zu deuten, doch sein Miene blieb in hoheitsvoller Erhabenheit und zeigte keinerlei Regung.
Da hielt es einer der Fürsten nicht länger aus und begann zu applaudieren, schon war der Bann gebrochen und der gesamte Hofstaat stimmte begeistert mit ein. Alle klatschten in die Hände und riefen voller Begeisterung: „Hurra! Hurra!“ und man ließ den König hochleben. Der Herrscher blickte in die Runde, ein gnädiges Lächeln lag auf seinem Gesicht. „So seht!“ sprach er, „welch ein wunderbarer Tag, diese Überraschung ist doch wohl gelungen! Musik! Musik! spielt auf, ihr Musikanten!“ Sogleich ließen diese ihre Instrumente erklingen und der König und sein Hofstaat begannen im Garten zu lustwandeln. Man plauderte, erquickte sich an erfrischenden Getränken und köstlichen Speisen, so schien der Vorfall auch schnell vergessen.

Auf den Plätzen und Straßen aber schauten sich die Leute erschrocken an. Ein erstes leises Tuscheln machte die Runde, doch niemand wagte es, einen lauten Kommentar zu geben, zu dem was gerade alle gesehen hatten. Waren doch die Aufseher und Günstlinge des Königs all gegenwärtig und hatten Augen und Ohren geöffnet.
Doch später, an verborgenen Orten und hinter vorgehaltener Hand begann das heimliche Flüstern: „Nicht ein einziger Tropfen sprudelte aus dem Springbrunnen!“ „Hast du den Teich gesehen, oben hinter dem Wald?“ „Und die Quelle, bei der langen Wiese!“ „Gestern habe ich gehört, dass man den Fluss zu Fuß durchqueren kann!“ Jeder konnte es sehen, auf immer mehr Äckern und Feldern welkten die dürren Pflanzen Die einst wohl gefüllten Vorratsspeicher hatten sich längst geleert. Niemand wagte es laut auszusprechen, doch überall, landauf landab, begannen sich Sorge und Furcht ausgebreitet.
Es wurde eilig vom König ein Erlass verkündet, dass es bei Strafe verboten sei, Wände von Gebäuden welcher Art mit Wasser zu putzen, ausgenommen natürlich das königliche Schloss. Kurze Zeit später war es auch nicht mehr erlaubt, die Gärten und Wiesen zu wässern. Doch da waren die kleinen Flüsse und Bäche längst zu winzigen Rinnsalen verkümmert. Auch das Wasser in den Königsgruben war inzwischen versiegt und niemand durfte darüber sprechen.
Bald darauf war dann schon die Zeit angebrochen, dass die Menschen an verborgenen Plätzen nach kleinen Tümpeln und feuchten Sandgruben zu suchen, um ihren täglichen Durst zu stillen. Längst waren nun auch die Putzarbeiten an der Schlossfassade eingestellt worden, denn in dem großen Fluss gab es kaum noch eine einzige winzige Pfütze.
Anfangs zogen über den Himmel einzelne dunkle Wolken, die dann von Tag zu Tag dichter wurden. Bald lag über dem Land eine finstere, tief hängende Wolkendecke, unheilvoll und bedrückend. Die Zeit verstrich und und nun warteten alle kummervoll auf ein Wunder, den erlösenden Regen. Doch das ausgedorrte Land konnte nichts mehr her geben, um die Wolken zu sättigen.

Zu dieser Zeit zog ein Junge mit dem Namen Domenio über das Land. Er hatte seine Eltern verloren, die am schwarzen Fieber gestorben waren, nichts war zurück geblieben. Die Menschen im Land hatten sich in alle Richtungen zerstreut. Jeder suchte in der Leere und dem Elend seinen eigenen Weg. Er war allein. Überall an den Rändern der Felder und Waldsäume suchten er nach letzten Kräutern oder Pflanzen, die seine einzige Nahrung waren. Seit einigen Tagen hatten er kaum noch etwas Feuchtes zu sich genommen und Domenio musste immer wieder inne halten, damit er sich ein wenig ausruhen konnte. Seine Zunge lag schwer und geschwollen in seiner Mundhöhle und sein Atem ging schwer.
Er war so müde und erschöpft, als sie an den Rand eines großen Waldes erreichte. Einstmals standen hier mächtige, fruchtbare Bäume mit weit ausladender Krone und dichtem Blätterdach. Wie überall im Land waren die wenigen verbliebenen Blätter jetzt welk und hingen schlaf an den Ästen.

„Ich kann nicht mehr weiter,“ dachte er, „ich will hier zur Ruhe kommen und das Ende abwarten.“ Dabei schaute er sich suchend um. Doch dann erblickten er unter einem Felsüberhang ein kleine Kate. Im Grau der Abenddämmerung war sie kaum zu erkennen. Doch aus einem Fenster schimmerte ein schwacher, doch tröstender Lichtstrahl, ein Hoffnungsschimmer. Vorsichtig näherte er sich der Hütte, da öffnete sich die Tür und eine alte Frau trat hinaus zu ihm. Sie schaute ihn aufmerksam an, dann lächelte sie.
„Gute Frau,“ sprach Domenio mit schwacher Stimme, „verzeiht die Störung, doch seht, ich bin so schwach, kann nicht mehr weiter. Ich bin am Ende angelangt“ Die Alte trat einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Geste. „Komm herein, dieser Ort sei auch dein Ort“. Nachdem er die Hütte betreten hatten, bat die Frau ihn, am Tisch Platz zu nehmen. Zunächst stellte sie einen Becher und einen Krug auf den Tisch. „Trinken?“ er schaute die Alte erstaunt und ungläubig an. „Ja“; lächelte sie freundlich, „dieser Saft wird dir neue Kraft geben und dann ruht dich erst einmal aus. Nachdem er sich noch mit einer kräftigen Suppe gestärkt hatte, bereitete sie ihm ein Nachtlager und schon war er eingeschlafen.

Als Domenio am nächsten Morgen erwachte, machte sich die Alte schon am Herd zu schaffen. Der Duft eines warmen Breis wehte zu ihm herüber, berührte ihn und weckte Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, der Sicherheit und Geborgenheit . Draußen war der Tag ein weiteres Mal grau und, trübe, die Wolken hingen wieder tief und schwer über dem Land. Die alte Frau begrüßte ihn ganz herzlich und dann sprach sie zu ihm: „Du siehst, noch immer fehlt er, dieser einzige Tropfen, der die Wolken öffnet, damit endlich die Erlösung kommen kann. Du bist zu diesem Ort gekommen, von hier aus wird dein Weg weiter gehen und etwas Neues beginnen. Du wirst dich aufmachen, zu suchen, was gefunden werden muss.
Es ist eine alte Weissagung, die davon spricht, dass ein gefiedertes Wesen einmal den Weg zeigen wird, aus Leid und Not. Doch wir wissen nicht, wo dieser Vogel zu finden ist und wie er Hilfe bringen kann?
Nun ist es deine Aufgabe, dich auf den Weg zu machen und zu finden, was gebraucht wird. Halte Ausschau nach dem Gefiederten und dann sieh, was geschieht. Nimm diesen Krug, er soll dich begleiten auf deinem Weg, er wird dich verbinden und dir Kraft geben. Domenio bedankte sich bei der alten Frau und machte sich auf den Weg.

Er durchwanderte das Land, zunächst noch voller Hoffnung und dann traf er sie auch, alle die wunderbaren Gefiederten. Doch was musste er erfahren: Der einst so mächtige, kraftvolle Adler hatte seine Schwingen niedergelegt, der elegante Kranich seinen Tanz der Lüfte beendet und die einst leuchtend weißen Flügel des Schwans waren zusammen gesunken, matt und grau, und der jubelnde Chor der herrlichen gefiederten Sänger war in einem rauen Krächzen versunken. Sie alle waren nach all dieser Zeit der Dürre ohne Mut und Hoffnung. Niemand konnte ihm einen Weg weisen, niemand wusste, wo der rettende letzte Tropfen zu finden sei. So musste er weiter und seine Suche fortsetzen.
Lange war er weiter gewandert, der Krug war fast leer, bis zum letzten Tropfen. Schließlich erreichte er ein weites offenes Feld, die schwarz – blauen Wolken hingen tief über dem Land und schienen es mit ihrer Schwere zu erdrücken. Er wanderte eine Straße entlang, die sich schnurgrade vor ihm bis zum Horizont erstreckte. Doch dann entdeckte er in der weiten Leere plötzlich die weiß schimmernde Silhouette einer Birke. Die kahlen Äste ragten weit in den Himmel.

Während er näher kam hörte er immer deutlicher den Gesang eines Vogels. Er lief schneller, schaute hinauf in den Baum, doch nirgendwo konnte er entdecken, wer diese wunderschöne Melodie der Zuversicht und Hoffnung über das Land schickte. Dann stand er unter dem Baum und blickte hinauf in die Krone. Da! Plötzlich entdeckte er hoch oben in einer Astgabel einen winzigen, unscheinbaren Vogel.
Als dieser ihn bemerkt hatte, kam er zu ihm herunter geflogen und sprach: „So lange habe ich auf dich gewartet und nun bist du gekommen. Sie hier, in meinem Schnabel, es ist der letzte Tropfen, der, auf den alle gewartet haben. Ich sehe, du bringst den Krug mit dem Nektar, mit dem sie dich auf diese Reise geschickt hat. Vergrabe ihn hier in den Wurzeln des Baumes, damit sich der Kreis schließen kann.“
Während er tat, wie es der Vogel ihm befohlen hatte, flog dieser zwischen den Ästen der Birke hindurch hinauf zu den Wolken, höher und höher, bis er kaum noch zu erkennen war. Da ballten sie die Wolken plötzlich zu gewaltigen Haufen zusammen, wie riesige Berge in der Weite des Himmels, dazwischen leuchtete mit einem Mal ein einziger gleißender Sonnenstrahl, der den winzigen Wassertropfen im Schnabel des kleinen Vogels in allen Regenbogenfarben funkeln ließ. Diese flossen in einem weitem Schleier durchsichtiger Töne über das Land. Gleichzeitig löste sich der Tropfen aus dem Schnabel, verband sich mit den Wolkenbergen und es begann - zu regnen.
Domenio sank auf den Boden, gleichmäßig strömte das kostbare Nass herab und verteilte sich über das Land. Er formte seine Hände zu einer Schale bis sie gefüllt war mit neuem Leben, dann trank er, bedachtsam Schluck für Schluck, voller Dankbarkeit und Freude. Dann fiel er in einen tiefen Schlaf.
„Ich sehe das Leben, es kehrt zurück,“ sprach der kleine Vogel im Traum zu ihm, als er auf einen Ast über seinem Kopf zurück gekehrt war. Domenio konnte ihn jetzt genauer betrachten und entdeckte auf seinem winzigen Kopf einen feinen, aufrecht stehenden Federbusch. Wie eine kleine Krone, dachte er und wünschte ihn sich, als den neuen Herrscher dieses Landes.
 

 

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