Makumba - Das Meer ist
tief und der Himmel ist weit
Die Insel
In diesem Ozean findet ihr viele Inseln,
große und kleine, manche sind fast so groß wie Deutschland und manche
sind so klein, das man an einem Tag einfach um die ganze Insel herum
wandern kann. Manche Inseln sind menschenleer, auf manchen gibt es
kleine Dörfer und auf einigen sogar richtige Städte.
Eine dieser kleinen Inseln, ein ganz kleines Dorf, das war die Heimat
des kleinen Jungen Makumba.
Er lebte dort mit seiner Mutter, seinem Vater,
seinen Geschwistern, dem Großvater, der Großmutter und mit anderen
Bewohnern der Inseln in einem Dorf.
Als er noch richtig
klein war, hatte seine Mutter ihn immer mitgenommen auf die Felder, auch
in die Bananenplantage. Dort spielte er mit den anderen kleinen Kindern.
Einige der Kinder waren seine Freundinnen und Freunde, andere mochte er
nicht so sehr, das kennt ihr, das ist wohl bei allen Kinder auf der Welt
so.
Dann, nach seinem 10. Geburtstag hatte sich
sein Leben mit einem Mal verändert. Jetzt nahm ihn der Vater im Kanu der
Männer mit, wenn sie in der Lagune fischten, er lernt Netze zu knüpfen
und zu reparieren. Der Vater lehrte ihn die Farbe des Meeres zu
beurteilen, den Wind, den Zug der Wolken. In der Nacht zeigt er ihm die
Sterne und Makumba lernte, wie man wieder zu seiner Heimatinsel
zurückfindet, auch wenn sie nach einer längeren Reise mit dem Kanu schon
am Horizont verschwunden war.
Am Abend durfte er
manchmal am Feuer der Männer sitzen, wenn einer der Alten Geschichten
erzählte, über die Erschaffung von Meer und Himmel, vom Ursprung der
Fische und der Entstehung der Inseln. Und sie erzählten auch über die
Geschichte des Stammes, als vor unendlichen Zeiten die ersten Kanus hier
auf der Insel gelandet waren.
Einmal hatte der
Großvater ihn auf die Seite genommen. "Makumba", sprach der Großvater,
"die Zeit ist nicht mehr fern, dann wird dein großer Traum dich rufen."
Da wurde Makumba ganz aufgeregt. Wenn die Götter ihm den großen Traum
schickten, dann würde die Zeit seiner Kindheit zu Ende gehen. Und dass
der Großvater die Wahrheit sprach, daran zweifelte Makumba keinen
Augenblick, denn der Großvater wusste
mehr als andere, er war einer der Weisen Alten, die hinaus
schauen konnten auf das Meer und dann Bilder sahen, von denen andere
nicht einmal etwas ahnten. Von Fischschwärmen vielleicht, die erst in
ein paar Tagen in der Lagune auftauchen würden, oder von einem drohenden
Ungewitter, wenn der Himmel noch strahlend blau war und keine Wolke die
Sonne verdunkelte.
So wartete Makumba
voller Spannung auf seinen großen Traum.
Die Reise
In dieser Nacht war
es nun geschehen. Eine alte, weise Stimme hatte ihn gerufen, ganz
deutlich und klar. Er träumte und wusste doch, dass dieser Traum
Wirklichkeit war. "Makumba, komm, nimm dein Kanu und fahre hinaus auf
das Meer, fahre der aufgehenden Sonne entgegen, dann wirst du finden,
wonach du suchst", sprach die Stimme und ihr Klang tönte in Makumba
weiter, wie das Auf- und Abschwingen einer gewaltigen Welle.
Es war mitten in der
Nacht, als er aufstand und hinunter an den Strand ging. Dort lag sein
kleines Kanu, da ihm der Vater zu seinem letzten Geburtstag geschenkt
hatte. Die Luft war noch kühl, er fröstelte, zog
die Schultern hoch. Der Himmel wölbte sich wie eine schwarze Glocke über
ihm. Als er hinauf schaute zeichneten sich in dem Gewirr der unendlich
vielen Sterne am Himmel die Sternbilder ab, die der Vater ihm gezeigt
hatte.
Die Mutter und seine
kleinen Geschwister fielen im ein. Sie würden morgen früh erwachen und
seine Matte leer vorfinden. Dann würden sie in ein großes Wehklagen
ausbrechen, in das Dorf hinauslaufen, laut rufen, der kleine Makumba ist
fort, sie würden um ihn trauern, denn alle wussten, der kleine Makumba
würde nicht wiederkommen. Er spürte einen Kloß im Hals und Tränen
füllten seine Augen, niemand konnte ihm vorher verraten, welche
Prüfungen ihn erwarteten würden. Doch wenn es geschehen sollte, dass er
wieder diesen Strand betrat, würde er nicht mehr der kleine Makumba
sein.
Schnell sprang er in
sein Kanu, ergriff das Paddel und ohne noch einmal auf das schlafende
Dorf zurückzuschauen, trieb er das Boot mit kräftigen Schlägen hinaus in
die Lagune. Ein schmaler heller Streifen lenkte seinen Blick zum
Horizont, dorthin wo sich Meer und Himmel begegneten. Außer dem
Platschen seines Paddels und dem leise vorbei rauschenden Wasser war
kein Laut zu hören.
Nachdem er eine ganze
Weile gepaddelt war verspürte er plötzlich Hunger. Er Erschrocken
bemerkte er, dass er nicht zum Essen und nichts zum Trinken mit in das
Boot genommen hatte. Wie oft hatte der Vater ihm eingeschärft, niemals
ohne Proviant hinauszufahren und nun hatte er sogar schon den Ring der
Lagune hinter sich gelassen. Er schaute nach vor, die Sonne war
inzwischen aufgegangen, der Himmel leuchtete wie rotes Gold.
Die Sonne stieg höher, er paddelte weiter,
Hunger und Durst wurden stärker, quälten ihn. Das Glitzern der Wellen
blendete ihn, er musste die Augen zusammenkneifen.
Weiter und weiter war
er gepaddelt, immer der Sonne entgegen, sie stand jetzt schon hoch am
Himmel. Immer stärker wurde sein Durst. Um ihn herum so viel Wasser,
doch das war Salzwasser, er durfte es nicht trinken, nie würde es seinen
Durst löschen. Seine Zunge lag dick und schwer in seinem Mund. Er fühle
wie seine Kräfte nachließen, wie er schwächer wurde.
Da hob, ganz
unerwartet, eine Welle das Boot empor, etwas rollte über den Boden des
Kanus und dann kullerte eine Kokosnuss polternd vor seine Füße. Auf
einem seiner letzten Ausflüge hatte er sie wohl im Boot liegen gelassen.
Habt ihr schon einmal eine Kokosnuss geknackt? Das ist gar nicht so einfach. Doch
Makumba wusste Bescheid. Er zog das kurze, breite Messer aus dem Gürtel
und mit ein paar geschickten Schlägen hatte er die Kokosnuss geöffnet.
Mit tiefen Zügen trank er zuerst die Kokosmilch danach brach er das
weiße Fruchtfleisch aus der Schale. Bedächtig kauend spürte er, wie
seine Kräfte zurückkehrten.
Nachdem er sich so
gestärkt hatte, konnte er seine Fahrt fortsetzen.
Der grosse Sturm
Da durchzuckte ihn plötzlich
ein gewaltiger Schreck. Direkt vor ihm türmte sich eine mächtige
schwarze Wolkenwand auf. Er wusste, was das zu bedeuten hatte. Der große
Windgott stellte sich ihm entgegen und er musste den Kampf mit ihm
aufnehmen. Er spürte schon den Wind, der stärker geworden war. Weiße
Schaumkronen bleckten ihm entgegen, wie die Zähne aus dem schrecklichen
Gebiss des großen Hais.
"Du musst
dein Boot immer gegen den Wind steuern", hörte er die Stimme seines
Vaters. "Eine Welle von der Seite, dann schlägt das Boot um und du bist
verloren".
Der Wind wurde zum Sturm, die Wellen türmten
sich höher und höher, nun begann es auch noch zu regnen. Gierig leckte
er sich das Regenwasser von seinen Lippen. Doch der Wind ließ ihm keine
Ruhe. Mit gewaltiger Wucht warf er sich ihm entgegen. Das Kanu tanzte
wie eine kleine Nussschale auf den Wellen.
Makumba spürte, wie seine Arme immer
schwerer wurden, wie lange würde er dem Windgott noch standhalten
können? Er
fühlte sich so klein, so allein, Tränen rannen über sein Gesicht.
Da sah
er mit einem Mal vor sich, den gewaltigen Schlund einer riesigen Welle.
Sein Kanu wurde hochgehoben, als würde ihn eine mächtige Hand in den
Himmel tragen. Plötzlich wirbelte er herum, das Paddel hatte er längst
losgelassen, sein Kanu wurde davon gerissen, dann war nur noch das
Wasser um ihn herum. Die Wirbel schleuderten ihn hin und her, warfen ihn
empor und zogen ihn hinab in die Tiefe. Er tauchte tiefer und tiefer,
das Tosen des Orkans bliebe zurück. Eine große Stille breitete sich aus.
Vor seinen
Augen öffnete sich eine nie gesehene Welt. Aus der unendlichen Tiefe des
Ozeans drang ein geheimnisvolles Leuchten. Das Leuchten wurde stärker
und aus seiner Mitte wuchs ein dunkler Schatten, zuerst so groß wie eine
Kokosnuss, dann größer und größer.
Er konnte seinen Blick nicht abwenden, jetzt
waren schon Einzelheiten zu erkennen. Lange Fangarme breiteten sich aus,
mit
tellergroßen Saugnäpfen besetzt, der magische Blick von zwei
grüngelben Augen hielt ihn fest. Ein gewaltiger Krake bewegte sich auf
Makumba zu. Sein Schreck war so groß, dass ihm beinahe die Sinne
schwanden.
Mit langsamen,
fließenden Bewegungen kam das Tier auf ihn zu. Sein Körper verdeckte das
Leuchten aus der Tiefe mehr und mehr, bald würde der dunkle Schatten
alles einhüllen. Die riesigen Fangarme breiteten sich aus und streckten
sich ihm entgegen, kamen näher und näher. Schon spürte er die ersten
Berührungen, er fühlte das rasende Pochen seines Herzens in der Brust,
lähmendes Entsetzen packte ihn, schnürte ihn ein, immer tiefer wurde die
Dunkelheit. Da schoss ein Schrei der Angst aus seiner Brust und aus der
Tiefe der Dunkelheit stieg ein gleißend blaues Licht empor.
Das Licht wurde heller
und größer, er musste die Augen zusammenkneifen, so sehr blendete es ihn
und doch konnte er erkennen, wie die Umrisse klarer und deutlicher
wurden. Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn: Der blaue Delphin!
So oft hatte der
Großvater ihm Geschichten von diesem geheimnisvollen Delphin erzählt,
von seiner Kraft und Klugheit. Makumba öffnete die Arme weit, der
Delphin schoss auf ihn zu, befreite ihn aus den zupackenden Armen des
Kraken, eingehüllt in das blaue Licht trug ihn der Delphin davon, fort
aus der Dunkelheit. Er fühlte sich leichter und leichter, warm und
sicher aufgehoben und so fiel er schließlich in einen tiefen Schlaf.
Die Rettung
Als Makumba wieder zu
sich kam, fühlte er
die warmen Strahlen der Sonne auf seiner Haut. Er spürte seinen
Herzschlag, ruhig und gleichmäßig. Er schaute sich um. Ein weißer
Sandstrand, leise platschende Wellen, schon dachte er, ich bin wieder zu
Hause, doch dann durchzuckte ihn ein Schreck. Auf dieser Insel gab es
Keine Hütten, keine Kokospalmen. Am Ende vom Strand erhoben steile, hohe
Felswand, offenbar teilten sie die Insel in zwei Teile. Was befand sich
auf der anderen Seite der Insel?
Da machte sich der
Junge auf die Suche, er wollte einen Weg über die Felsen finden. Doch
obwohl er sorgfältig alles untersuchte, die Felsen schienen
unüberwindbar, nirgendwo gab es einen Weg, er konnte keinen Durchlass
finden, die andere Seite blieb unerreichbar.
Als er so ganz traurig
am Wasser entlang ging, bemerkte er mit einem mal eine wunderschöne
Muschel, die im feuchten Sand lag.
Ihm fiel auf, dass es
die einzige Muschel weit und breit war. Er bücke sich, hob die sie auf
und als er sie in die Hand nahm, öffneten sich die beiden Hälften der
Muschel von ganz alleine und er erblickte eine große, mattglänzende
Perle. Makumba nahm die Perle vorsichtig zwischen zwei Finger. Als er
sie näher anschaute erschrak er. Das milchige Weiß der Perle wurde
klarer und klarer und nun erschienen Bilder. Zuerst noch undeutlich und
verschwommen, dann immer deutlicher. Er erblickte den Strand seiner
Heimatinsel, seine Geschwister die im Wasser der Lagune herumtobten, die
Mutter, den Vater, das Dorf und die hohen Stämme der Kokospalmen. Da
wurde ihm ganz schwer ums Herz. Wie sollte er je von dieser kleinen
verwunschenen Insel fortkommen.
Ganz in
Gedanken versunken drehte er die Perle zwischen den Fingern und
plötzlich veränderte sich das Bild. Er sah plötzlich die Insel auf
der er sich gerade befand, er sah sich selber am Strand stehen, mit der
Perle in der Hand, er sah auch das Felsengebirge, das ihm so
unüberwindbar erschien.
Eine unsichtbare Macht drängte ihn, zu dem Felsen hinüber zu gehen. Und
dort, wo gerade noch gewaltige glattpolierte Felsblöcke den Weg
versperrt hatten, öffnete sich nun ein schmaler Durchlass zwischen den
Felsen. Makumba zögerte einen Augenblick, dann zwängte er sich in den
Spalt und stand schließlich in einer dunklen Höhle. Die Finsternis
hüllte ihn ein. Nur die Perle leuchtete mit einem sanften Licht. Sein
Herz klopfte bis zum Halse, mehr als einmal zögerte er, wohin er den
nächsten Schritt setzen sollte, doch die Perle zeigte ihm den Weg.
Längst hatte er vergessen, wie lange er schon in der Höhle unterwegs
war. Schritt für Schritt tastete er sich voran. Schließlich wurde der
Gang breiter, er roch frische Meeresluft, atmete tief und dann, in der
Ferne ein Lichtpunkt!
Er lief schneller,
spürte kaum seinen aufgeregten Herzschlag. Alle Angst war verflogen. Mit
jedem seiner Schritte wurde der Punkt größer, bis er schließlich im
hellen Sonnenlicht vor der Höhle stand.
Makumba schaute sich
um, er hatte die andere Seite der Insel erreicht. Als er aus der Höhle
heraustrat musste er die Augen zusammenkneifen, so sehr blendete ihn die
Sonne. so kam es, dass er zunächst gar nicht sah, was dort am Strand
lag. Erst als er näher kam erkannte er, dort lag sein Kanu und daneben
sogar sein kleines Paddel.
Ihr könnt euch sicher
vorstellen, wie glücklich und erleichtert er jetzt war. Als er zu seinem
Boot rannte bemerkte er, dass er noch immer die Perle in der Hand hielt.
Er schaute noch einmal hinein und sah jetzt, wie die Perle ihm den Weg
zurück zu seiner Heimatinsel wies. Da war er nicht mehr der kleine hilflose
Junge, er fühlte sich groß und kräftig als das Paddel ergriff und schon
flog das Boot über die Wellen.
So dauerte es gar
nicht
lange, da tauchte am Horizont die Umrisse seiner Heimatinsel auf.
Zuerst die Kokospalmen, dann der Strand, die Hütten und schließlich die
Menschen. Da kamen sie ihm auch schon mit großem Geschrei entgegen und
der Jubel schallte über die Lagune.
Als der Kiel seines
Kanus knirschend auf den weißen Sand auflief, spürte er nichts mehr von
seiner Müdigkeit und seine Erschöpfung. Voller Freude warf er die Arme
empor. Alle kamen sie, um ihn zu beglückwünschen.
Die Mutter drückte ihn, er sah die kleine Träne in ihrem Augenwinkel,
der Vater legte ihm die Muschelkette der Männer um den Hals und der
Großvater schaute ihn mit seinem faltigen Gesicht an und sagte: "Ich bin
stolz *auf Dich".
Nun wussten es alle; Makumba ist
zurückgekehrt, er ist nicht mehr der kleine Makumba. Er hatte die große
Prüfung bestanden und ist in den Kreis der Männer aufgenommen.
Jetzt würde Makumba bald damit beginnen, seine
eigene Hütte zu bauen.
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